Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Tatbestand der Willenserklärung

Geburtstagsglückwünsche (Erklärungsbewusstsein)

Geburtstagsglückwünsche (Erklärungsbewusstsein)

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

A unterschreibt einen Brief in dem Glauben, er beinhalte Glückwünsche zum 25. Geburtstag seines Neffen N. Tatsächlich handelt es sich um einen Antrag zum Verkauf seines Autos für €10.000. A schickt den Brief an N ab.

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Einordnung des Falls

Geburtstagsglückwünsche (Erklärungsbewusstsein)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hatte Handlungswillen.

Genau, so ist das!

Handlungswille meint den bewussten Willensakt, der auf die Vornahme eines äußeren Verhaltens gerichtet ist. Er fehlt, wenn jemand eine Erklärung im Schlaf, in Hypnose oder Narkose oder unter einer unmittelbar auf ihn einwirkenden körperlichen Gewalt (willensbrechende Gewalt, sog. „vis absoluta“) vornimmt.A hat willentlich und bewusst seine Unterschrift unter den Brief gesetzt.
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2. A hatte ein Erklärungsbewusstsein.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Erklärungsbewusstsein ist der Wille, durch sein Handeln eine irgendwie rechtsgeschäftlich relevante Erklärung abzugeben.A hat in dem Willen und Bewusstsein unterschrieben, seinem Neffen zum Geburtstag zu gratulieren (soziale Interaktion). Ihm war nicht bewusst, eine rechtserhebliche Erklärung anzufertigen.

3. A hatte potenzielles Erklärungsbewusstsein.

Ja!

Nach Rspr. und h.L. liegt trotz fehlenden Erklärungsbewusstseins eine Willenserklärung vor, wenn der Erklärende hätte erkennen können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte, und der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat.Vorausgesetzt, N hat den ihm zugegangenen Brief als Antrag verstanden, liegt eine auf Kaufvertragsabschluss gerichtete Willenserklärung des A vor. Dies hätte A erkennen und verhindern können, wenn er sich vergewissert hätte, welchen Brief er unterschreibt.

4. A kann sein Angebot auf Abschluss des Kaufvertrags anfechten.

Genau, so ist das!

Nach h.M. kann eine Willenserklärung ohne Erklärungsbewusstsein durch den Erklärenden analog § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB angefochten werden. Eine Anfechtung analog §§ 119 Abs. 1 Alt. 2, 121, 142 BGB, beseitigt den Vertrag, lässt jedoch aufseiten des Empfängers einen Anspruch auf Vertrauensschadensersatz analog § 122 BGB oder aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB („cic“) entstehen. Nach a.A. ist eine Willenserklärung mangels Erklärungsbewusstseins nichtig.A könnte seine Willenserklärung somit nach h.M. analog § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB anfechten. N als Empfänger stünde dann u.U. ein Anspruch auf Vertrauensschadensersatz analog § 122 BGB oder aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB („cic“) zu.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Büşra MB

Büşra MB

10.2.2020, 13:13:07

Warum erfolgt die Anwendung der 119 ff. analog ?

AM

Amo

14.2.2020, 18:13:04

Weil ein Irrtum in einer direkten Anwendung ein Erklärungsbewusstsein voraussetzt. Hier handelt es sich allerdings um ein potentielles Erklärungsbewusstsein, weshalb es man die Anfechtung nicht direkt, sondern nur analog anwenden kann

LER

Lernfuchs

21.2.2020, 18:45:02

Was bedeuten diese Abkürzungen? H.m.?

Büşra MB

Büşra MB

21.2.2020, 18:48:59

Herrschende Meinung

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

23.2.2020, 22:08:28

Ausführlich: https://de.wikipedia.org/wiki/Herrschende_Meinung#Rechtswissenschaft. Wir verwenden „hM“ nur, wenn die entsprechende Ansicht sowohl von der Rechtsprechung als auch der überwiegenden Literatur vertreten wird.

DEN

Dennis

25.9.2020, 10:03:50

In der letzten Frage wäre eine Konkretisierung hilfreich. Im Falle von potentiellen Erklärungsbewusstsein kann A ja gerade nicht anfechten, sondern lediglich analog anfechten. Dies führt M. E. Bei der Durcharbeitung des Sachverhalts zu etwas Verwirrung.

