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Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung
Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung
18. April 2025
15 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die Zeitung B möchte über den Vorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs gegen S berichten. Die Hauptverhandlung soll am 20.02. stattfinden. Am 08.02. um 9 Uhr kontaktiert B den S mit der Bitte um Stellungnahme bis 16 Uhr. Zwei Stunden später antwortet S und bittet um eine Fristverlängerung. B reagiert hierauf nicht.
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Einordnung des Falls
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein beliebter Prüfungsstoff in zivilrechtlichen Klausuren, da hierdurch abgeprüft werden kann, ob es den Studierenden gelingt, verschiedene Rechtsbereiche zu verknüpfen. Der vorliegende Fall befasst sich dabei mit der Frage, inwieweit es zulässig ist, über ein noch laufendes Verfahren zu berichten (Stichwort: „Unschuldsvermutung“) und welche Sanktion eine ggfs. unzulässige Berichterstattung nach sich ziehen kann.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Am 10.02. veröffentlicht B den Bericht. Könnte S gegen B einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG haben?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. B hat in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des S eingegriffen und damit ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut verletzt.
Genau, so ist das!
3. Indiziert eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsverletzung?
Nein, das trifft nicht zu!
4. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des S die schutzwürdigen Belange der B überwiegt.
Ja!
5. Wird in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine Tatsachenbehauptungen eingegriffen, ist insbesondere der Wahrheitsgehalt der Aussage für die Abwägung entscheidend.
Genau, so ist das!
6. Ist eine Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren, bei dem der Tatvorwurf noch nicht erwiesen ist, wegen der Unschuldsvermutung (Rechtsstaatsprinzip, Art. 6 Abs. 2 EMRK) stets unzulässig?
Nein, das trifft nicht zu!
7. Für die Verdachtsberichterstattung der B existiert wegen der anstehender Hauptverhandlung ein Mindestbestand an Beweistatsachen.
Ja!
8. S ist C-Promi und teilt große Teile seines Privatlebens in der Öffentlichkeit. Hat der Tatvorwurf ein ausreichendes Gewicht, dass Bs Bericht durch das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist?
Genau, so ist das!
9. Eine zulässige Verdachtsberichterstattung setzt voraus, dass dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Ist das Erfordernis einer Stellungnahme hier gewahrt?
Nein, das trifft nicht zu!
10. Die Verdachtsberichterstattung ist damit zulässig.
Nein!
11. Eine Geldentschädigung ist bei § 823 Abs. 1 BGB in jedem Fall einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu zahlen.
Nein, das ist nicht der Fall!
12. Liegt hier ein schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeit des S vor, mit der Folge, dass er einen Anspruch auf Geldentschädigung hat?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Abi
22.4.2023, 07:46:33
Ein sehr guter Fall, um die Rahmenrechte zu verstehen. Mir hat es sehr geholfen. Vielen Dank! Über die Entscheidung, dass hier kein schwerwiegender Eingriff vorliegt, bin ich erschrocken. Sie öffnet Tür und Tor für die Presse in Deutschland, weiterhin mindere Qualität anzubieten und reißerisch zu berichten!

Lukas_Mengestu
24.4.2023, 09:22:15
Lieben Dank, Abi! Es freut uns, dass Dir die Entscheidung gefallen hat. Die Pressefreiheit ist in Deutschland ein sehr hohes gut. Nicht umsonst wird die Presse auch als 4. Gewalt bezeichnet. In der Tat würde man sich bei manchen Berichten wünschen, sie wären niemals gedruckt worden. Nichtsdestotrotz muss man genau abwägen, in welchen Fällen das Mittel der
Geldentschädigung tatsächlich angemessen ist. Ein allzu großzügiger Einsatz dieser Sanktion hätte letztlich sicherlich eine stärkere Zurückhaltung zur Folge, die aber schnell auch in eine zu weitgehende Selbstzensur der Verlage übergehen kann. Insoweit ist die Entscheidung nicht als Aufforderung zur gänzlich substanzlosen Berichterstattung zu verstehen, sondern als Mahnung, dass eine solche durchaus Konsequenzen nach sich ziehen kann - nur eben nicht in diesem konkreten Fall. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Claudia
13.7.2023, 15:28:06
handelt es sich bei der Überschirft des Artikels nicht schon um eine Vorverurteilung, wenn davon gesprochen wird das S seine Opfer so abgezockt HAT? Dadurch wird ja nicht deutlich, dass das Verfahren erst noch bevorsteht. Oder sehe ich das zu eng?
Claudia
13.7.2023, 15:29:11
*bzw. "zockte" und nicht "abgezockt hat"

fuchs_
16.5.2024, 22:24:02
Ja, ist mir auch direkt aufgefallen bei dem Bild
bene0815
15.9.2023, 09:16:29
Liebes Jurafuchs-Team, eine Aufgabe zu Beginn des Falles fragt sinngemäß, ob aus der Verletzung des APR stets die
Rechtswidrigkeitfolgt. ME müsste es - wie dann auch in der folgenden Frage - aber an dieser Stelle Eingriff heißen, weil der Begriff der Verletzung impliziert, dass der Eingriff
rechtswidrigist.
Leo Lee
16.9.2023, 15:54:12
Hallo bene0815, vielen Dank für den Hinweis! Beachte allerdings, dass die Aufgabe fragt, ob die Verletzung des APRs wie im Normalfall die
Rechtswidrigkeitindiziert (die auch widerlegt werden kann). Dies ist als „falsch“ hinterlegt, da diese beim APR als Rahmenrecht immer nochmal festgestellt werden muss (im Wege der Abwägung) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Johannes Nebe
13.10.2023, 08:52:28
Ich finde, auf den Punkt von bene0815 wurde noch nicht geantwortet. Sollte "Verletzung"
Rechtswidrigkeiteinschließen, wie bene0815 sagt, wäre die Frage nach der
Rechtswidrigkeitbzw. deren Indizierung nicht sinnvoll.
in persona
7.8.2024, 10:17:56
Hallo:) ich habe leider immer noch nicht verstanden,warum keine Entschädigung zu zahlen ist? Wie wird das denn beim Prüfungspunkt Schaden diskutiert? Wenn alle Voraussetzungen von 823 I BGB vorliegen, müsste doch die Rechtsfolge
Schadensersatzsein.Danke!
Rechtsanwalt B. Trüger
8.10.2024, 13:57:38
Hier liegt einfach kein schwerwiegender Eingriff in das APR vor, weshalb auch keine
Geldentschädigung verlangt werden kann. In anderen Konstellationen, in welchen ein schwerwiegender Eingriff bejaht wird, handelt es sich nicht um immateriellen
Schadensersatzgem. § 253 BGB, sondern um eine
Geldentschädigung die auf eine Genugtuung- und Ausgleichsfunktion gerichtet ist. Förster schreibt dazu „Hierbei handelt es sich nicht im immateriellen
Schadensersatznach § 253 BGB. Vielmehr gründet der Entschädigungsanspruch unmittelbar auf dem Schutzauftrag des verfassungsrechtlich gewährleisteten Persönlichkeitsrechts (BeckOK BGB/Förster, § 12 Rn. 389).“ Ich hoffe ich konnte helfen!