Rechtsgutsverletzung bei fehlerhafter Behandlung


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M erkrankt in ihrer ersten Schwangerschaftswoche an Röteln. Ärztin A verkennt infolge eines Behandlungsfehlers die Krankheit. Tochter T erleidet aufgrund der Röteln eine schwere, lebenslange Behinderung. Auch ohne As Fehler wäre dies nicht verhindert worden. Hätte M von der Erkrankung gewusst, hätte sie die Schwangerschaft abgebrochen.

Einordnung des Falls

Rechtsgutsverletzung bei fehlerhafter Behandlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat das Rechtsgut Leben der T verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem sie den Behandlungsfehler begangen hat.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Der zivilrechtliche Lebensschutz beginnt in der embryonalen Phase vor der Geburt und endet mit dem Hirntod. Die Verletzung des Rechtsguts Leben bedeutet die Verursachung des Todes. A hat T nicht getötet. T lebt. Im Strafrecht beginnt der Lebensschutz erst später (mit den Eröffnungswehen), da das ungeborene Leben strafrechtlich durch die Regeln zum Schwangerschaftsabbruch (§§ 218ff. StGB) geschützt ist.

2. M kann von A Ersatz der durch die Behinderung entstandenen Mehrkosten für den Unterhalt verlangen (§§ 611, 630a BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB).

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Ja, in der Tat!

Grundsätzlich stellen freiwillige Vermögenseinbußen (Aufwendungen) keinen Schaden dar. Eltern sind jedoch zur angemessenen Unterhaltung des Kindes verpflichtet (§§ 1601, 1631 Abs. 1 BGB). A hat eine Pflicht aus dem Behandlungsvertrag (§ 630a BGB) verletzt, indem sie die Gefahr der Schädigung eines Ungeborenen, die den Wunsch der Mutter auf Abbruch der Schwangerschaft gerechtfertigt hätte, nicht erkannt hat. Das Verschulden wird hierbei vermutet (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Damit sind die durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen nicht freiwillig. Sie sind als Schaden ersatzfähig.

3. A hat das Rechtsgut Körper/Gesundheit der T verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem sie den Behandlungsfehler begangen hat.

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Nein!

Gesundheitsverletzungen kann grundsätzlich auch erleiden, wer zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung noch nicht geboren oder noch nicht einmal gezeugt war und dann geschädigt geboren wird. BGH: Weder die Ermöglichung noch die Nichtverhinderung von Leben (sog. „wrongful life“ im angelsächsischen Raum) verletze ein Rechtsgut des § 823 Abs. 1 BGB. Es könne nicht allgemeinverbindlich beantwortet werden, ob Leben mit schweren Behinderungen rechtlich ein Schaden oder eine günstigere Lage als das Nichtleben sei. Ansonsten müssten auch Eltern haften, die trotz schwerer genetischer Belastung ein Kind zeugen. A hat die Schädigung der T nicht verursacht. T verdankt dem Fehler der A ihr Leben.

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