Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2022
Warnung des Bundesamts für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor Virenschutzprogramm („Kaspersky“)
Warnung des Bundesamts für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor Virenschutzprogramm („Kaspersky“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Das Unternehmen Kaspersky (K) vertreibt Virenschutzsoftware. Kaspersky ist ein deutsches Unternehmen das in 100 % der russischen Muttergesellschaft ist. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) warnt öffentlich vor der Verwendung der Virenschutzsoftware der K. Hintergrund ist die Sorge vor Cyberangriffen Russlands im Zuge des Ukraine-Krieges.
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Einordnung des Falls
Warnung des Bundesamts für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor Virenschutzprogramm („Kaspersky“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K begehrt einen Widerruf der Warnung und ein zukünftiges Unterlassen ähnlicher Warnungen. Ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO) der statthafte Rechtsbehelf?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begründet, wenn der geltend gemachte Anspruch besteht?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Als Anordnungsanspruch müsste K einen Anspruch auf Unterlassung der amtlichen Warnung des BSI haben. Könnte sich dieser Anspruch aus dem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch ergeben?
Ja!
4. Die Warnung des BSI ist eine hoheitliche Maßnahme. Ist hier ein Eingriff in die subjektiven Rechte von K – konkret Ks Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) – ausgeschlossen, weil die Warnung keinen klassischen Eingriff in die Berufstätigkeit darstellt?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Damit Ks Anspruch besteht, müsste der Eingriff in Ks Grundrecht auch rechtswidrig sein (= keine Duldungspflicht). Kommt als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hier § 7 Abs. 2 S. 1 BSIG in Betracht?
Ja, in der Tat!
6. Nach § 7 Abs. 2 S. 1 BSIG muss zunächst eine Sicherheitslücke vorliegen. Der Begriff der Sicherheitslücke ist in § 2 Abs. 6 BSIG legaldefiniert. Ist der Begriff der Sicherheitslücke weit zu verstehen?
Ja!
7. Neben der Sicherheitslücke müssen gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 BSIG hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von der Sicherheitslücke Gefahren für die Sicherheit in der Informationstechnik ausgehen.
Genau, so ist das!
8. Zudem müsste die Warnung des BSI verhältnismäßig gewesen sein.
Ja, in der Tat!
9. Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit müssen die Grundrechte des Antragstellers mit dem Interesse der Allgemeinheit abgewogen und zu einem möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden.
Ja!
10. Hat K nach Ansicht des OVG seinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht?
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Nordisch
16.1.2023, 11:31:03
Hallo liebes Jurafuchs Team, die letzte Frage, ob K seinen Anordnungsanspruch nach Ansicht des OVG glaubhaft gemacht hat, finde ich unpassend, da es beim Jura lernen schließlich nicht um die (uns hier unbekannte) Ansicht des OVG geht, sondern um die saubere Bearbeitung der Sachverhalte mithilfe der Gesetze. Und da passt "nach Ansicht des OVG" schlicht nicht.
HairCare
25.1.2023, 21:50:32
Naja, (nicht nur) als Referendar erachte ich den Blick auf die Rechtsprechung schon als wichtig.
Thomfred01
31.1.2023, 11:18:03
Meines Erachtens passt das Ergebnis in der Abfrage durchaus, denn was das OVG entschieden hat, ist eine vertretbare Lösung. So trifft das BSI seine Entscheidung zwar auf Grundlage technisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse, was aber nicht bedeutet, dass die hinreichende Gefahr allein in den technischen begenheiten begründet liegen muss. So kann sich etwa eine Gefahr aus einer nach technischen-wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Sicherheitslücke ergeben, die so groß ist, dass sie von unbekannten Akteuren unschwer missbraucht werden kann oder eben keine Sicherheitslücke in dem Sinne existiert, aber ein Akteur nach technisch-wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen Zugriff auf Systeme hat, bei dem die gesteigerte und damit hinreichende Gefahr besteht, dass dieser sie missbraucht. Ob eine Gefahr vorliegt bestimmt sich ja nach einer bestimmten Sachlage, also den Gesamtumständen (auch Erfahrungen aus der Vergangenheit usw.) und einer dieser würdigende Prognoseentscheidung. Wenn man hier die feindliche Einstellung Russlands gegen den Westen, einschließlich Deutschland, die Möglichkeit der Einflussnahme des russischen Staates auf russische Unternehmen und die Tatsache, dass Russland bekannt dafür ist, Hackerangriffe durchzuführen, ist das für mich alles, aber keine politische Entscheidung. Leider wird in den Vertiefungshinweisen nicht sachlich auf das Urteil eingegangen und die Unrichtigkeit unterstellt. Wie man an einem Kommentar sehen kann, wird die Lösung dadurch schon als unvertretbar in einer Klausurlösung und mit den juristischen Methoden für unvertretbar gehalten. Das halte ich für unangemessen und bringt keinen Mehrwert für die App.
Radek
30.5.2023, 13:33:28
Ich finde die Frage total unsinnig, woher soll man das wissen? Im Sachverhalt ist nicht von irgendeiner eidesstattlichen Versicherung bzw. einfach von nichts die Rede, was in die Richtung geht. (?)
Radek
30.5.2023, 13:34:49
Ach, ich habe die Frage falsch verstanden! Mea culpa!