SVE

Sven

28.9.2020, 11:57:16

Nein, er kann anfechten in analoger Anwendung einer Rechtsnorm. Aber klar, das kann man vielleicht wirklich noch etwas deutlicher machen.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

3.10.2020, 00:04:18

Hallo ihr beiden! Sven hat mit seiner Formulierung recht, es geht um eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB analog. Wir haben das in der Antwort noch etwas stärker hervorgehoben.

GEL

gelöscht

19.1.2021, 14:32:08

Macht es denn allgemein für den Erfolg der Anfechtung einen Unterschied, ob ich jetzt Analog oder nicht Analog anfechte?

SVE

Sven

19.1.2021, 15:01:12

Es geht um die korrekte Verwendung der Terminologie. “Analogie” bezieht sich immer auf die Anwendung einer Norm. Man würde also nicht sagen “analog anfechten nach § 119 Abs. 1 BGB”, sondern “anfechten analog / in analoger Anwendung von § 119 Abs. 1 BGB”. Der Effekt einer Anfechtung - ob nun in analoger Anwendung einer Norm oder direkter Anwendung einer Norm - ist natürlich der Gleiche, das will man mit der Analogie ja gerade erreichen.

GEL

gelöscht

7.4.2022, 12:57:19

Was genau meint der Begriff potentielles Erklärungsbewusstsein? Ist das so eine Art Fiktion, dass aus Sicht eines objektiven Dritten Erklärungsbewusstsein vorliegt? Also mir geht es konkret um das Wort „potentiell“…

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.4.2022, 18:36:11

Hallo streuner, genau darum geht es. Der BGH hat sich der Auffassung angeschlossen, dass es eben für das Vorliegen einer Willenserklärung nicht notwendig ist, dass ein "tatsächlich bestehendes" Erklärungsbewusstsein vorliegt. Vielmehr genügt es für eine Willenserklärung, wenn der Erklärende bei entsprechender Vorsicht hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Erklärung entsprechend als Willenserklärung aufgefasst wird (vgl. BGHZ 91, 324 ff.). "Potentiell" also im Sinne von denkbar/erwartbar. Aus Verkehrssicht ist hier denkbar, dass Erklärungsbewusstsein vorliegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DAV

David

21.11.2022, 08:16:22

Abgrenzung Anfechtung und cic

DAV

David

21.11.2022, 08:18:17

Im Rahmen von der Ausgrenzung zwischen cic und Anfechtung gibt es den Streit, ob diese nebeneinander angewendet werden können. Nach 199 analog UND cic ist doch gerade die Meinung der Rspr die nicht von der Literatur geteilt wird. (Ausgenommen in Situationen mit Arglist)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

21.11.2022, 09:36:32

Hallo David, danke für deine Rückfrage. Wird in der Lösung nichts anderes kenntlich gemacht, folgen wir in der Regel der Rechtsprechung. Dies ist insbesondere auch für mögliche Examensklausuren relevant. Herrschende Meinung umschreibt daher (auch nicht nur bei uns) Rechtsprechung und zumindest ein Teil der Literatur. :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

RICA

ricardal

3.4.2023, 16:37:04

Ich finde die Wiederholung super 👌

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.4.2023, 12:17:23

Herzlichen Dank, das freut uns sehr :-)

CR7

CR7

20.4.2023, 19:34:32

Kann 122 neben cic stehen? Was ist spezieller?

Carl Wagner

Carl Wagner

21.5.2023, 18:11:28

Vielen Dank für deine Frage (af)! Ob eine cic noch neben einer Anfechtung Platz hat, ist umstritten: Eine Mindermeinung argumentiert, dass die Anfechtung spezieller sei. Nach der h.M. kann eine cic noch geltend gemacht werden (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB). Das begründet sich damit, dass die Voraussetzungen unterschiedlich sind (Verschuldenshaftung, während

§ 122 BGB

kein Verschulden voraussetzt). Für die Interessenslage der Parteien macht es sehr wohl einen Unterschied, ob der Irrtum verschuldet oder unverschuldet ist. Diese höhere Voraussetzung beim Verschulden (cic) rechtfertigt dann auch, dass der Schaden ander als bei

§ 122 BGB

eben nicht auf das

Erfüllungsinteresse

begrenzt wird. (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 122 Rn. 13; BeckOK BGB/Wendtland, 65. Ed. 1.2.2023, BGB § 122 Rn. 12) Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

STE

Stella2244

21.8.2024, 11:43:28

@[Carl Wagner](209004) super Antwort, unten hast du dich glaube ich vertan. 122 ist auf das Vertrauensinteresse beschränkt nicht auf das

Erfüllungsinteresse

STE

Stella2244

21.8.2024, 11:47:05

@[Carl Wagner](209004) nevermind, deine Antwort ist richtig und meine falsch. Sorry!

