Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Entziehung (durch Weiterveräußerung)

Entziehung (durch Weiterveräußerung)

17. Februar 2025

13 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A leiht B sein Handy. B veräußert es an den gutgläubigen C.

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Einordnung des Falls

Entziehung (durch Weiterveräußerung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat das Eigentum des A verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er das Handy des A veräußert hat.

Ja!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Zu (2): Eine wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten kann vorliegen nach den Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb (§§ 892f., 932ff. BGB; § 366 HGB) oder den gesetzlichen Eigentumsübergang (§§ 946ff. BGB). B hat das Eigentum am Handy an den gutgläubigen C übertragen (§§ 929 S. 1, 932 BGB). § 935 BGB steht nicht entgegen, weil das Handy dem A nicht abhandengekommen ist. A hatte es dem B geliehen.
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2. Die abschließenden Schadensersatzansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV, §§ 989, 990 BGB) sperren im Verhältnis A zu B unstreitig die Anwendbarkeit des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die §§ 987ff. BGB enthalten (mit wenigen Ausnahmen) abschließende Sonderregelungen der Ansprüche des Eigentümers gegen den unberechtigten Besitzer (auf Nutzungsherausgabe und Schadensersatz). Der deliktische Eigentumsschutz (§§ 823ff. BGB) ist damit subsidiär. Dies setzt jedoch eine sog. Vindikationslage voraus, d.h. einen Anspruch des Eigentümers gegen den Besitzer auf Herausgabe nach § 985 BGB, der nicht durch ein Besitzrecht des Besitzers gehindert ist. Die h.L. bejaht ein solches vertragliches Besitzrecht unabhängig davon, ob der Besitzer möglicherweise die Grenzen seines Besitzrechts überschreitet (nicht unähnlich der Diskussion zum nicht-so-berechtigten Besitzer). Der Eigentümer sei durch vertragliche und deliktische Schadensersatzansprüche ausreichend geschützt und es gehe den §§ 989ff. BGB nicht um ein Recht zum Beschädigen oder Veräußern, sondern nur um ein Recht zum Besitz - und das liege hier vor. Nach einer älteren Entscheidung des BGH (BGH NJW 1960, 192) und einem T.d.L. kann im Fall eines so genannten Aufschwingens vom Fremd- zum Eigenbesitzer eine Vindikationslage entstehen, weil Fremd- und Eigenbesitz grundverschieden seien. Nach der h.L. war B berechtigter Besitzer, denn er hatte ein Recht zum Besitz aus dem Leihvertrag mit A (§ 598 BGB). Mit der Entscheidung des BGH ließe sich dagegen eine Vindikationslage annehmen. Wie genau die Entscheidung zu verstehen ist, ist allerdings ebenfalls umstritten. Einige nehmen an, dass der BGH nur dann eine Vindikationslage bejaht, wenn durch das Aufschwingen das vorherige Besitzrecht des Besitzers erlischt - was insbesondere bei gemieteten oder geliehenen Sachen grds. nicht der Fall ist. Eine entsprechende Einschränkung lässt sich dem Urteil allerdings jedenfalls dem Wortlaut nach kaum entnehmen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEL

gelöscht

2.6.2020, 23:15:32

Die erste Antwort, dass kein Ebv besteht, entspricht nicht der hM, da sich B durch die Übereignung an C vom Fremd- zum

Eigenbesitz

er aufschwingt und dadurch vom berechtigten Fremd- zum nichtberechtigten

Eigenbesitz

er wird. Zudem stellt ein Eigentumserwerb durch Gesetz gerade keine Verfügung dar, wie es in der zweiten Antwort steht und kann damit keinen Schadensersatzanspruch iSd 823 I BGB auslösen.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

3.6.2020, 02:04:10

Als hM würde ich den Reichseisenbahnfeldlokomotivenfall des BGH (BGHZ 31, 129) aus den 50er Jahren jetzt nicht bezeichnen, zumal er da den viel offensichtlicheren Anspruch aus GoA übersehen hat. ;) Die h.L. sieht das zumindest anders: vgl. Müko/Raff Vor 987 Rn. 42; Jauernig/Berger Vor 987 Rn. 7.

