Zivilrechtliche Nebengebiete

Arbeitsrecht

Störungen des Arbeitsverhältnisses

Freistellungsanspruch bei Insolvenz des Arbeitgebers

Freistellungsanspruch bei Insolvenz des Arbeitgebers

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Der bei A beschäftigte Baggerfahrer B durchtrennt bei den Bauarbeiten für den Vorgarten des Bauherrn H fahrlässig eine Gasleitung, wodurch das Haus des H zerstört wird. Das Bauunternehmen des A ist insolvent.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Freistellungsanspruch bei Insolvenz des Arbeitgebers

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B muss uneingeschränkt Schadensersatz (§ 823 BGB) an H leisten und kann sich ihm gegenüber nicht auf die Haftungsprivilegierung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs berufen.

Ja, in der Tat!

Die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs gelten nur im Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (keine Außenwirkung). Wenn der Arbeitnehmer also im Rahmen seiner betrieblichen Tätigkeit einen außenstehenden Dritten schädigt, kann der Dritte seinen Schaden gegenüber dem Arbeitnehmer uneingeschränkt geltend machen.
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2. Allerdings steht dem B ein Freistellungsanspruch gegenüber A zu.

Ja!

Zwar kann der Arbeitnehmer sich gegenüber Dritten nicht auf die Haftungsprivilegierung berufen. Basierend auf den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs steht ihm aber gegenüber seinem Arbeitgeber ein Rückgriffsanspruch zu. Hat der Arbeitnehmer den Schaden noch nicht ersetzt, steht ihm alternativ ein Freistellungsanspruch zu. Er kann verlangen, dass der Arbeitgeber ihn entsprechend seiner Haftungsquote gegenüber dem Dritten freistellt (§§ 670 BGB iVm 257 BGB). B hat dem H den Schaden bisher noch nicht ersetzt. Dieser Schaden stellt einen risikotypischen Begleitschaden dar, der analog § 670 BGB zu ersetzen ist. B hat daher einen Freistellungsanspruch entsprechend seiner Haftungsquote gegenüber A (§§ 670 iVm. 257 BGB).

3. Durch diesen Freistellungsanspruch kann B den Schaden hier teilweise auf den A abwälzen und muss ihn nicht alleine tragen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Wenn der geschädigte Dritte vom Arbeitnehmer Schadensersatz verlangt und dieser einen Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber (§§ 670 iVm. 257 BGB) hat, ist der Arbeitnehmer grundsätzlich (anteilig) von der Haftung befreit. Dies gilt aber dann nicht, wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig ist. Bei Insolvenz des Arbeitgebers haftet der Arbeitnehmer daher in vollem Umfang, da andernfalls der geschädigte Dritte leer ausgehen würde. A ist aufgrund seiner Insolvenz zahlungsunfähig und kann seiner Freistellungsverpflichtung nicht nachkommen. Da B das Insolvenzrisiko seines Arbeitgebers trägt, bleibt er in voller Höhe zur Schadensersatzzahlung an H verpflichtet und trägt den Schaden alleine.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Eli8

Eli8

7.11.2023, 17:11:48

Ist die letzte Frage so zu verstehen, dass der Arbeitnehmer bei Insolvenz des Arbeitgebers bereits keinen Anspruch auf Ausgleich hat oder muss man den Anspruch trotzdem durchprüfen und bejahen, er ist dann aber wegen der Insolvenz nicht vollstreckbar? Falls bereits der Anspruch verneint werden muss, bei welchem Prüfungspunkt fliegt man dann raus?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.12.2023, 15:12:13

Hallo Navid, der Freistellunganspruch bleibt tatsächlich bestehen. Im Falle der Insolvenz wird der Arbeitnehmer ihn aber häufig nicht durchsetzen können und auf einem Großteil der Kosten sitzen bleiben (je nach Umfang der Insolvenzmasse, Zahl der sonstigen Gläubiger...). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

HAN

hannabuma

17.1.2024, 15:37:02

Wo stellt man das dann fest in der Prüfung? Im Rahmen der Rechtsfolge, nachdem man den Umfang der Haftungsbegrenzung prüft?

JO

Jojo23

4.3.2024, 19:39:02

In einer Klausur müsste man wahrscheinlich auch Ansprüche gegen den Arbeitgeber prüfen. Angenommen der Arbeitgeber ist nicht insolvent, welche wären diese? Muss er sich das Verhalten des Arbeitnehmers nicht zurechnen lassen (276 ; 831)?

CR7

CR7

11.6.2024, 20:29:52

Ja, es besteht ein Anspruch auf vertraglichen SE i.V.m.

§ 278 BGB

, da der AN mit Wissen und Wollen im

Pflichtenkreis

des AG tätig wird. Wenn der AG sich nicht entlasten kann, wird auch ein Anspruch aus § 8

31 BGB

bestehen. Da der Geschädigte aber nicht doppelt profitieren darf und soll, haften AN und AG als Gesamtschuldner, dann müssen sie sich im Innenverhältnis je nach Zahlungsreihenfolge einigen

SL

slowloris

14.6.2024, 15:13:23

Ist das hier nicht ein klassischer Fall der gestörten Gesamtschuld? Oder stehe ich auf dem Schlauch

Sambajamba10

Sambajamba10

15.8.2024, 11:24:47

Hallo @[slowloris](202069), nein, das ist kein klassischer Fall einer gestörten Gesamtschuld. Die Gesamtschuld ist "klassisch" gestört, wenn einer der Schädiger eine Haftungsbeschränkung gegenüber dem Gläubiger hat. Man könnte höchstens Andenken, ob eine isolierte Haftungsbeschränkung (Haftungsbeschränkung gegenüber dem anderen Schuldner) vorliegt, wobei es streitig ist , ob diese zulässig ist. Allerdings liegen die Voraussetzungen einer Haftungsbeschränkung anscheinend nicht vor, wenn der Arbeitgeber insolvent ist. Daher ist das hier vielmehr die normale Situation einer Gesamtschuld; der eine Mieter hat kein Geld, also hol ich mir alles, was mir zusteht, von dem anderen und dann sollen die das unter sich klären.


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