Geschäftsunfähig

22. November 2024

4,9(12.562 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

A ist geschäftsunfähig (§ 105 Abs. 1 BGB). Trotz dessen möchte er pflichtbewusst die gegenüber C bestehende Pflicht i.H.v. €1000 begleichen. Deshalb erteilt er einen Überweisungsauftrag an seine Bank B, welche diesen unwissend ausführt. B verlangt nun das überwiesene Geld.

Diesen Fall lösen 68,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Geschäftsunfähig

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat aufgrund des Girovertrags einen vertraglichen Anspruch gegen A auf Aufwendungsersatz in Höhe von €1000 (§§ 675c Abs. 1, 670 BGB).

Nein!

Zwischen der Bank und ihrem Kunden besteht ein Vertrag (§§ 675f, 675c Abs. 1 BGB). Die Bank hat einen Aufwendungsersatzanspruch, wenn sie in Ausführung eines Auftrags des Kunden handelt. Ein Auftrag ist eine Willenserklärung, untersteht also auch den Regeln über die Wirksamkeit von solchen. Ein Auftrag ist bspw. ein Zahlungsauftrag (§ 675j BGB), also eine bereicherungsrechtliche Anweisung. A ist geschäftsunfähig (§ 105 Abs. 1 BGB), kann also keine wirksamen Willenserklärungen abgeben. Eine Zahlungsautorisierung ist nichtig. Die Autorisierung ist als nicht existent zu behandeln. B hat demnach keinen Anspruch auf Aufwendungsersatz gegen A.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. C hat die €1000 durch Leistung des A erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.. C hat eine Gutschrift auf ihrem Konto in Höhe von €1000 erlangt. Ein objektiver Empfänger in der Position der C könnte auch von einer Leistung des A ausgehen. Allerdings kommt es nach neuer Rechtsprechung im Bereich des Zahlungsdiensterechts (§§ 675c ff. BGB) nicht mehr auf diesen Empfängerhorizont an. Es kommt allein darauf an, ob tatsächlich eine wirksame Zahlungsautorisierung vorliegt. Eine solche liegt aufgrund As Geschäftsunfähigkeit nicht vor. Eine Leistung scheidet somit aus. Da A also nicht an C geleistet hat, hat A auch aus der Zahlung der B an C nicht die Befreiung von einer Verbindlichkeit erlangt. A hat gar nichts erlangt.

3. C hat die €1000 durch Leistung der B erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Ob eine solche vorliegt, beurteilt sich aus der Sicht eines objektiven Empfängers. Bank B verfolgt gegenüber C keinen eigenen (Leistungs-)Zweck, sondern wollte nur die vermeintliche Anweisung ihres Kunden A ausführen. B wollte nur als Angewiesene handeln. Auch aus Sicht der C liegt keine Leistung der B vor. C ging von einer Leistung des A aus, nicht von As Bank B. Es liegt somit keine Leistung der Bank B an A vor.

4. B hat einen Anspruch auf Herausgabe der €1000 gegen C aus Nichtleistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Ja!

Der Anspruch aus Nichtleistungskondiktion ist gegeben, wenn der Bereicherungsschuldner etwas nicht durch Leistung auf Kosten des Bereicherungsgläubigers ohne Rechtsgrund erlangt hat. C hat eine Gutschrift auf ihrem Konto in Höhe von €1000 erlangt. Dies ist nicht durch Leistung (des A oder der B) geschehen. Diese Vermögensverschiebung war auf Kosten der B, da diese für nicht autorisierte Zahlungsvorgänge haftet (§ 675u BGB). Zuletzt war der Vermögenszuwachs ohne Rechtsgrund. Der Anspruch auf Herausgabe der €1000 gegen C besteht.

5. Rechtsscheingesichtspunkte werden hier außer Acht gelassen.

Genau, so ist das!

Im Falle einer fehlenden Zahlungsautorisierung (Anweisung) hat der vermeintlich Angewiesene (Bank) keinen Erstattungsanspruch gegen den vermeintlich Anweisenden. Der Betrag ist zu erstatten (§ 675u S. 1 BGB). Bereicherungsrechtlich kommt deshalb nach dem BGH nur eine (Nichtleistungs-)Direktkondiktion des Zahlungsdienstleisters gegen den Zahlungsempfänger in Betracht. Nach neuer Rechtsprechung bleibt wegen dieser gesetzlichen Wertungen der §§ 675j, 675u BGB kein Raum mehr für Rechtsscheingesichtspunkte.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IS

IsiRider

15.12.2023, 15:49:51

Seit wann gibt es die neue Rspr.?

kaan00

kaan00

15.1.2024, 16:56:43

Bitte das Urteil verlinken!

rlaw

rlaw

25.1.2024, 10:01:28

https://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/bghz111_382.htm

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.3.2024, 13:27:08

Hallo ihr Lieben, die Zahlungsdiensterichtlinie ist im Jahr 2009 in Kraft getreten. Im Hinblick zu dem sich daraus entwickelten Streit hat der BGH 2015 dann Stellung bezogen und seine Rechtsprechung teilweise aufgegeben (BGH, Urteil vom 16.06.2015 - XI ZR 243/13 = https://openjur.de/u/839638.html). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LS2024