LS2024

LS2024

28.4.2024, 12:26:56

Aber einer Erwähnung wäre es definitiv wert, das würde helfen dieses Problem in der Klausur zu identifizieren.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

8.1.2025, 10:18:13

Hallo @gelöscht, vielen Dank für Deinen Hinweis. Zu Deinem ersten Punkt: Rechtlich ist die Lage leider um einiges komplexer. Die von Dir angesprochene "hM" lässt sich im Kern auf eine recht vereinzelt gebliebene Entscheidung des BGH zurückführen, nämlich die von @[Eigentum verpflichtet 🏔️](99723) genannte (in unseren Quellen zur Aufgabe verlinkt). Dort wurde in der Tat gesagt, dass auch in der Begründung von

Eigenbesitz

eine erneute Besitzergreifung iSd § 990 I BGB zu sehen sein kann. Ob das selbst vor dem Hintergrund der BGH-Entscheidung der Fall ist, wird allerdings kontrovers diskutiert. Das

Urteil

enthält zwar keine sprachlichen Einschränkungen dahingehend, dass eine

Vindikationslage

bei einem so genannten Aufschwingen vom Fremd- zum

Eigenbesitz

er nicht immer vorliege. Einige Stimmen im Schrifttum verstehen es aber so, dass eine

Vindikationslage

nur dann vorliege, wenn durch das Aufschwingen auch das bisherige

Besitzrecht

erlösche - was zB bei einem Besitz iRe GoA der Fall ist, bei einem

Besitzrecht

aus Miete oder

Leihe

aber gerade grds nicht (Einzelheiten zum Streitstand bei BeckOK-BGB/Fritzsche, 72. Ed, Stand 1.11.2024, § 987 Rn 26 f). Die Lage ist dementsprechend alles andere als eindeutig. Wir haben die Aufgabe aber jetzt zumindest insoweit überarbeitet, als wir diese Diskussion klarer darstellen, @[LS2024](144077). Zu Deinem zweiten Punkt: Das ist jedenfalls so pauschal nicht richtig. Vielmehr dürfte es gut vertretbar, wenn nicht sogar allgM sein, dass eine

Eigentumsverletzung

auch in der Verfügung eines Nichtberechtigten und damit verbundenem Eigentumsverlust nach §§ 932 ff BGB liegt (BGH NJW 1996, 1535, 1537; BeckOK-BGB/Förster, 72. Ed, Stand 1.11.2024,

§ 823

Rn 121). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

ZAV

Zavviny

22.9.2020, 09:26:34

Was ist mit dem nicht so berechtigten Besitzer?!

LS2024

LS2024

28.4.2024, 12:28:02

Könnte man mMn in der Klausur auch erwähnen. Auch hier fände ich es erwähnenswert.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

8.1.2025, 10:36:38

Hallo @[Zavviny](37527), hallo @[LS2024](144077), mit der Figur des "nicht-so-berechtigten Besitzers" meint man in der Tat Fälle, in denen der Besitzer sein ihm tatsächlich zustehendes

Besitzrecht

überschreitet. Natürlich gehören zu diesem Überschreiten dem Wortlaut nach auch Fälle des Veräußerns einer fremden Sache ohne Zustimmung des Eigentümers. Allerdings werden die durchaus verbreitet unter dem besonderen Begriff des Aufschwingens vom Fremd- zum

Eigenbesitz

er erfasst und separat behandelt (so zB von BeckOK-BGB/Fritzsche, 72. Ed, Stand 1.11.2024, § 987 Rn 25 ff; BeckOGK-BGB/Spohnheimer, Stand 1.11.2024, § 987 Rn 21 f). Je nach vertretener Auffassung verläuft die rechtliche Argumentation vor diesem Hintergund natürlich recht ähnlich, kann aber auch abweichen (s zB BeckOGK-BGB/Spohnheimer aaO). Wir haben jetzt zumindest einen kurzen Hinweis auf den "nicht-so-berechtigten Besitzer" eingefügt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Sassun

