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Unterlassungsanspruch ggü staatlicher Berichterstattung bzgl. AfD-Prüfverfahren

Unterlassungsanspruch ggü staatlicher Berichterstattung bzgl. AfD-Prüfverfahren

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Presse berichtet, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stehe davor, die Partei Alternative für Deutschland (AfD) als extremistische Bestrebung i.S.d. § 3 BVerfSchG einzustufen. Das Bundesministerium des Innern (BMI) schreibt auf seinem Twitter-Account, dass es ein BfV-Gutachten über die AfD ergebnisoffen prüfe.

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Einordnung des Falls

Unterlassungsanspruch ggü staatlicher Berichterstattung bzgl. AfD-Prüfverfahren

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im Eilrechtsschutz fordert die AfD gegenüber dem BMI die Löschung des Tweets. Statthafter Eilrechtsschutz ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO.

Nein!

Beim Eilrechtsschutz ist gemäß § 123 Abs. 5 VwGO der Eilrechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO vorrangig. Er ist jedoch nur statthaft, wenn die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 S. 1 VwGO) gegen einen Verwaltungsakt angeordnet bzw. wiederhergestellt werden soll. Mithin setzt Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO das Vorliegen eines streitgegenständlichen Verwaltungsakts voraus. Bei dem Tweet des BMI handelt es sich um tatsächliches Verwaltungshandeln (Realakt). Mangels Verwaltungsakt ist nicht der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO, sondern der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO statthaft. Die Unterscheidung zwischen Eilrechtsschutz nach §§ 80 Abs. 5 S. 1, 80a VwGO und § 123 Abs. 1 VwGO muss sitzen!
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2. Im Rahmen ihres Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO muss die AfD einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen. Dieser könnte hier aus dem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch folgen.

Genau, so ist das!

Anspruchsgrundlage für die begehrte Löschung der Äußerung - und damit auch der mögliche Anordnungsanspruch i.S.d. § 123 Abs. 1 VwGO - könnte der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch sein. Greift der Staat durch schlichtes Verwaltungshandeln in verfassungsrechtlich geschützte Positionen ein, kann der Betroffene gestützt auf das berührte Recht Unterlassung verlangen. Voraussetzung des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs ist, dass ein hoheitlicher Eingriff in ein subjektives Recht zu einem rechtswidrigen (= nicht zu duldenden) Zustand geführt hat, der noch andauert. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch leitet sich her aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), dem Gegendruck der Grundrechte und § 1004 BGB analog und ist richterrechtlich anerkannt. Macht eine Partei den Anspruch geltend, wird er teilweise auch aus Art. 21 Abs. 1 GG hergeleitet.

3. Bei der Äußerung des BMI handelt es sich um hoheitliches Handeln.

Ja, in der Tat!

Eine Voraussetzung des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs ist, dass es sich um einen hoheitlichen Eingriff handeln muss. Dieser setzt eine Zurechenbarkeit der streitgegenständlichen Handlung zu einem Hoheitsträger und dessen Handlung in hoheitlicher Eigenschaft voraus. Handelt ein Hoheitsträger, ist diese Voraussetzung nur problematisch bei privatrechtlichem Handeln der Verwaltung. Das BMI ist Träger öffentlicher Gewalt. Die hoheitliche Natur des Tweet geht daraus hervor, dass der Tweet auf dem offiziellen Twitteraccount des BMI veröffentlicht wurde und im inhaltlichen Zusammenhang der Tätigkeit des BMI steht. Auf diesen Punkt solltest Du hier nicht viel Zeit verwenden. Er ist unproblematisch gegeben, aber Du tust gut daran, ihn kurz abzuhandeln.

4. Der Tweet könnte auch in ein subjektiv-öffentliches Recht der AfD eingegriffen haben.

Ja!

Die Verletzung eines subjektiven Rechts ist weitere Voraussetzung des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs. Die Äußerung des BMI könnte einen Eingriff in die Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 GG) in Form der Betätigungsfreiheit als politische Partei und der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb darstellen. VG: "Eine Verletzung dieser Rechte kann insbesondere auch dadurch erfolgen, dass staatliche Organe negative Werturteile über die Ziele und Betätigungen der Partei äußern" (RdNr. 16).

5. Um zu ermitteln, ob die Äußerung einen Eingriff in subjektive Recht der AfD darstellt, ist die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich.

Nein, das ist nicht der Fall!

