Kein Missverhältnis von Mittel und Zweck

19. Februar 2025

12 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Vermieterin T stellt dem ständig mit der Mietzahlung rückständigen Mieter O im Juli nach wiederholt erfolgloser Aufforderung den Strom ab, um diesen endlich zur Zahlung zu bewegen. Zähneknirschend zahlt der O.

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Einordnung des Falls

Kein Missverhältnis von Mittel und Zweck

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat O zu einer Handlung genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Die Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, herbeigeführt haben (Nötigungserfolg). Die Handlung meint ein positives Tun. O wird aktiv und zahlt die rückständige Miete. Der tatbestandliche Erfolg der Nötigung ist folglich eingetreten.
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2. T hat gerade mit dem Abstellen des Stroms das Tun des O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).

Ja, in der Tat!

Zwischen dem Nötigungsmittel und dem Nötigungserfolg muss eine kausale Verknüpfung bestehen, d.h. das abgenötigte Verhalten muss unmittelbare und spezifische Folge des angewandten Zwangsmittels sein. Es finden die allgemeinen Regeln der objektiven Zurechnung Anwendung. Der Zusammenhang fehlt, wenn das Opfer auf eigenen Entschluss oder fremden Rat dem Verlangen des Täters nachgibt. O zahlt gerade, weil T den Strom abstellt.

3. Die Nötigungshandlung der T ist als verwerflich anzusehen (§ 240 Abs. 2 StGB).

Nein!

Verwerflich ist eine Verhaltensweise, wenn die Gewaltanwendung oder die Drohung zu dem beabsichtigten Zweck in einem auffallenden Missverhältnis stehen. Dabei muss das Missverhältnis derart auffällig sein, dass die Verhaltensweise als sozialethisch missbilligenswert anzusehen ist, d.h. von einem verständigen Dritten als sozial unerträglich, als strafwürdiges Unrecht empfunden wird. Hier ist der Zweck an sich nicht als verwerflich anzusehen, da es dem berechtigten Interesse der Vermieterin T entspricht, den Mietzins zu verlangen. Auch ist das Mittel nicht sozialethisch missbilligenswert, insbesondere ist der O nicht das erste Mal rückständig. Da der Mieter auch keine gesundheitlichen Folgen zu befürchten hat (im Sommer), ist die Zweck-Mittel-Relation zugunsten der T anzunehmen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

N00B

n00b

2.9.2022, 14:55:13

Dürfte dann der Vermieter auch das Internet abschalten bzw. Pizzaboten, die sich auf dem Weg zur Wohnung befinden, wegschicken etc. Wären ja wie der Strom mietvertragsfremde Rechtsbeziehungen zu dritten.

BL

Blotgrim

16.10.2022, 00:17:24

Ich würde sagen dass mit dem Internet dürfte gehen, das ist ja mit dem Strom vergleichbar und gerade Internet ist für das Überleben nicht zwingend. Beim Pizzaboten ist es zumindest nicht so eindeutig, da du dem Mieter damit seine Nahrung verwehren würdest. Anders als beim Strom im Sommer oder dem Internet braucht man Nahrung zu überleben. Diese zu verwehren könnte

verwerflich

sein, wobei es natürlich auf die Umstände ankommt. Wenn der Mieter zum Beispiel täglich einkaufen geht, könnte es eventuell in Ordnung sein

PAT

Patrick4219

1.8.2024, 19:27:57

Die Aegumentation ist leider nicht ganz konsitent. Wenn ich einem Mieter den Steom abschalte, dann funktionieren auch Kühlschrank, Herd, Gefriertruhe nicht mehr. Ergo verdirbt das Essen und zudem entstehen dem Mieter hierdurch finanzielle Schäden. Im Ergebnis halte ich im vorliegenden Fall die Lösung für falsch. Zweck der Aktion war die Erlangung der rückständigen Miete. Dies für sich ist ein legitimer Zweck. Mittel ist das Abstellen des Stroms. Das Mittel war grundsätzlich - wie der Fall zeigt - geeignet das Ziel zu fördern. Es war jedoch nicht erforderlich, dass mit dem Klageweg sowie dem

