Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Vorverfahren Widerspruch (§§ 68ff. VwGO): Frist zur Erhebung des Widerspruchs - Standardfall

Vorverfahren Widerspruch (§§ 68ff. VwGO): Frist zur Erhebung des Widerspruchs - Standardfall

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

S bietet ihr Sonnenstudio vorschriftswidrig auch Minderjährigen an. Da S wiederholt aufgefallen ist, untersagt die Behörde B am 01.03. den Betrieb (§ 35 Abs. 1 S. 1 GewO). S will sich wehren und erhebt am 02.04. Widerspruch. Widerspruchsbehörde W weist diesen als unzulässig zurück.

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Einordnung des Falls

Vorverfahren Widerspruch (§§ 68ff. VwGO): Frist zur Erhebung des Widerspruchs - Standardfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage setzt voraus, dass S die Untersagungsverfügung in einem Vorverfahren noch einmal überprüfen lässt.

Ja, in der Tat!

Vor Erhebung der Anfechtungsklage muss ein Vorverfahren erfolglos durchgeführt werden (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO), soweit nicht eine Ausnahme vorliegt (§ 68 Abs. 1 S. 2 VwGO). Das Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) ist Zulässigkeitsvoraussetzung. Es beginnt mit Erhebung des Widerspruchs (§ 69 VwGO). Im Vorverfahren hat die Ausgangsbehörde Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts zu überprüfen. Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden (Widerspruchsfrist) (§ 70 Abs. 1 VwGO). Andernfalls ist die Klage unzulässig. Das Vorverfahren dient der Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, dem Rechtsschutz und der Entlastung der Gerichte.
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2. Der Beginn und das Ende der Widerspruchsfrist (§ 70 Abs. 1 S. 1 VwGO) berechnen sich unter Heranziehung der §§ 187ff. BGB.

Ja!

Nach welchen Vorschriften sich die Fristberechnung richtet, ist umstritten. Eine Ansicht zieht §§ 79, 31 Abs. 1 VwVfG heran, eine andere § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO. Die Frage kann jedoch offen bleiben, da beide Ansichten Vorschriften für maßgeblich halten, die für die Fristberechnung letztlich auf die §§ 187ff. BGB verweisen.

3. S begehrt die Aufhebung der Untersagungsverfügung. Die Anfechtungsklage ist statthaft.

Genau, so ist das!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO). S begehrt die Aufhebung der Untersagungsverfügung, welche einen Verwaltungsakt darstellt (§ 35 S. 1 VwVfG). Ihre Klage ist mithin gerichtet auf die Aufhebung eines Verwaltungsakts. Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist statthaft.

4. Die Widerspruchsfrist begann am 01.03.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Fristlauf beginnt mit dem Tag, der auf das Ereignis folgt, durch das die Frist in Gang gesetzt wird (§ 187 Abs. 1 BGB). Das Ereignis ist die Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 70 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Frist beginnt somit am Tag nach der Bekanntgabe. Da die Bekanntgabe am 01.03. erfolgte, begann die Frist am 02.03.

5. Weil der Widerspruch verfristet war, hat die Behörde nicht in der Sache über den Widerspruch entschieden. Ist die Anfechtungsklage dennoch zulässig?

Nein!

Ist die Widerspruchsfrist abgelaufen, wird der Verwaltungsakt bestandskräftig. Die Behörde ist damit berechtigt, den Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen. Die Anfechtungsklage ist wegen der Bestandskraft ebenfalls ausgeschlossen. W hat keine Sachentscheidung über den Widerspruch getroffen, sondern ihn wegen der Verfristung als unzulässig zurückgewiesen. Wegen der Verfristung kein wirksamer Widerspruch des S i.S.v. § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO vor. Die Anfechtungsklage ist damit ebenfalls unzulässig. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, in dem die Behörde trotz Verfristung eine Entscheidung in der Sache trifft. Das Problem findest Du im Kapitel zum [q15838] Widerspruchsverfahren [/q]

6. S ist als Adressat der Untersagungsverfügung klagebefugt.

Genau, so ist das!

Die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) beurteilt sich danach, ob der Kläger durch den angegriffenen Verwaltungsakt möglicherweise in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (sog. Möglichkeitstheorie). Ist der Kläger Adressat eines belastenden Verwaltungsakts, ergibt sich die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) auch ohne Sachvortrag aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) (sog. Adressatentheorie). Als Adressat der an sie gerichteten Untersagungsverfügung ist S klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).

7. Die Frist endete am 02.04. Der Widerspruch der S war fristgemäß (§ 70 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Frist endet mit Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche bzw. des letzten Monats der Frist, welcher dem Tag entspricht, in den das Ereignis des Fristbeginns fällt (§ 188 Abs. 2 BGB). Mit anderen Worten: Bei der Monatsfrist entspricht der Tag des Fristendes dem Tag, an dem das die Frist auslösende Ereignis stattfand. Das die Frist auslösende Ereignis (die Untersagungsverfügung) erfolgte am 01.03. Daher endete die Monatsfrist (§ 70 Abs. 1 S. 1 VwGO) am 01.04. um 24 Uhr. S hat aber erst am 02.04. Widerspruch erhoben. Der Widerspruch war damit verfristet. W durfte diesen als unzulässig zurückweisen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CPAC

Christophh Pacyna

11.2.2020, 20:17:44

Gem. 41 Abs. 2 S. 1 Vwvfg gilt doch der im Inland durch die Post übermittelte Va erst am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als zugestellt, warum kann sich der S hierauf nicht berufen, wegen früherer tatsächlicher Kenntnisnahme?

