Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Aufgaben & Pflichten der Bundesregierung

Staatliches Informationshandeln der Bundesregierung (Osho-Fall)

Staatliches Informationshandeln der Bundesregierung (Osho-Fall)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Im Zuge einer öffentlichen Diskussion um neue religiöse Bewegungen Ende der 1970er Jahre bezeichneten Mitglieder der Bundesregierung die Osho-Bewegung u.a. als „destruktive“ und „pseudoreligiöse“ Jugendsekte. Der M e.V., ein Meditationsverein der Osho-Bewegung, ist empört.

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Einordnung des Falls

Staatliches Informationshandeln der Bundesregierung (Osho-Fall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der M e.V., der die Lehren des sog. Osho-Rajneesh zum Sinn der Welt und des menschlichen Lebens pflegt, ist vom persönlichen Schutzbereich der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) umfasst.

Genau, so ist das!

M ist als Verein des bürgerlichen Rechts (§ 21 BGB) eine juristische Person des Privatrechts und somit nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsfähig, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach sie anwendbar sind. BVerfG: Art. 4 GG gelte auch für inländische juristische Personen, „wenn ihr Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses ist“. M verfolgt hier den Zweck, die Lehren des sog. Osho-Rajneesh zu pflegen, die den Sinn der Welt und des menschlichen Lebens auf umfassende Weise erklären. Dabei handelt es sich jedenfalls um eine Weltanschauung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG (RdNr. 50).
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2. Die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) schützt in sachlicher Hinsicht auch vor verfälschenden Darstellungen einer weltanschaulichen Gemeinschaft durch den Staat.

Ja, in der Tat!

Die Religionsfreiheit umfasst das Recht zur Verbreitung einer Weltanschauung sowie zur Förderung des jeweiligen Bekenntnisses. BVerfG: Bedeutung und Tragweite dieser Gewährleistungen finden darin ihren besonderen Ausdruck, dass der Staat verpflichtet ist, sich in Fragen des weltanschaulichen Bekenntnisses neutral zu verhalten und Zurückhaltung zu wahren. Dies ergebe sich aus Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 1, Art. 33 Abs. 3 und Art. 140 GG (RdNr. 53). Die Religionsfreiheit schützt danach zwar nicht vor kritischer Auseinandersetzung im öffentlichen Diskurs, aber vor verfälschenden sowie diffamierenden und diskriminierenden Darstellungen.

3. Die vorliegenden Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung sind ein Grundrechtseingriff im „klassischen“ Sinn.

Nein!

Nach dem „klassischen" Eingriffsbegriff muss das staatliche Handeln, das zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt, final, unmittelbar und durch Rechtsakt geschehen sowie mit Zwang durchsetzbar sein (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15.A. 2018, Vorb. Art. 1 RdNr. 25). Die Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung erfüllen vorliegend keines dieser Merkmale, da sie lediglich als staatliches Informationshandeln einzustufen sind (RdNr. 68f.).

4. Der Grundrechtsschutz der Religionsfreiheit ist auf Eingriffe im „klassischen“ Sinn beschränkt.

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerfG: Mittelbar-faktische Beeinträchtigungen seien ebenfalls vom Grundrechtsschutz umfasst. Das Grundgesetz habe den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht an den Begriff des Eingriffs gebunden oder diesen inhaltlich vorgegeben (RdNr. 70). Hier sind die Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung mittelbar-faktische Eingriffe in die Religionsfreiheit. Sie wirken sich für die Osho-Bewegung negativ aus, denn aufgrund der staatlichen Äußerungen könnten Mitglieder austreten oder Interessenten abgeschreckt werden.

5. Die Bundesregierung kann sich im Rahmen der Rechtfertigung auf ihre verfassungsrechtliche Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit berufen.

Ja, in der Tat!

Das BVerfG sieht die Informationstätigkeit als Teil der - der Bundesregierung zugewiesenen - Aufgabe, „im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit auch auf aktuelle streitige, die Öffentlichkeit erheblich berührende Fragen einzugehen und damit staatsleitend tätig zu werden“ (RdNr. 73). Die Öffentlichkeitsarbeit sei eine Grundrechtsschranke und ergebe sich aus der verfassungsrechtlichen Aufgabe der Bundesregierung zur Staatsleitung (Art. 62ff. GG).

6. Die Äußerungen sind verfassungswidrig, da keine explizite Ermächtigungsgrundlage für die staatliche Warnung existiert.

Nein!

Nach dem Vorbehalt des Gesetzes bedürfen Grundrechtseingriffe einer Ermächtigungsgrundlage. BVerfG: Der Vorbehalt des Gesetzes gelte nicht für Grundrechtsbeeinträchtigungen, die mittelbar-faktische Wirkungen staatlicher Informationen sind. Können Aufgaben der Regierung mittels öffentlicher Informationen wahrgenommen werden, liege in der Aufgabenzuweisung grundsätzlich zugleich eine Ermächtigung zum Informationshandeln. Die Voraussetzungen staatlicher Informationstätigkeit ließen sich aufgrund der Vielgestaltigkeit der in Betracht kommenden Lebenssachverhalte nicht sinnvoll regeln (RdNr. 76ff.).

7. Staatliches Informationshandeln ist stets zulässig und unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Grenzen.

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerfG: Dass keine besondere Ermächtigung zum Informationshandeln erforderlich ist, bedeutet nicht, dass dieser Tätigkeit keine verfassungsrechtlichen Grenzen gesetzt sind. Erforderlich sei zum einen, dass die Kompetenzordnung des GG (Verbands- und Organkompetenz) gewahrt ist, die handelnden Organe sich also im Rahmen ihrer Zuständigkeit äußern. Zum anderen müsse die Tätigkeit den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen (RdNr. 83ff.).

8. Die Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung über die Osho-Bewegung verstoßen gegen die grundgesetzliche Kompetenzordnung.

Nein, das trifft nicht zu!

BVerfG: Die Äußerungen seien Teil der staatsleitenden Informationsarbeit der Bundesregierung gewesen. Denn sie stellten einen Beitrag in der Auseinandersetzung mit neuen religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen dar, den die Bevölkerung von der Bundesregierung als staatsleitendem Organ erwarte. Die Äußerungen bewegten sich auch im Rahmen der Verbandskompetenz der Bundesregierung. Anlass für die Äußerungen waren Vorgänge in der Osho-Bewegung, die sich nicht auf ein oder mehrere Bundesländer beschränkten sowie Bezüge zum Ausland aufwiesen und damit einen öffentlichen Handlungsbedarf des Bundes auslösten (RdNr. 87ff.).

9. Die Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung über die Osho-Bewegung verstoßen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Ja!

Auch mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen sind am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu messen. Das BVerfG sieht in dem Ziel, Jugendliche durch Informationshandeln vor der Osho-Bewegung zu schützen, zwar einen legitimen Zweck. Allerdings seien die Attribute „destruktiv“ und „pseudoreligiös“ für M diffamierend und damit in Anbetracht der Bedeutung des Grundrechts der Weltanschauungsfreiheit und der Neutralitätspflicht des Staates jedenfalls unangemessen (RdNr. 91ff.).
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