Sassun

26.7.2024, 12:59:50

Hatte mich kurzzeitig gefragt, ob das EBV nicht schon wg. fehlendem Eigentums von A scheitert, vielleicht fragt sich das ja noch jemand, hier jedenfalls Überlegungen dazu: Für die Frage, ob die §§ 989 ff. die §

§ 823

ff. nach § 993 I Hs. 2 sperren müsste geklärt werden ob zwischen A und B ein EBV vorliegt. I. B müsste im schädigenden Zeitpunkt (bzw. eine jur. Sekunde vor der Verfügung an C) Besitzer sein. Das ist er gem. § 854 I II. A müsste Eigentümer sein. Dass C gutgläubig Eigentum erworben hat, ist hier nicht relevant, im schädigenden Zeitpunkt, demjenigen der Veräußerung des B (also eine juristische Sekunde davor), war A noch Eigentümer. III. RzB B hat nach wohl aktueller h.M. ein Recht zum Besitz iSv § 986 I 1 Alt. 1 ggü. A aus dem

Leihvertrag

(§ 598). Achtung: Der

Herausgabeanspruch

aus § 985 würde einen anderen Zeitpunkt zugrunde legen, als der Anspruch aus §§ 989, 990. Sollte hier etwas fehlerhaft dargestellt worden sein, freue ich mich über Kritik.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.1.2025, 12:48:28

Hey @[Sassun](247789), vielen Dank für die ergänzende Erläuterung zu dieser Aufgabe. Wie Du schon sagst, ist es sehr wichtig, sich immer den maßgeblichen Zeitpunkt für die Be

urteil

ung der Vrss. eines EBVs vor Augen zu führen. Deine Überlegungen hierzu sind genau richtig. Liebe Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

Vincent

Vincent

19.12.2024, 11:56:35

In der Aufgabenstellung wird von einem "Veräußern" gesprochen. Eine Veräußerung meint im Regelfall einen Verkauf. In einer der Fragen wird das

Besitzrecht

jedoch mit einer

Leihe

begründet. Meiner Meinung nach widerspricht sich dies.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.1.2025, 12:43:14

Hey Vincent, danke für Deinen Kommentar. Tatsächlich liegt hier kein Widerspruch vor: Du musst hier zwei Beziehungen unterscheiden: 1. Den

schuld

rechtlichen

Leihvertrag

zwischen A und B. 2. Die sachenrechtliche Veräußerung des Telefons von B an C. In der ersten Frage geht es zunächst darum, ob A überhaupt Ansprüche aus Delikt gegen B stellen kann, weil dieser das geliehene Telefon an C veräußert hat. Das Deliktsrecht wäre grundsätzlich gesperrt, also nicht anwendbar, wenn zwischen A und B ein EBV bestünde. Dann würden sich As Ansprüche vorrangig nach den §§ 987ff. BGB richten. Dies setzt jedoch voraus, dass B zum Zeitpunkt der Veräußerung des Telefons kein Recht zum Besitz gehabt hätte. Dieses Recht ergibt sich hier aber aus dem

Leihvertrag

598 BGB

). Das Leihverhältnis ist damit relevant für die Frage nach der Anwendbarkeit von

§ 823

Abs. 1 BGB. Im nächsten Schritt geht es darum, ob der

Tatbestand

des

§ 823

Abs. 1 BGB erfüllt ist, konkret: Ob B das Eigentum des A verletzt hat. Hier wird das Verhältnis B-C relevant: Durch die Veräußerung von B an C erwirbt C alleiniges Eigentum an dem Telefon (§§ 929 S. 1,

932 BGB

). Sprich: A verliert sein Eigentum. B verletzt das Eigentum des A, weil Bs Handeln dazu führt, dass A sein Eigentum verliert. Damit besteht eine

Eigentumsverletzung

i.S.v.

§ 823

Abs. 1 BGB. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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