VG: "Ziel der Auslegung einer Äußerung ist stets, deren objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für die Leser, Hörer oder Zuschauer erkennbar sind" (RdNr. 17). Bei der Auslegung einer Äußerung ist es unerheblich, ob die Äußerung offen und ausdrücklich oder lediglich zwischen den Zeilen erfolgt. Maßgeblich ist, welche Schlussfolgerung das verständige Publikum daraus ziehen kann..

6. Aus dem Tweet, dass das BfV-Gutachten über die AfD im BMI ergebnisoffen geprüft werde, kann geschlussfolgert werden, dass geprüft wird, die AfD als extremistische Bestrebung i.S.d. § 3 BVerfSchG einzustufen.

Ja, in der Tat!

Das Verfassungsschutzrecht erlaubt dem BfV in § 3 Abs. 1 BVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen über extremistische Bestrebungen i.S.v § 3 BVerfSchG. Voraussetzung dafür ist gemäß § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. Liegen diese Anhaltspunkte vor, besteht ein sog. Verdachtsfalls, der das BfV zur Beobachtung ermächtigt. Wird hingegen geprüft, ob diese Anhaltspunkte und damit die gesetzlichen Voraussetzungen der Beobachtung vorliegen, besteht ein sog. Prüffall. VG: Die AfD wird in dem Tweet namentlich erwähnt. Erwähnt wird weiter, dass beim BfV ein Gutachten über die AfD existiert, welches das BMI prüfe. Daraus kann das verständige Publikum - gerade auch angesichts der Presseberichte - schließen, dass es sich bei der AfD um einen Prüffall des Verfassungsschutzes handelt. Die Mitteilung des BMI, ein Gutachten werde geprüft, lasse sich somit nicht sinnvoll trennen von der damit impliziten Aussage, die AfD sei Prüffall des Verfassungsschutzes (RdNr. 17). Die Unterscheidung zwischen Prüffall und Verdachtsfall muss Dir nicht geläufig sein. Wichtig ist in einer solchen Klausur die saubere rechtliche Prüfung unbekannter Normen.

7. Sofern in der Äußerung deutlich wird, dass das Ergebnis der Prüfung über die Einstufung der AfD als extremistische Bestrebung i.S.d. § 3 BVerfSchG noch offen ist, liegt kein Eingriff in die nach Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Parteienfreiheit vor.

Nein!

Die Parteienfreiheit nach Art. 21 GG ist wegen der besonderen Rolle der Parteien unter dem Grundgesetz besonders geschützt und von hohem verfassungsrechtlichen Rang. Hoheitliche Maßnahmen, die die Wählbarkeit einer Partei negativ beeinflussen können, unterliegen einem strengen Maßstab. VG: Die Einstufung einer Partei als Prüffall des Verfassungsschutzes führe bereits dazu, dass die Bereitschaft, sie zu wählen sinkt. Eine damit möglicherweise unzutreffend verbundene "Extremismus-Etikettierung" führe "zu einer schwerwiegenden Verzerrung des demokratischen Wettbewerbs". Die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb werde erheblich geschmälert. Somit führe bereits die Berichterstattung über die Prüfung des BfV, ob in der Partei extremistische Bestrebungen bestehen, zu einem Eingriff in Art. 21 Abs. 1 GG (RdNr. 22).

8. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt ferner voraus, dass der Eingriff rechtswidrig ist. In Betracht kommt eine Rechtfertigung aus der Befugnis des BMI zur Information der Öffentlichkeit gemäß § 16 Abs. 2 BVerfSchG.

Genau, so ist das!

§ 16 Abs. 1 BVerfSchG räumt dem BfV die gesetzliche Befugnis ein, die Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen i.S.d. § 3 BVerfSchG zu informieren. § 16 Abs. 2 S. 1 BVerfSchG räumt dem BMI die gleiche Befugnis ein. Diese Befugnis ist gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 Halbsatz 2 BVerfSchG aber nur gegeben, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen. Systematisch beschränkt sich die Informationsbefugnis des § 16 Abs. 1 und 2 BVerfSchG damit auf Verdachtsfälle, erstreckt sich jedoch nicht auf Prüffälle. Denn bei denen wird noch geprüft, ob tatsächliche Anhaltspunkte für die extremistische Bestrebung überhaupt vorliegen. In der Klausur werden Spezialkenntnisse des Verfassungsschutzrechts nicht erwartet. Kommt ein solcher Fall in der Klausur, wird von Dir erwartet, sauber und eingehend mit den infrage kommenden - und typischerweise im Sachverhalt der Klausur erwähnten - unbekannten Vorschriften zu arbeiten und diese auszulegen. Hier kannst Du Dein juristisches Handwerkszeug demonstrieren.

9. Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 S. 1 BVerfSchG erfüllt. Damit ist die Äußerung des BMI aufgrund von § 16 BVerfSchG gerechtfertigt und rechtmäßig.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Befugnis des § 16 Abs. 2 S. 1 BVerfSchG zur Information der Öffentlichkeit erlaubt die Berichterstattung gegenüber der Öffentlichkeit nur, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen i.S.d. § 3 BVerfSchG vorliegen. Sie ist damit beschränkt auf Informationen über Verdachtsfälle. Nach den Presseberichten steht das BfV davor, die AfD als extremistische Bestrebung - und damit als Verdachtsfall - einzustufen. Da dies noch nicht erfolgt ist, ist sie (noch) nicht als Verdachtsfall, sondern allenfalls als Prüffall einzustufen. Dies bestätigt der Tweet des BMI, das betont, das BfV-Gutachten über die AfD ergebnisoffen zu prüfen. Eine Berichterstattung über einen Prüffall ist auf Grundlage von § 16 BVerfSchG nicht zulässig (RdNr. 18).

10. Äußerungen von Staatsorganen können aber aufgrund ihrer allgemeinen Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit gerechtfertigt sein.

Ja!

Nach der Rechtsprechung des BVerfG schließt die Aufgabe der Staatsleitung die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein. Sie ist verfassungsrechtlich zulässig, um den Diskurs in der Demokratie lebendig zu halten und damit die Bürger einen politischen Willen bilden können. Aufgrund ihrer Autorität und den verfügbaren staatlichen Ressourcen können die Staatsorgane aber auf die Willensbildung des Volkes einwirken, den politischen Wettbewerb verzerren und den Prozess der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen umkehren. Daher muss staatliches Informationshandeln den Geboten der staatlichen Neutralität und Sachlichkeit genügen. Zielgerichtete Eingriffe in den politischen Wettbewerb sind unzulässig. Eine starke Ansicht in der Literatur hält staatliches Informationshandeln ohne parlamentsgesetzliche Rechtsgrundlage für verfassungswidrig, weil dies den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes nicht genüge.

11. Vorliegend kann das BMI auf die allgemeine Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zurückgreifen. Dass die Voraussetzungen von § 16 BVerfSchG nicht erfüllt sind, ist unerheblich.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit kommt nicht nur der Bundesregierung zu, sondern auch den einzelnen Bundesministern für ihre jeweiligen Ressorts. Allerdings stellt sich die Frage, ob sie durch spezielle gesetzliche Befugnisse zum Informationshandeln gesperrt ist. Hier entfaltet § 16 BVerfSchG als Spezialregelung Sperrwirkung. Hat der Gesetzgeber besonders geregelt, unter welchen Voraussetzungen der Staat die Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen zu informieren hat, misst sich das Informationshandeln des Staates an den Anforderungen dieser Befugnisnorm. Ein Rückgriff auf die allgemeine Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ist nicht möglich (RdNr. 19). Immer wenn eine spezielle Ermächtigungsgrundlage für staatliches Handeln einschlägig ist, aber ihre Voraussetzungen nicht gegeben sind, musst Du Dich fragen, ob diese Ermächtigungsgrundlage gegenüber allgemeineren Befugnissen Sperrwirkung entfaltet.

12. Wenn das BMI sich auf die allgemeine Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit stützen könnte, wäre der Eingriff gerechtfertigt.

Nein, das trifft nicht zu!

Staatliches Informationshandeln unterliegt den Grenzen der Neutralität und Sachlichkeit. Staatliches Informationshandeln darf sich zwar - auch erheblich - auf die Wahlchancen politischer Parteien auswirken. Staatliche Äußerungen sind aber mit Blick auf die politischen Chancengleichheit von Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) unzulässig, soweit sie zielgerichtet "Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen" enthalten. VG: Indem das BMI die AfD als Prüffall des Verfassungsschutzes bezeichnet, beziehe es einseitig Stellung gegen eine politische Partei und greife unzulässig in Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein. Die Äußerung sei daher auch nicht im Rahmen der allgemeinen Grenzen staatlichen Informationshandelns gestattet und damit auch unter diesem Gesichtspunkt rechtswidrig (RdNr. 20).

13. Die AfD kann weiter einen Anordnungsgrund, der die Eilbedürftigkeit begründet, glaubhaft machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

Ja!