LAW

Law_yal_life

22.9.2023, 21:05:49

Kann neben § 122 immer cic stehen? Ja oder? Weil die beide letztlich auf was anderes abzielen oder? Das eine auf Eigentum und das andere auf Vermögen? Was war nochmal was?

LELEE

Leo Lee

23.9.2023, 15:57:30

Hallo Prädikatkandidat, die h.M. lässt § 122 immer neben CIC zu. Beachte allerdings, dass der Unterscheid nicht Eigentum und Vermögen ist, da beide letztlich auf den Schutz des Vermögens hinauslaufen (§ 122 gewährt Schadensersatz, wenn jemand bereits im Vertrauen auf die WE Dispositionen getätigt hat. CIC bezweckt i.E. dasselbe). Der Grund, weshalb die h.M. die parallele Anwendbarkeit zulässt, ist weil § 122 verschuldensunabhängig gestaltet ist während CIC (wegen 280) ein Vertretenmüssen voraussetzt. Zudem wird der SE nach § 122 durch den positiven Schaden (also so wie der Anspruchssteller stünde, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre) begrenzt, während CIC eine solche Begrenzung nicht vorsieht. Somit sind sie so wesensverschieden, dass sie nach h.M. nebeneinander anwendbar sind. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Armbruster § 122 Rn. 13 sehr empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

LAW

Law_yal_life

22.9.2023, 21:06:46

Hier dieser Fall mit der Karte ist ja eigentlich das gleiche wie beim

Trier Weinversteigerung

oder? Nur das wir einen andere Fallkonstellation haben oder? Rechtlich ist alles gleich?

LELEE

Leo Lee

23.9.2023, 15:42:43

Hallo PrädikatKandidat, genauso ists! Bei beiden fällen geht es darum, dass jemand eigentlich nichts rechtserhebliches erklären wollte, dies aber hätte erkennen können, wenn er mehr Sorgfalt an den Tag gelegt hätte :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

LAW

Law_yal_life

22.9.2023, 21:07:39

Wieso nimmt man dann §

122 analog

und cic direkt? Und inwiefern muss ich das noch in einer Klausur ansprechen?

LELEE

Leo Lee

23.9.2023, 15:21:46

Hallo Prädikatkandidat, das liegt daran, dass

§ 122 BGB

unmittelbar nur auf die Fälle angewandt werden kann, wo eine Anfechtung nach § 119 I BGB unmittelbar anwendbar sind (das heißt auf ein echtes Fehlen des Erklärungsbewusstseins). Beim potentiellen Erklärungsbewusstsein liegt die Besonderheit darin, dass der Erklärende - anders als beim "normalen" Erklärungsbewusstsein - überhaupt keine Rechtsfolge herbeiführen wollte, weil er sich eben geirrt hat. Deshalb wenden wir § 119 I Alt. 2 BGB analog an. Und weil

§ 122 BGB

sich eben auf § 119 BGB im Wortlaut bezieht, müssen wir auch hier

§ 122 BGB

analog anwenden. Bei der CIC hingegen gibt es keine solche Einschränkungen wie bei

§ 122 BGB

, weil diese Konstruktion eben sämtliche Fälle erfasst, wo jemand sorgfaltswidrig gehandelt hat. Somit kann CIC unmittelbar angewandt werden, ohne nochmal über "zwei Ecken" zu gehen. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Armbruster § 122 Rn. 5 f. empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

LEA

Lea

6.12.2023, 11:09:01

Kann man dann nicht eigentlich immer sagen, dass jemand potentielles Erklärungsbewusstsein hatte, wenn man argumentiert, dass die Person den Text hätte lesen und damit den Inhalt wahrnehmen können?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.12.2023, 16:43:15

Hallo Lea, tatsächlich liegt in der Tat häufig potentielles Erklärungsbewusstsein vor in der Praxis. Allerdings gibt es durchaus Fälle, bei denen das nicht der Fall ist, sodass diese Voraussetzung immer sauber zu prüfen ist. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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