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Grundrechte
Verfassungsrechtliche Vorgaben für richterlichen Bereitschaftsdienst
Verfassungsrechtliche Vorgaben für richterlichen Bereitschaftsdienst
15. April 2025
8 Kommentare
4,6 ★ (19.833 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Am frühen Morgen wird die Polizei wegen eines Notfalls zu B gerufen. Wegen eines Verdachts will sie Bs Wohnung nach Drogen durchsuchen. Die um 04:44 verständigte Bereitschaftsstaatsanwältin S ordnet sofort die Durchsuchung an. Am zuständigen AG Rostock hat zu dieser Zeit kein Ermittlungsrichter Bereitschaftsdienst.
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Einordnung des Falls
Verfassungsrechtliche Vorgaben für richterlichen Bereitschaftsdienst
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Nachdem Bs Beschwerde gegen die Durchsuchung ohne richterlichen Beschluss zum Landgericht erfolglos bleibt, erhebt B zulässige Verfassungsbeschwerde. Ist vorliegend der Schutzbereich von Bs Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eröffnet?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Durchsuchung stellt einen Eingriff dar.
Ja, in der Tat!
3. Bedarf es zur Rechtfertigung des Eingriffs grundsätzlich der richterlichen Anordnung der Durchsuchung?
Ja!
4. Bedarf es immer der richterlichen Anordnung der Durchsuchung (Art. 13 Abs. 2 Hs. 1 GG)?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Sieht Art. 13 Abs. 2 Hs. 2 GG als weitere Ausnahme vom Richtervorbehalt vor, dass die Staatsanwaltschaft nachts generell anstelle des Richters Durchsuchungen anordnen darf?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Lag Gefahr im Verzug bereits deshalb vor, weil die Polizei den Verdacht hatte, in Bs Wohnung Drogen zu finden, sodass deshalb die Durchsuchung durch die Staatsanwältin S ohne richterlichen Beschluss gerechtfertigt war?
Nein!
7. Kann Gefahr im Verzug dadurch eintreten, dass nachts kein Ermittlungsrichter verfügbar ist und deshalb bis zur Verfügbarkeit eines Richters der Ermittlungserfolg gefährdet wäre?
Genau, so ist das!
8. Ist es verfassungsrechtlich zulässig, dass nachts nie ein richterlicher Bereitschaftsdienst besteht und daher immer Gefahr im Verzug eintritt, mit der Folge, dass nachts die Durchsuchung immer durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden darf?
Nein, das trifft nicht zu!
9. § 104 Abs. 1 StPO beschränkt einfachgesetzlich die Durchsuchung bei Nacht auf einen engen Katalog bestimmter Fallkonstellationen. Entfällt dadurch im Regelfall das verfassungsrechtliche Bedürfnis nach einem nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienst?
Ja!
10. Unterstellt, dass sich nächtliche Durchsuchungen an einem Ort häufen, die nächtliche Durchsuchung also nicht der bloße Ausnahmefall ist: Braucht es in diesem Fall einen nächtlichen Bereitschaftsdienst?
Genau, so ist das!
11. Für die Frage, ob ein tatsächlicher Bedarf für einen nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienst besteht, weil nächtliche Durchsuchungen nicht bloß der Ausnahmefall sind, ist das Landesjustizministerium zuständig.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Paul
23.3.2023, 11:41:24
Um die Frage "Bedarf es zur Rechtfertigung des Eingriffs der richterlichen Anordnung der Durchsuchung?" richtig beantworten zu können, müsste ein "grundsätzlich" eingefügt werden. Andernfalls wird der zweiten Variante des Art. 13 II GG nicht Rechnung getragen. Ansonsten - wie immer - danke für die verständliche Aufbereitung :)

Nora Mommsen
23.3.2023, 12:12:14
Hallo Paul, danke dir. Das haben wir in der Frage ergänzt :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Pilea
26.11.2023, 14:37:34
Ist der Richtervorbehalt als qualifizierter Gesetzesvorbehalt/Schranke zu lesen oder im Rahmen der Verhältnismäßigkeit/Schranken-Schranke zu prüfen; und warum?

Linne_Karlotta_
21.11.2024, 16:55:05
Hey @[Pilea ](189001), danke für deine Frage. Als qualifizierter Gesetzesvorbehalt regelt der Richtervorbehalt die formellen Voraussetzungen eines Eingriffs in ein Grundrecht. Er gehört in die Schrankenprüfung, da er gesetzlich festlegt, unter welchen Bedingungen der Staat in ein Grundrecht eingreifen darf. Der Richtervorbehalt setzt dem Eingriff in das Grundrecht eine konkrete gesetzliche Formvoraussetzung. Er regelt nicht die inhaltliche Angemessenheit oder Verhältnismäßigkeit, sondern ob ein Eingriff an eine richterliche Anordnung gebunden ist. Diese Bindung ist bereits Bestandteil der gesetzlichen Schranke aus Art. 13 Abs. 2 GG. Hierin besteht der Unterschied zu einer Schranken-Schranke, wie z.B. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Schranken-Schranken sind die allgemeinen Prinzipien, die den Gesetzgeber bei der konkreten Ausgestaltung von Eingriffen binden. Wenn ein Richtervorbehalt missachtet wird, liegt ein formell
rechtswidriger Eingriff vor. Der Eingriff kann dadurch schon im Rahmen der Schrankenprüfung als
rechtswidrigqualifiziert werden, ohne dass es auf eine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung ankommt. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs–Team
Marc
13.1.2025, 11:25:23
Inwiefern entfaltet der § 104 StPO tatsächlich Wirkung, sodass ein nächtlicher Bereitschaftsdienst idR nicht mehr notwendig ist? Nach § 104 I Nr. 2 StPO kann schließlich immer noch bei Gefahr im Verzug durchsucht werden. Genau das war doch bei § 105 StPO das Problem, da die Gefahr im Verzug dadurch begründet sein kann, dass eben kein Bereitschaftsdienst besteht und deshalb keine richterliche Entscheidung abgewartet werden kann. Besteht das Problem der Aushebelung des Regel-Ausnahmeverhältnisses nicht dennoch? Danke für eine Antwort :)