Öffentliches Recht

Europarecht

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV („Calfa")

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV („Calfa")

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Italienerin C wurde in Griechenland eines Verstoßes gegen das BtMG für schuldig befunden und auf Lebenszeit aus Griechenland ausgewiesen. C möchte aber weiterhin nach Griechenland reisen können, um dort in ihren liebsten Lokalen griechischen Wein und alt vertraute Lieder zu genießen.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV („Calfa")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist vorliegend eröffnet.

Genau, so ist das!

Der sachliche Anwendungsbereich setzt eine Dienstleistung voraus. Die Dienstleistung lässt sich in Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten als selbstständige, vorübergehende Leistungen definieren, die einen entgeltlichen Charakter haben muss. Begünstigte sind Unionsbürger und gem. Art. 62 i.V.m. Art. 54 AEUV Gesellschaften mit Unionsbezug. Ferner ist ein grenzüberschreitender Bezug erforderlich. Die Dienstleistungsfreiheit schließt einer seiner passiven Ausprägung das Recht des Dienstleistungsempfängers ein, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu geben. C ist als Touristin als Dienstleistungsempfängerin anzusehen. Der Anwendungsbereich ist daher eröffnet.
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2. Die Mitgliedstaaten sind für das Strafrecht zuständig und müssen in diesem Rahmen die Grundfreiheiten nicht beachten.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Mitgliedstaaten sind für das Strafrecht zuständig und können selbstständige Regelungen erlassen. Allerdings hat dies nicht zur Folge, dass die Grundfreiheiten nicht mehr beachten werden müssen. Vielmehr setzt das Gemeinschaftsrecht der mitgliedschaftlichen Zuständigkeit Schranken. Mitgliedstaaten müssen also auch im strafrechtlichen Anwendungsbereich die Grundfreiheiten achten und dürfen diese nicht beschränken.

3. Die Ausweisung auf Lebenszeit stellt eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit dar.

Ja!

Unter den Oberbegriff der Beeinträchtigung fallen die offene und versteckte Diskriminierung. Jede Maßnahme, welche geeignet ist, mittelbar oder unmittelbar, tatsächlich oder potenziell die Ausübung einer Dienstleistung zu beschränken, stellt eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar. Der C wird durch die Ausweisung auf Lebenszeit die Entgegennahme von Dienstleistungen in Griechenland vollkommen unmöglich gemacht. Die Dienstleistungsfreiheit wird ihr vollständig entzogen. Die Maßnahme stellt somit eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit dar.

4. Es kommt eine Rechtfertigung über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Art. 52 AEUV in Betracht.

Genau, so ist das!

Über den Verweis in Art. 62 AEUV werden die Rechtfertigungsgründe des Art. 52 AEUV auch für die Dienstleistungsfreiheit angewendet. Die in Art. 52 AEUV enthaltenen Vorbehalte erlauben es den Mitgliedstaaten Maßnahmen gegenüber anderen Staatsangehörigen vor dem Hintergrund der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu rechtfertigen, die die Niederlassungsfreiheit beschränken und daher grundsätzlich unzulässig sind. Vorliegend könnte vor dem Hintergrund der Verurteilung der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung einschlägig sein. Mit Hilfe der geschriebenen Rechtfertigungsgründe lassen sich auch offene Diskriminierungen rechtfertigen.

5. Die Subsumtion unter die Rechtfertigungsgründe des Art. 52 AEUV erfolgt zweistufig.

Ja, in der Tat!

Das Ziel, dass die Mitgliedstaaten mit ihrer Regelung verfolgen, muss zunächst von einem der Rechtfertigungsgründe umfasst sein. Auf zweiter Stufe wird verlangt, dass ein Grundinteresse der Gesellschaft betroffen ist und eine qualifizierte Gefährdung vorliegt. Das bedeutet, dass die Gefährdung tatsächlich, d. h. also zeitlich nah und intensiv sowie hinreichend schwer sein muss. Zur Wiederholung: Generalpräventive Gesichtspunkte zum Zwecke der Abschreckung anderer (EU-)Ausländer genügen den Anforderungen des Art. 52 AEUV nicht. Vielmehr muss das Handeln einer Einzelperson bereits hinreichend gefährdet sein.

6. Bereits die strafrechtliche Verurteilung vermag eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu begründen.

Nein!

Bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung darf nur das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen ohne ein weiteres persönliches Moment reichen daher nicht aus. Sie können nur dann berücksichtigt werden, wenn die zugrundeliegenden Umstände und das persönliche Verhalten die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden. Vorliegend wurde die Ausweisung auf Lebenszeit allein aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung verfügt und das persönliche Verhalten der C wurde nicht berücksichtigt. Der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung ist daher nicht einschlägig. Die Ausweisung kann nicht gerechtfertigt werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Burumar🐸

Burumar🐸

16.4.2023, 18:08:18

Bei der letzen Frage fehlt die Erklärung

Nora Mommsen

Nora Mommsen

17.4.2023, 14:33:16

Hallo Burumar, danke für den Hinweis. Das ergänzen wir :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

ASA

asanzseg

30.4.2023, 13:50:30

@[Burumar🐸](172315) HI! Die Erklärung des EuGH war folgende: Es ging im vorliegenden Fall (was mAn für den Sinn und Zweck der Aufgabe erforderlich ist), dass das griechische Recht OHNE Ermessensausübung eine Ausweisung immer dann vorsah, wenn ein Tourist gegen nat. BtMG verstoßen hat. Dadurch dass eine Ausweisung auf Lebenszeit die passive

Dienstleistungsfreiheit

erheblich einschränkt, sah der EuGH zwar die

öffentliche Sicherheit und Ordnung

als Rechtfertigungsgrund an, es fehlte aber mangels einer Ermessensausübung der

Behörde

n und der pauschalen Ausweisung auf Lebenszeit an der hinreichenden Untersuchung der persönlichen Gefahr ausgehend von dem Touristen. Es wurde quasi durch die Entscheidung nicht nur eine Entscheidung im konkreten Fall, sondern auch das nationale Recht als mit dem EU-Recht unvereinbar erklärt. Hoffe das hilft liebe grüße :)


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