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt neben einem Anordnungsanspruch einen Anordnungsgrund voraus. Dieser ist gegeben, wenn es der Antragstellerin nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. VG: Der Tweet des BMI ist nicht gelöscht, wodurch der Eingriff in die durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützten Rechte der AfD andauert. Dies sei auch mit Blick auf anstehende Wahlen erheblich. Angesichts der sehr hohen Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache bestünden auch keine Bedenken gegen eine Vorwegnahme der Hauptsache. Die AfD hat den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (RdNr. 21). Der Eilantrag ist hinsichtlich der Löschung des Tweets begründet.

14. Weiterhin fordert die AfD im Eilantrag von dem BMI, derartige Äußerungen künftig zu unterlassen. In Betracht kommt auch in Bezug hierauf ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch.

Genau, so ist das!

Ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, der auf die zukünftige Unterlassung einer getätigten Äußerung zielt, setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist und die konkrete Gefahr der Wiederholung droht. Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Im Ausgangsfall konnte die AfD eine Wiederholungsgefahr nicht glaubhaft machen. Es lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das BMI die AfD erneut öffentlich - explizit oder implizit - als Prüffall des BfV bezeichnen würde. Mangels Wiederholungsgefahr war der Antrag in dieser Hinsicht unbegründet (RdNr. 22f.). Die Anforderungen besonderer öffentlich-rechtlicher Ansprüche sind häufig Gegenstand von Klausuren. Gerne werden dabei Sachverhalte mit mehreren Klagebegehren gewählt, in denen sich - wie hier - die Anspruchsvoraussetzungen leicht voneinander unterscheiden. Hier sauber arbeiten!

15. Im Rahmen ihres Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO muss die AfD einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen. Dieser könnte hier aus dem Folgenbeseitigungsanspruch folgen.

Ja, in der Tat!

Während der Unterlassungsabwehr lediglich der Abwehr eines bestehenden Eingriffs dient, zielt der Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Er setzt zusätzlich zu den Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs voraus, dass die Wiederherstellung möglich und zumutbar ist. Der FBA wird teilweise aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), den betroffenen Grundrechten, dem Rechtsgedanken der §§ 12, 862, 1004 BGB, dass eine Beeinträchtigung nicht hingenommen werden muss oder dem durch Richterrecht geprägten Gewohnheitsrecht hergeleitet. Da der FBA engere Voraussetzungen ("Möglichkeit und Zumutbarkeit") als der Unterlassungsanspruch hat, muss er nur geprüft werden, wenn nicht nur die Abwehr eines Eingriffs (hier: Löschung des Tweets), sondern auch die Beseitigung der Folgen ( z.B. Widerruf auf Twitter) begehrt wird.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jana-Kristin

Jana-Kristin

23.11.2021, 18:39:35

Falls es jemand sucht: Das BVerfSchG ist im Sartorius die Ordnungsnummer 80.

PH

Phoenix

27.11.2021, 12:12:50

Sehr gute Darstellung! Nur zur Info: Im Rahmen der Anspruchsgrundlage könnte man den öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch (Abwehr des Eingriffs) kurz zum sog.

Folgenbeseitigungsanspruch

(Wiederherstellung des status quo ante) abgrenzen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

30.11.2021, 11:30:39

Vielen Dank für den super Hinweis, Phoenix. Wir haben nun eine entsprechende Frage ergänzt :). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sambadi

Sambadi

23.3.2022, 01:23:08

Danke für die super Darstellung. Zwar verstehe ich, dass §16 BVerfSchG eine Sperrwirkung enthält und dass dort die Vorraussetzungen nicht erfüllt wären. Allerdings würde ich in dem Tweet kein gezielten „Angriff“ auf die Chancengleichheit sehen. Wie ihr selbst schreibt, können sich Äußerungen im Rahmen der Allgemeinen Informationsarbeit seitens Hoheitsträger z.T auch erheblich auf die Wahlchancen auswirken. Sie müssen nur sachlich sein. Hier gibt das BMI doch ohne Wertung die tatsächlichen Umstände wieder oder verstehe ich da was falsch? (In dem genauen Fall eh nicht relevant, wegen der Sperrwirkung der Spezialnorm aber würde das trotzdem gerne verstehen). Danke!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.3.2022, 17:15:28

Hallo sambody2love, das VG Berlin hat vor allem damit argumentiert, dass die Befugnis- zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit nicht einseitig für oder gegen einzelne Parteien eingesetzt werden darf. Auch wenn die Informationen hier also sachlich neutral formuliert waren, so ergäbe sich allein durch den Tweet eine einseitige Parteinahme gegen eine Oppositionspartei. Eine solche sei im Ergebnis aber unzulässig (vgl. RdNr. 20). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CECI

