„Funkenflug“-Fall

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Funkenflug-Fall (BGHZ 40,28):Durch Funkenflug verursacht eine Bahn einen Waldbrand. Die freiwillige Feuerwehr löscht den Brand.

Durch Funkenflug verursacht eine Bahn auf der Strecke zwischen Kassel und Frankfurt einen Waldbrand. Die Gemeinde (G) lässt den Brand durch ihre freiwillige Feuerwehr löschen. G verlangt von der Deutschen Bahn (B) Ersatz der Löschkosten.

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Einordnung des Falls

Der Funkenflug-Fall des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1963 befasst sich mit der bis heute strittigen Frage, inwieweit ein „pflichtengebundener Geschäftsführer“, der selbst zur Vornahme einer bestimmten Handlung verpflichtet ist, gegenüber dem Geschäftsherrn einen Aufwendungsersatzanspruch aus der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) besitzt. Der BGH hat entschieden, dass auch in solchen Konstellationen des „auch-fremden“ Geschäfts ein Fremdgeschäftsführungswille vermutet werde und dementsprechend ein Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB besteht.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Müsste G mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt haben? Zu unterscheiden sind dabei objektiv fremde, subjektiv fremde und „auch-fremde“ Geschäfte.

Ja!

Der Geschäftsführer muss das Geschäft für einen anderen besorgen (§ 677 BGB). Dies erfordert Willen und Bewusstsein, für einen anderen tätig zu werden (Fremdgeschäftsführungswille). Dabei ist zu unterscheiden: objektiv fremde Geschäfte fallen schon äußerlich in einen fremden Interessenkreis, hier wird der Wille vermutet. Subjektiv fremde Geschäfte sind neutral, der Wille muss positiv festgestellt werden. Bei „auch-fremden“ Geschäften liegt die Übernahme im eigenen und im fremden Interesse. Der Wille wird auch hier vermutet.
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2. Entsprach die Übernahme der Geschäftsführung durch G dem Interesse und dem mutmaßlichen Willen der B?

Genau, so ist das!

Die Übernahme muss dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprechen (§ 683 S. 1 BGB). Das Interesse ist aus Sicht eines verständigen Dritten zu bestimmen. Mangels geäußerten Willens ist dabei auf den objektiv zu beurteilenden mutmaßlichen Willen abzustellen. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Übernahme. G war von B nicht beauftragt (§ 677 BGB). BGH: Wegen der Schadensersatzpflicht sei B an einer Schadensverringerung interessiert gewesen (RdNr. 3a). Diesem Interesse entsprach auch ihr mutmaßlicher Wille. G kann von B Ersatz der Löschkosten (§§ 683 S. 1, 670, 677 BGB) verlangen.

3. Hat G ihre eigenen öffentlich-rechtlichen Pflichten erfüllt, als sie das Feuer gelöscht hat? Hat sie deshalb ein eigenes Geschäft ohne Fremdgeschäftsführungswillen geführt?

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Nach den Grundsätzen des „auch-fremden“ Geschäfts sei es möglich, dass der Geschäftsführer mit dem Geschäft eigene öffentlich-rechtliche Pflichten erfüllt und zugleich die Interessen Dritter bedient. Zwar habe G in Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten (Gefahrenabwehr) gehandelt und ein eigenes Geschäft geführt. Ihr Handeln bezweckte aber auch die Hilfeleistung für Dritte, die durch das Feuer Schaden erleiden konnten. Dies schließe B ein, die gegenüber den brandgeschädigten Waldeigentümern schadensersatzpflichtig und damit erkennbar an einer Schadensverringerung interessiert gewesen sei (RdNr. 3a).

4. Könnte G gegen B einen Anspruch auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag („GoA“) haben (§§ 683 S. 1, 670, 677 BGB)?

Ja!

Die berechtigte GoA (§§ 677ff. BGB) setzt voraus: (1) Anwendbarkeit der Vorschriften, (2) Geschäftsbesorgung, (3) fremdes Geschäft, (4) Fremdgeschäftsführungswillen, (5) ohne Auftrag, (6) Berechtigung.

5. Hat G ein Geschäft besorgt, indem sie den Waldbrand gelöscht hat?

Ja, in der Tat!

Der Begriff der Geschäftsbesorgung ist hier wie im Auftragsrecht (§ 662 BGB) weit zu verstehen und umfasst jede tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit. BGH: Mit der Brandbekämpfung sei G tatsächlich tätig geworden und habe somit ein Geschäft besorgt (RdNr. 3a).

6. Ist die Anwendbarkeit der Vorschriften über die GoA ausgeschlossen, da Spezialregelungen über die Gefahrenabwehr greifen?

Nein!

Die Vorschriften über die GoA sind nicht anwendbar, wenn vorrangige Sondervorschriften greifen. Es existieren keine abschließenden Regelungen zur Kostenerstattung bei Gefahrenabwehr, die die Anwendbarkeit der GoA ausschließen (RdNr. 3b).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ZAV

Zavviny

19.9.2020, 15:54:29

Eingangs gestellte Frage und Antwort sind widersprüchlich bzw unsachgemäß, was den weiteren Verlauf angeht. So wird die GoA ohne weiteres bejaht, ohne auf die problematischen Merkmale hinzuweisen; es wird der Eindruck vermittelt, dass es selbstverständlich so beantwortet werden muss, um im Anschluss Fragen zu stellen, die genau diese problematischen Felder aufzeigen. Das hätte besser in erster Frage/Antwort gehandhabt werden können. Es wurde eigentl nur die Geschäftsbesorgung thematisiert, wobei es bei der Antwort auf 1.Frage wirkt als wären alle anderen Prüfungspunkte miteinbegriffen. Sonst, wie gewohnt, tolles Konzept. Danke fürs Bereitstellen.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.9.2020, 10:34:34

Hallo Zavviny, danke für deine Anmerkung. Bitte lese nochmal die erste Frage. Diese besteht aus dem Obersatz: "G könnte gegen B einen Anspruch auf

Aufwendungsersatz

aus Geschäftsführung ohne Auftrag haben." Anschließend folgt die Behauptung die man bejahen soll: " G hat ein Geschäft besorgt, indem sie den Waldbrand gelöscht hat." In der Antwort gehen wir dann zunächst allgemein auf die Tatbestandsmerkmale der GoA ein, um danach aber auch nur das erste Merkmal "Geschäftsbesorgung" zu bejahen, wie es in der Ausgangsfrage behauptet wird. LG :)

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.9.2020, 10:38:20

Wir haben jedoch die Formatierung etwas angepasst, sodass es jetzt klarer sein sollte ;)

Pilea

Pilea

27.8.2023, 11:48:09

Kann G von B den vollen Ersatz der Aufwendungen verlangen, oder gibt es eine irgendwie geartete Teilung bei einem auch-fremden Geschäft?

ASA

asanzseg

22.9.2023, 13:03:36

@[Pilea ](189001) nein! Eine Teilung auf Schadensebene gibt es nur bei Mitverschulden und bei dem Grundsatz der Erhebung « ortsüblicher Kosten ».


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