Wendelin Neubert
16.9.2023, 13:15:29
@Thomfred01 Danke für Deinen ausführlichen Kommentar und Deine Einschätzung. Zur Klarstellung: Nach dem Tatbestand des § 7 Abs. 2 BSIG müssen hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von der benannten Sicherheitslücke – hier der Kaspersky-Virenschutzsoftware – Gefahren für die Sicherheit in der Informationstechnik ausgehen. In unserer Lösung gehen wir – wie wohl die h.M. in der Literatur – davon aus, dass hinreichende Anhaltspunkte i.d.S. wissenschaftlich-technische Erkenntnisse voraussetzen und nicht – wie das OVG – aus sicherheitspolitischen Erwägungen begründet werden können. Denn die Berücksichtigung sicherheitspolitischer Erwägungen findet im Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage keine Stütze. Auch die Prüfung der Verhältnismäßigkeit überzeugt uns nicht, wie wir ausführlich in den Hinweistexten darlegen. Deinen Vorwurf, wir würden in den Vertiefungshinweisen nicht sachlich auf das Urteil eingehen und wir würden seine Unrichtigkeit unterstellen, kann ich nicht teilen. Wir stellen ausführlich die Tatbestandsvoraussetzungen dar, subsumieren darunter, erläutern, was das OVG dazu gesagt hat und kritisieren die Entscheidung dann an m
ehreren Stellen. Dass auch eine Vielzahl von Expert:innen die Entscheidung für höchst zweifelhaft und politisch motiviert hält, hat uns in unserer Auseinandersetzung darin bestärkt, die Entscheidung entsprechend zu kennzeichnen. Unsere Einordnung soll den Nutzer:innen auch helfen, in einer potentiellen Klausursituation sicher mit der unbekannten Ermächtigungsgrundlage umzugehen und sich vom Ergebnis der Rechtsprechung nicht übermäßig leiten zu lassen. Ich hoffe das hilft. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
Dodo
4.10.2023, 12:06:58
Respekt das hier mal nicht politisch argumentiert wird sondern sauber subsumiert 💪
Nora Mommsen
4.10.2023, 14:29:17
Hallo Dodo, danke für die Rückmeldung! Das ist natürlich unser Anspruch und auch die absolute Richtschnur für die Klausur. Persönliche Meinung und politische Ansichten müssen nunmal hintenanstehen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
aylin.
3.1.2024, 23:54:44
Wäre die Prüfung eines öffentlich-rechtlichen FBA ebenfalls möglich, sodass die Rechtsfolge der Widerruf der Aussage wäre?
Dogu
24.2.2024, 20:27:50
Hm, ich glaube im einstweiligen Rechtsschutz wird das schwierig, weil ein einmal erfolgter Widerruf bereits eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellen würde. Im Hauptsacheverfahren selbst sehe ich diese Möglichkeit schon.
Whale
11.6.2024, 09:54:07
Da die Berufsfreiheit im Rahmen des Eingriffs in ein subjektives Recht und der § 7 im Rahmen der
Duldungspflicht, frage ich mich, wo nun die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Prüfungsaufbau am besten geprüft werden sollte. Ebenfalls bei der
Duldungspflicht?
Daniel B.
13.8.2024, 20:37:37
Ja, da unverhältnismäßige Maßnahmen nicht geduldet werden müssten
Whale
20.6.2024, 19:44:56
Im Jurafuchs-Podcast (Spruchreif) wird eingehend auf den Fall eingegangen. Ich habe leider bei meiner Recherche keine Infos dazu gefunden, ob nun Kaspersky den nächsten Schritt zum Hauptsachverfahren gegangen ist oder nicht. Im Endeffekt ist ja das Einlegen des Rechtsbehelfs zur Hauptsache Voraussetzung für die einstweilige Anordnung. Hat Kaspersky den dann zurückgezogen oder geht es nun weiter? Weiß da jemand genauer Bescheid? :)
Mi. S.
15.8.2024, 16:32:12
Das würde mich auch sehr interessieren!
Wendelin Neubert
24.10.2024, 18:29:53
Danke für Eure interessante Nachfrage @[Whale](252844) und @[Mi. S.](204099), ich versuche das mal herauszufinden und melde mich dann wieder hier! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
Johannes Nebe
14.11.2024, 07:27:50
Danke für diesen interessanten Fall und die Kritik an politischen Einflüssen in der Rspr. Einige Verbesserungsvorschläge dennoch: "Hat K nach Ansicht des OVG seinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht?" ist keine Frage nach juristischem Wissen oder Denken, sondern danach, ob das OVG-Urteil bekannt ist. Dieses Urteil wird aber gerade erst vorgestellt. Anders als bei anderen Fragen ("Ist nach Ansicht des BGH ...") ist durch das ansonsten kritisierte OVG-Urteil auch noch keine gefestigte Rspr entstanden. -- Zum Sprachlichen: (1) "Kaspersky ist ein deutsches Unternehmen das in 100 % der russischen Muttergesellschaft ist." (2) Klagebegehr (Maßstab): Das Begehr ist Neutrum, notfalls Maskulinum. Das Wort "Klagebegehr" ist möglicherweise eine unbeabsichtigte Neuschöpfung aus "Begehr" und "Klagebeg
ehren". (3) Vertiefung: Wenn etwas einer Regelung bedarf, ist "bedarf" ein kleingeschriebenes Verb.