Cecilie

2.6.2022, 15:21:41

Nur eine Frage bzgl der Terminologie :) Als Anordnungsanspruch greift ja der öff. Rechtliche

Abwehranspruch

. Hier ist aber immer vom öff rechtlichen Unterlassungsanspruch die Rede, obwohl der Eingriff noch fortdauert und am Ende gehts dann nochmal um einen (nicht begründeten) Unterlassungsanspruch und da muss dann die Voraussetzung „Wiederholungsgefahr“ vorliegen. Meint ihr am Anfang „

Abwehranspruch

“ statt „unterlassungsanspruch“ oder ist es egal wie man es nennt, Hauptsache man versteht den Unterschied in der Rechtsfolge und damit die Abgrenzung fortdauernder Angriff/ Wiederholungsgefahr?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.6.2022, 12:06:27

Hallo Cecilie, das VG Berlin hat an dieser Stelle sowohl die Abwehr der bestehenden Störung, als auch die Unterlassung der zukünftigen Beeinträchtigung (zB erneute Äußerung) einheitlich unter dem Begriff "Unterlassungsanspruch" geprüft. Geht es in einem Fall dagegen allein um eine aktuelle Störung (ohne Besorgnis zukünftiger Beeinträchtigung), so kannst Du hier auch differenzieren und für die

gegenwärtig

e Beeinträchtigung den Begriff "öffentlich-rechtlicher

Abwehranspruch

" und für zukünftige Beeinträchtigungen "

öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch

" verwenden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CECI

Cecilie

2.6.2022, 19:32:51

Und noch eine Frage: warum ist hier der verwaltungsgerichtsweg eröffnet und bei der Äußerung von Seehofer über die afd auf der bmi Internetseite ein organstreitverfahren statthaft? Es sind ja im Grunde die gleichen argumentationssturkuren Chancengleichheit der Partei vs. Informations- und Öffentlichkeitsarbeit als Teil der Staatsleitung. Wieso liegt hier

doppelte verfassungsunmittelbarkeit

vor? Macht hier der Post über Twitter den Unterschied oder der Gegenstand der Äußerung? Danke!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.6.2022, 12:08:55

Hallo Cecilie, der Unterschied besteht hier darin, dass einmal gegen Seehofer als Mitglied des Staatsorgans "Bundesregierung" geklagt wird und die Klage sich das andere Mal gegen das BMI als oberste Bundes

behörde

richtete. Somit liegt nur im ersten Fall "

doppelte Verfassungsunmittelbarkeit

" vor, weswegen hier der

Verwaltungsrecht

sweg nicht statthaft ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

hannahlouisa

hannahlouisa

18.8.2022, 21:57:58

Hey :) Könntest du das vielleicht noch einmal weiter ausführen? Weil das BMI ist ja trotzdem ein Bundesorgan, und soweit Parteien in Art. 21 verletzt sind, sind sie ja auch beteiligtenfähig im Organstreitverfahren. Also sind ja trotzdem Bundesorgane beteiligt, warum also wird das nicht dann zumindest über 32 BVerfGG geregelt? Ich schreibe Montag Examen und bin jetzt mega verwirrt 😅 Danke schonmal!

Sambadi

Sambadi

16.4.2023, 02:39:22

Das BMI ist eben kein Bundesorgan sondern die oberste Bundes

behörde

. Allerdings sind die einzelnen BUNDESminister wiederum Teil der Bundesregierung (Art. 62 GG) und somit Teile eines obersten Bundesorgans iSs § 63 BVerfGG. Im Bundesministerium des Innern ist aber nur ein Bundesminister nämlich die Faeser (damals Seehofer). Die restlichen Mitarbeiter sind jedoch nicht Teil der Bundesregierung und handeln grds.

Verwaltungsrecht

lich :) Wird dir jetzt wahrscheinlich nichts mehr bringen, aber dadurch hab ich es mir jetzt gemerkt 😅😅

Sambadi

Sambadi

16.4.2023, 02:44:18

Und das Seehofers Aussage damals auch auf der Homepage des BMI veröffentlicht wurde, ist nur insoweit relevant, als das es für eine Äußerung als „Amtsträger“ spricht um diese von einer etwaigen - in die Chancengleichheit nicht eingreifende - Äußerung als „Parteipolitiker“ bzw „Privatperson“ abzugrenzen.


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