Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Klassiker im Öffentlichen Recht
Das Lüth-Urteil zur mittelbaren Grundwirkung von Grundrechten
Das Lüth-Urteil zur mittelbaren Grundwirkung von Grundrechten
9. Mai 2023
7 Kommentare
4,8 ★ (27.876 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der Vorsitzende des Hamburger Presseklubs Lüth (L) ruft zum Boykott des Films „Unsterbliche Geliebte“ von Veit Harlan (H) auf. Grund des Boykottaufrufs ist Hs Rolle bei der Judenverfolgung. Daraufhin verklagt H den L erfolgreich auf Unterlassung der Äußerungen aus § 826 BGB.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
In dieser Entscheidung begründet das BVerfG die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) und die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte zwischen Privaten. Kernaussage: „Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat; in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften.“
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Sind die Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat? Sind sie daneben auch Ausdruck einer objektiven Wertordnung?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Haben die Grundrechte Einfluss im Privatrecht?
Genau, so ist das!
3. Wirkt sich der Einfluss der Grundrechte im Privatrecht insbesondere über die zivilrechtlichen Generalklauseln aus?
Ja, in der Tat!
4. Gelten die Grundrechte im Zivilrecht unmittelbar?
Nein!
5. Hat das BVerfG im Lüth-Beschluss die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht begründet? Muss der Zivilrichter bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmal "gute Sitten" in § 826 BGB die Meinungsfreiheit des L berücksichtigen?
Genau, so ist das!
6. Prüft das BVerfG die Verletzung einfachen Rechts?
Nein, das trifft nicht zu!
7. Stellt der Boykottaufruf vorliegend ein Werturteil dar, weshalb der Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) eröffnet ist?
Ja!
8. Erfasst der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nur das Äußern der Meinung, nicht die von ihr ausgehende geistige Wirkung?
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Liegt darin ein Eingriff, wenn das zivilgerichtliche Urteil auf Unterlassung des Boykottaufrufs die Bedeutung der Meinungsfreiheit außer Acht gelassen hat?
Ja, in der Tat!
10. Kann die Meinungsfreiheit durch allgemeine Gesetze nach Art. 5 Abs. 2 GG eingeschränkt werden?
Ja!
11. Darf nach der Sonderrechtslehre ein allgemeines Gesetz kein Sondergesetz darstellen, also sich gegen bestimmte Meinungen richten? Ist danach § 826 BGB ein allgemeines Gesetz?
Genau, so ist das!
12. Ist nach der Abwägungslehre entscheidend, ob das Gesetz einem Rechtsgut dient, das im Einzelfall gegenüber der Meinungsfreiheit Vorrang genießt? Kann § 826 BGB danach ein allgemeines Gesetz sein?
Ja, in der Tat!
13. Das BVerfG hat im Lüth-Beschluss die Sonderrechtslehre mit der Abwägungslehre kombiniert (Kombinationslehre). Ist danach § 826 BGB ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG?
Ja!
14. Ist die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) für eine funktionierende Demokratie nur von untergeordneter Relevanz?
Nein, das ist nicht der Fall!
15. Ergibt sich aus der Bedeutung der Meinungsfreiheit die Wechselwirkungslehre? Muss danach die einschränkende Norm ihrerseits im Lichte der Meinungsfreiheit ausgelegt werden?
Ja, in der Tat!
Fundstellen
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
chu
4.12.2023, 08:40:56
Liebs Jurafuchs-Team, bei einer der Antworten zu dieser Aufgabe befindet sich ein Kasten "Erklärung", der nur mit dem Platzhaltertext "(Reichweite SB") befüllt ist.

Lukas_Mengestu
4.12.2023, 16:54:17
Danke chu, das haben wir korrigiert! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Whale
25.6.2024, 10:13:09
Hey, wie genau würde das denn in meiner Prüfung aussehen. So ungefähr? Der unbestimmte Rechtsbegriff der guten Sitten ist im Lichte der Grundrechte auszulegen. Dieses Prinzip ist aus Gründen des Gemeinwohls der Herrschaft des Privatrechts entzogen und soll eine verbindliche Gestaltung der privaten Rechtsbeziehungen bewirken. Hier könnte V in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit durch das die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte nicht beachtende Urteil verletzt worden sein.
Paul Hendewerk
16.4.2025, 10:48:41
Ich würde folgendermaßen vorgehen: VB des
Beschwerdeführers wird Erfolg haben, soweit zulässig und begründet A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG II.
Beschwerdefähigkeit III.
Beschwerdegegenstand IV.
Beschwerdebefugnis:
Beschwerdeführer ist
beschwerdebefugt, wenn er behaupteten kann, durch das Urteil in eigenen Grundrechten/grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein, Art. 94 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG; dies ist dann der Fall, wenn eine Verletzung seiner Grundrechte/grundrehtsgleichen Rechte zumindest als möglich erscheint; zwar lag dem Urteil ein Rechtsstreit zwischen Privatrechtssubjekten zugrunde, die nach Maßgabe des Art. 1 III GG nicht an die Grundrechte gebunden sind; die Grundrechte konstituiren jedoch zugleich eine objektive Werteordnung, zu deren Berückischtigung bei Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Privatrechtsvorschriften die ordentlichen Gerichte nach Maßgabe des Art. 1 III GG verpflichtet sind; hier dann noch weitere Ausführung dazu, welche Grundrehte etwaig verletzt sein könnten V. Rechtswegerschöpfung VI. Grundsatz der Subsidiarität: Hier ggf. darauf eingehen, ob der
Beschwerdeführer schon vor den einfachen Rechten zu der grundrechtlichen Bedeutung der jeweiligen Streitigkeit hätte vortragen müssen/Anhörungsrüge nach § 321a ZPO hätte erheben müssen VII. Form und Frist VIII. Allgemeines RBedürfnis B.
Begründetheit: VB begründet, wenn Urteil den
Beschwerdeführern in seinen Grundrechten/grundrechtsgleichen Rechten verletzt; dies ist dann der Fall, wenn das Urteil ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung in den Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts eingreift I. Prüfungsmaßstab des BVerfG: keine Superrevisionsinstanz, nur Verletzung spezifischen Verfassungsrechts der Maßstab, in Fällen mittelbarer Drittwirkung insbesondere, ob Zivilgerichte über die
Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe (z. B. §§ 242 BGB,
826 BGB) die Grundrechte in gebührender Weise berücksichtigt haben II. Eröffnung des Schutzbereichs III. Eingriff IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
annsophie.mzkw
8.5.2025, 08:42:47
Schade, dass ihr gerade einen Schwerpunkt der Entscheidung gar nicht darstellt, nämlich die Auslegung von
§ 826 BGBnach der Wechselwirkungslehre. In einer Klausur würde der bloße Hinweis auf diese Schranken-Schranke ja auch mitnichten genügen.