LS2024

8.3.2024, 13:33:19

Die Anweisung ist ja sowohl bei widerrufener Anweisung (§ 130 I 2 BGB) als auch bei der Geschäftsunfähigkeit des Anweisenden von Anfang an unwirksam. Laut dem BGH sind die Fälle aber unterschiedlich zu behandeln, nur im ersten Fall kann die Bank gegen den Anweisenden per Leistungskondiktion vorgehen. Nun verstehe ich, dass nach dem Zahlungsdiensterecht ohne wirksame Autorisierung kein Anspruch aus dem Zahlungsdienstevertrag besteht. Aber bei einer widerrufenen Anweisung bestünden doch auch keine vertraglichen Ansprüche gegen den Anweisenden, oder? Wo liegt also der Unterschied, der die Andersbehandlung durch den BGH rechtfertigt?

LS2024

LS2024

13.3.2024, 13:25:18

Die Rechtfertigung liegt in den Besonderheiten der Zahlungsdienste. Die Bank hätte keine Zahlungsansprüche gegen den vermeintlich Anweisenden. Dieses Argument könnte man möglicherweise auch auf den Widerruf übertragen. Das hat der BGH noch nicht entschieden. Insofern gibt es für die Andersbehandlung keine wirkliche Rechtfertigung.

LS2024

LS2024

13.3.2024, 13:28:58

Kommt es hier überhaupt auf die Spezifika des Rechts der Zahlungsdienste an? Es entspricht zumindest nicht meinem Rechtsgefühl, dass die Anweisung dem Geschäftsunfähigen zurechenbar ist.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.3.2024, 13:37:01

Hallo LS2024, der BGH hatte früher differenziert: (1) In Fällen, in denen es an einer wirksamen Anweisung gefehlt hat, sollte die Anweisung nicht zurechenbar sein. Damit fehlte es an der Leistung und der Angewiesene konnte direkt gegen den Empfänger über die

Nichtleistungskondiktion

vorgehen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB). Zur unwirksamen Anweisung zählte u.a. Fälschung/Verfälschung des Überweisungsauftrages, aber auch die Geschäftsunfähigkeit des Anweisenden. Schon nach der alten Rechtsprechung stand dem Angewiesenen (=Bank) also ein Anspruch zu. In der Tat hat sich also durch die Zahlungsdiesnsterichtlinie nichts geändert. (2) Abweichend davon hat er die Rechtslage beurteilt, wenn ein Widerruf nicht beachtet wurde, eine Zuvilüberweisung erfolgte. Die Mitveranlassung des Kontoinhabers sollte dazu führen, dass ihm die Anweisung dennoch zurechenbar war. Somit sei eine Direktkondiktion gegen den Empfänger hier ausgeschlossen. Diese Trennung wurde nunmehr gänzlich aufgegeben, sodass es stets an einer Leistung des Zahlers fehlt. Damit ist der Weg frei für die Direktkondiktion der Bank. schau Dir hierzu gerne einmal das folgende Urteil an: BGH, Urteil vom 16.06.2015 - XI ZR 243/13 RdNr. 24 (https://openjur.de/u/839638.html). Im Ergebnis vereinfacht sich damit die Prüfung. Unabhängig des Grundes der fehlenden Autorisierung fehlt es an einer Leistung des Zahlers. Ich hoffe, jetzt ist es noch etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LS2024

LS2024

20.5.2024, 13:26:04

Danke für diese sehr hilfreiche Antwort.

FL

Flohm

22.4.2024, 17:16:41

Kann man das im Examen einfach so prüfen / vertreten oder muss man noch einen Streit darüber führen ?

Maximilian Puschmann

Maximilian Puschmann

13.5.2024, 19:39:52

Hallo Flohm, wenn ein solcher Klassiker in der Form nochmal im Examen drankommt, würde ich (nach meiner Ansicht) den Streit schnell skizzieren. Er ist noch in den Köpfen der Prüfer und zeigt, dass du souverän mit der Materie bist. Beste Grüße Max - für das Jurafuchs-Team

JI

Jimmy105

12.11.2024, 22:01:50

Ganz am Ende liegt ein Tippfehler vor. Die Erstattungspflicht der Bank gegenüber dem "vermeintlichen" Zahler bestimmt sich nach §675u S.2

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

13.11.2024, 17:49:00

Hallo Jimmy105, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Jurafuchs

Zurechnung einer Leistung wegen Rechtscheins

K und V schließen einen Kaufvertrag über eine Gitarre (§ 433 BGB). V muss diese erst von D kaufen. Er vereinbart mit D, dass dieser an K liefern soll, widerruft dies aber wegen Unklarheit über die Wirksamkeit des Vertrages mit K. Der Widerruf kommt allerdings nicht bei D an. D liefert an K.

Fall lesen

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen