Behandlung unnötig: Bis zu 10 Jahre Freiheitsstrafe für fachgerechte Entfernung eines Zahns? - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Eine Zahnärztin entfernt einem Patienten einen Zahn, obwohl sie weiß, dass dies nicht nötig ist.

Zahnarzt T erklärt O, dass eine Zahnextraktion nötig sei, obwohl es aussichtsreiche Behandlungsalternativen gibt. T will mit Os anschließender Zahnersatzbehandlung einen finanziellen Vorteil erlangen. O willigt im Vertrauen auf die falschen Angaben ein. T entfernt Os Zähne fachgerecht.

Einordnung des Falls

In dem Beschluss wird der Fall eines Zahnarztes behandelt, der in zahlreichen Fällen bei Patienten und Patientinnen unnötige Zahnextraktionen durchgeführt hatte. Der BGH hatte früher unter Geltung des alten § 223a StGB die Einordnung der Zahnarztinstrumente als gefährlichen Werkzeuge und damit die Qualifizierung der Körperverletzung noch abgelehnt. Unter der seit 1998 geltenden Rechtslage bejaht nun das OLG Karlsruhe die Qualifikation. Denn Zahnarztinstrumente seien in der Lage, Patienten erhebliche Verletzungen und Schmerzen zuzufügen. Auch wenn das Werkzeug also von einem lizensierten Fachmann geführt werde, kann es sich dabei um ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 StGB handeln.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T den O körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt (§ 223 Abs. 1 StGB)?

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Genau, so ist das!

Körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Integrität nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen, Steigern oder Aufrechterhalten eines pathologischen Zustandes. Indem T die Zähne des O extrahierte, hat er in Os körperliche Integrität eingegriffen und durch die entstandenen Wunden einen behandlungsbedürftigen, also pathologischen Zustand hervorgerufen. T handelte zudem vorsätzlich. Ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen tatbestandsmäßig sind, ist umstritten (nach hM immer, nach aA nur bei fehlender Notwendigkeit). Da Os Behandlung jedenfalls medizinisch nicht geboten war, kommen die Ansichten hier zu denselben Ergebnissen.

2. Ist die tatbestandsmäßige Körperverletzung des O durch seine Einwilligung in die Behandlung gerechtfertigt?

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Nein, das trifft nicht zu!

Für eine wirksame Einwilligung braucht es ein (1) disponibles Rechtsgut und die (2) irrtumsfreie, (3) ausdrücklich (4) vor der Tat erklärte Zustimmung zur Behandlung des (5) einwilligungsfähigen Patienten. Bei ärztlichen Eingriffen muss der Patient über Grund, Art und Umfang des Eingriffs informiert sein (§630d Abs. 2 BGB). Irrtümer über Absicht und Folgen des Eingriffs führen zur Unwirksamkeit der Einwilligung. O darf über seine körperliche Unversehrtheit disponieren und hat dies in einem einwilligungsfähigen Zustand vor der Tat erklärt. T hat O jedoch nicht über die Behandlungsalternativen aufgeklärt, sodass seine Zustimmung keine rechtfertigende Kraft entfaltet. T handelte auch schuldhaft und sich somit der Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

3. Könnte T sich zudem wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht haben, wenn die zur Zahnextraktion verwendeten Instrumente gefährliche Werkzeug sind (§224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB)?

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Ja!

Ein gefährliches Werkzeug iSv § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und nach der konkreten Art seiner Benutzung geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Auf der Frage, ob ärztliche Instrumente gefährliche Werkzeuge sein können, lag der Schwerpunkt der Entscheidung. Hier musst Du sauber arbeiten!

4. Hat der BGH im Hinblick auf § 223a StGB a.F. geurteilt, dass die zahnärztliche Zange kein gefährliches Werkzeug darstellt?

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Genau, so ist das!

Die erhöhte Strafbarkeit in §223a StGB a.F. war hauptsächlich an den Gebrauch einer Waffe geknüpft. Das gefährliche Werkzeug war nur ein Beispiel der Waffe und musste daher waffenähnlich sein. Dies wäre nur gegeben, wenn der Gegenstand zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken benutzt wurde. Wenn der Arzt die Instrumente im Rahmen seiner Berufsausübung fachgerecht benutze, erfülle dies die Voraussetzungen des gefährlichen Werkzeuges nicht. Es fehle am Einsatz des Werkzeuges als Angriffs- oder Verteidigungsmittel. T hat die zahnärztlichen Zange nicht zum Angriff gegen O eingesetzt, sondern O im Rahmen seiner Berufsausübung kunstgerecht behandelt.

5. Kommt es bei dem neugefassten § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Hinblick auf das Vorliegen des gefährlichen Werkzeuges noch darauf an, ob der Gegenstand als Angriffs- oder Verteidigungsmittel verwendet wird?

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Nein, das trifft nicht zu!

OLG: Infolge der Neufassung im Jahre 1998 sei nunmehr allein danach zu fragen, ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im konkreten Fall dazu geeignet ist, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen. Dies gelte auch für medizinische Werkzeuge. Waffen sind seit der Neufassung des §224 StGB nunmehr nur noch ein Unterfall des gefährlichen Werkzeuges. Daraus wird abgeleitet, dass der Gegenstand nicht mehr waffenähnlich sein muss, sodass es nicht mehr auf den Angriffs- oder Verteidigungszweck ankommt. So wird auch vermieden, die Tatbestands- und Rechtfertigungsebene zu vermischen. Es darf tatbestandlich nicht darauf ankommen, ob der Arzt zwar fachgerecht, aber ohne Einwilligung handelt.

6. Hat T durch den Einsatz der Zange die Qualifikation der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?

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Ja!

Ein gefährliches Werkzeug iSv § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und nach der konkreten Art seiner Benutzung geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. T hat zur Zahnextraktion medizinisches Werkzeug verwendet, das abstrakt geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen und von T auch so eingesetzt wurde. O hat intensive Verletzungen im Mundraum erlitten, die eine erhebliche Zeit anhielten.

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