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

22.2.2020, 00:00:55

Cp222820, ist mit der Frage gemeint, ob bei postalischer Übermittlung die Frist noch nicht am 02.03. begonnen hätte? Es sind nämlich im SV keine Angaben für eine Übermittlung per Post enthalten...

Hamburger Michel

Hamburger Michel

7.9.2020, 20:04:16

Auch hier müsste es an einer Stelle Widerspruch erheben statt einlegen heißen, § 69 VwGO.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

15.10.2020, 22:05:48

Haben wir entsprechend angepasst!

Carolin Hartmann

Carolin Hartmann

14.4.2022, 12:22:00

Ich merke mir das immer so, dass man erst einen Tag geschenkt bekommt (deswegen Fristbeginn nicht bereits am 1.3), dieser Tag wird einem am Ende des Monats aber wieder abgezogen. Deswegen nicht 2.4, sondern 1.4 ☺️

EL

Elisa

12.2.2023, 23:45:33

Aber warum kommt denn hier die Dreitagefiktion nicht zum Einsatz?

SE.

se.si.sc

13.2.2023, 10:35:28

Du spielst vermutlich auf die

3-Tages-Fiktion

des § 41 II 1 (B)VwVfG bzw. die entsprechende Regelung bei Einschreiben in § 4 II 2 VwZG an. Diese Vorschriften regeln den Bekanntgabezeitpunkt bei Versand auf dem Postweg. Laut dem Sachverhalt "untersagt" die

Behörde

der S am 1.3. den Betrieb. Das würde ich so auslegen, dass genau dieser Tag der Tag der Bekanntgabe sein soll - für die

3-Tages-Fiktion

bliebe daher kein Raum. Im Übrigen gelten die oben genannten Regelungen ohnehin nur dann, wenn die Untersagungsverfügung auf dem Postweg versandt worden wäre. Das wird zwar in der Praxis (so gut wie) immer der Fall sein (vgl. aber § 37 II 1 (B)VwVfG), lässt sich der kurzen Sachverhaltsschilderung allerdings nicht entnehmen.

GARFUC

GARFuchs

21.7.2023, 05:45:33

Die Frage zum Fristbeginn ist m.E. verwirrend, denn genau betrachtet beginnt die Frist ja mit dem Ereignis der Bekanntgabe am 1.3. Dieser Tag wird dann nur eben nicht mitgerechnet. Exakter ist es daher vom Fristbeginn 1.3. zu sprechen und am 2.3. vom Fristberechnungsbeginn. Andernfalls dürfte S streng genommen am 1.3. noch kein Widerspruch einlegen, weil dieser ja innerhalb der Frist eingelegt werden muss.

Dogu

Dogu

18.11.2023, 14:30:44

Die Überschrift von § 187 BGB ("Fristbeginn") ist eindeutig. 2.3. ist daher der Fristbeginn. Außerdem stimmt der letzte Satz nicht: Wichtig ist die Widerspruchserhebung vor Fristablauf. Der Fristbeginn ist diesbezüglich irrelevant. Ansonsten würde man ja dem Widerspruchsführer vorwerfen, er hätte sich zu früh zur Wehr gesetzt. Das wäre widersinnig. Wenn überhaupt, steckt ein Meinungsstreit nur darin, ob vor Bekanntgabe eines VA Widerspruch erhoben werden kann. Auch dies dürfte zu bejahen sein, da für eine Einschränkung kein Anlass besteht.

Paul

Paul

2.8.2024, 13:08:31

Hi liebes Jurafuchs-Team, die Formulierung "Als [der Widerspruch] erfolglos bleibt..." ist mMn etwas unpräzise, lässt sie doch die Interpretationsmöglichkeit offen, dass die

Behörde

über den Widerspruch entschieden hat. In diesem Fall wäre die Verfristung aber nach hM geheilt und die Klage in diesem Punkt schlussendlich doch zulässig, richtig? Natürlich ist auch die Interpretation möglich, dass der Widerspruch keinen Erfolg hat, weil die

Behörde

ihn für unzulässig erachtet. Klar wird das aber aus dem Sachverhalt nicht, oder? Vielleicht wäre eine genauere Formulierung eine Idee zur Verbesserung? :) Beste Grüße Paul

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

2.8.2024, 14:50:08

Hallo @[Paul](198174), danke für die berechtigte Nachfrage. Ich habe den Sachverhalt jetzt entsprechend angepasst und in der Aufgabe auf das von Dir angesprochene Problem verwiesen. Das haben wir für Euch im Kapitel zum Widerspruchsverfahren aufbereitet: https://applink.jurafuchs.de/RcGJ5jKyJLb Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team


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