Vermieterpfandrecht

effektivere Mittel zur Durchsetzung des Anspruchs bereitstanden. Im Übrigen war das Abstellen des Stroms auch nicht angemessen zur Erreichung des Zwecks. Strom wird für eine Vielzahl von Tätigkeiten benötigt, so zum Kochen, Frischhalten von Lebensmitteln und auch zum Arbeiten. Das Abstellen des Stroms greift somit nicht nur in ein fremdes Rechtsverhältnis ein, sondern zudem in die Eigentumsfreiheit, die Allgemeine Handlungsfreiheit sowie ggf. die Berufsfreiheit und aufgrund fehlenden Internets auch in die Informationsfreiheit des Mieters. Zwar handelt die Vermieterin hier nicht als Teil des Staatsapperates aber die Bedeutung der Grundrechte kann für die Abwägung dessen, was ein verständiger Bürger als missbilligendes Handeln ansehen würde dennich herangezogen werden. Auf Seiten der Vermieterin hingegen ist allenfalls die allgemeine Handlungsfreiheit und ggf. noch die Berufsfreiheit betroffen. Es liegt daher bereits aus der quantitativen Gegenüberstellung der jeweils geschützten Interessen eine

verwerflich

e Handlung seitens dee Vermieterin vor.

FRA

Frank

19.4.2023, 18:03:50

Das sehe ich vollkommen anders als die Lösung. zumal der Stromvertrag zivilrechtlich zwischen m unmittelbar besteht und eben nicht zw. VM und Mieter Das Handeln ist willkürlich und damit passte auch eine

Zweck-Mittel-Relation

nicht.

ON

onlyjura

13.8.2023, 14:29:49

Es gibt durchaus auch Mietverträge, die eine Pauschale vorsehen. Dann wird der Stromvertrag gerade nicht vom Mieter selbst geschlossen.

Alicia Helena

Alicia Helena

28.11.2023, 22:36:02

wieso bejaht man hier die

Verwerflich

keit, des obwohl für die rückständige Miete der Klageweg der richtige Weg zur Durchsetzung wäre?

CAN

cann1311

29.11.2023, 14:23:36

Verwerflich

keit wird hier verneint.

BAY

bayilm

5.7.2024, 22:08:56

Also hier ist war wahrscheinlich ein Tippfehler, ich verstehe auch nicht, warum man die

Verwerflich

keit hier nicht bejaht. Bei dem Häftling der für bessere Haftbedingungen in den Hungerstreik zieht wird gesagt, er solle den ordentlich Rechtsweg eingehen, um seine Rechte einzufordern. Und hier wird es dem Vermieter gestattet

eigenmächtig

vorzugehen, obwohl der Rechtsweg offen steht unf aus Mieterschutzgründen auch ja eigentlich vorgesehen ist.

DAV

david1234

17.11.2024, 14:19:29

Das ganze Kapitel zur Nötigung wirkt für mich leider überhaupt nicht stringent. Die Zeit hätte ich besser investieren können.

L.G

L.Goldstyn

31.7.2024, 14:33:55

Wie lässt sich hier das Nötigungsmittel begründen? Für Gewalt fehlt mir der körperlich wirkende Zwang auf Opferseite. Denkbar wäre eine

konkludent

e

Drohung

mit dem Unterlassen der Rückgängigmachung der Stromabschaltung bzw. mit dem erneuten Abstellen des Stroms in Zukunft.

Vincent

Vincent

15.1.2025, 13:07:52

Ein Inhaftierter der Mittels eines Hungerstreiks für bessere Haftbedingungen protestiert handelt

verwerflich

, da er ja den Rechtsweg einschlagen könnte. Wieso handelt die Vermieterin hier aus dem gleichen Grund nicht ebenfalls

verwerflich

? Gerade hinsichtlich sozialethischer Erwägungen ist doch das protestieren für bessere Lebensbedingungen "moralischer" als das Durchsetzen einer finanziellen Forderung durch Zwang. Zwar ist es Sommer, das heißt Heizen wohl nicht möglich, Herd und Kühlschrank funktionieren im Regelfall aber trotzdem nicht. Leider scheint das Kapitel der Nötigung in sich nicht ganz logisch.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

16.1.2025, 14:58:39

Hey @[Vincent](211990), danke für die Kritik. Wir sind aktuell bereits dabei, dass Kapitel zur Nötigung komplett zu überarbeiten. Danke für deine Geduld. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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