Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Rechtfertigungsgründe
Tierschutz als notstandsfähiges Rechtsgut, OLG Naumburg, NJW 2018, 2064
Tierschutz als notstandsfähiges Rechtsgut, OLG Naumburg, NJW 2018, 2064
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Tiere sind dem geldgeilen Schweinezüchter S egal. Seine Ställe sind überfüllt und die Schweine können sich nicht bewegen. Die Tierschutzaktivistin A erträgt kein Tierleid. Um die Zustände zu dokumentieren und den Behörden zu melden, betritt A nachts heimlich S's Schweineställe.
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Einordnung des Falls
Tierschutz als notstandsfähiges Rechtsgut, OLG Naumburg, NJW 2018, 2064
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Durch das unbefugte Betreten hat A den Tatbestand des Hausfriedensbruchs verwirklicht (§ 123 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) verlangt zunächst eine Notstandslage.
Ja!
3. Die notstandsfähigen Rechtsgüter sind in § 34 S. 1 StGB abschließend aufgezählt.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. As Mitgefühl stellt ein notstandsfähiges Rechtsgut dar.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Der Tierschutz stellt ein notstandsfähiges Rechtsgut dar.
Ja!
6. Es besteht eine gegenwärtige Gefahr im Hinblick auf den Tierschutz.
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
QuiGonTim
22.3.2022, 09:50:57
Welche Variante(n) des 123 I StGB sind denn hier einschlägig? Ist der Schweinestall ein
Geschäftsraum?
Lukas_Mengestu
23.3.2022, 16:10:05
Hallo QuiGonTim, Ställe, Höfe, Scheunen werden in der Regel unter die Alternative "
befriedetes Besitztum" subsumiert (vgl. Feilcke, in: MüKo-StGB, 4.A. 2021, § 123 RdNr. 14). Dagegen stellen Geschäftsräume Räumlichkeiten dar, die der gewerblichen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder ähnlichen Tätigkeit überwiegend und für eine gewisse Dauer dienen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Entenpulli
28.8.2023, 22:09:45
Bindet der Tierschutz im GG nicht nur den Staat selbst und ist dadurch weder ein Individualrechtsgut, noch ein Rechtsgut der Allgemeinheit, da Staatszielbestimmungen gerade nicht inter parts wirken?
Leo Lee
9.9.2023, 10:34:55
Hallo Entenpulli, richtig ist, dass der Schutz von Allgemein
rechtsgütern grds. den Staatsorganen obliegt. Deshalb kann § 34 StGB in dieser Hinsicht nur dann greifen, wenn staatliche Stellen nicht rechtzeitig eingreifen können (neben diesem Beispiel auch etwa dann, wenn jemand betrunken Auto fahren will)! Die Staatszielbestimmungen wirken zwar nicht „inter partes“, weshalb auch eine
Notwehrdiesbzgl. Nicht erlaubt ist. Allerdings ist eine „
gemeine Gefahr“ – wie Tierschutz oder Trunkenheitsfahr – eine Gefahr, die „erga omnes“ wirkt und deshalb auch von jedem – soweit natürlich der Staat nicht kann – abgewandt werden darf. Hierzu kann ich die Lektüre von Wessels/Beulke/Satzger AT 50. Auflage, Rn. 457 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Pilea
26.10.2023, 11:15:08
Gab es nicht eine Fallgruppe des Ausschlusses über 'Abgeschlossene staatliche Verfahren', sodass hier keine Rechtfertigung greift? Oder soll es hier nur um die geprüften Merkmale gehen, der Fall ist aber nicht zu Ende geprüft?
Leo Lee
29.10.2023, 09:51:26
Hallo Pilea, in der
Tatgibt es die Vorrangigkeit staatlicher Verfahren. Also dann, wenn der Staat eigene Verfahren zur Lösung des Konflikts darstellt, übt er sein Gewaltmonopol aus, womit keine
Notwehr-/Notstandslage gegeben ist. Der hiesige Fall ist allerdings so gelagert, dass hier der Tierschützer deshalb eindringt, um die
Behörden überhaupt aufmerksam zu machen, damit sie ihr Monopol ausüben können. Insofern ist die Handlung hier dem „vorrangig Staatsverfahren“ vorgelagerte Handlung. Hierzu kann ich dir i.Ü. die Lektüre von Fischer StGB 69. Auflage, § 34 Rn. 9 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
L.Goldstyn
21.8.2024, 13:16:45
Ein ergänzender Hinweis, falls hier angesichts der Lösung bei dem ein oder anderen Verwirrung besteht: Ich hatte für diese Fälle einen anderen Lösungsweg abgespeichert, der § 34 StGB verneint. Dieser Ansatz wurde mir sogar als „h.M.“ präsentiert, wobei das natürlich immer von der verwendeten Quelle abhängt. Das Argument: § 34 StGB erfordert, dass der Handelnde „eine
Tatbegeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden“. Mit „einem anderen“ kann (wie auch bei
§ 32 StGB) nur ein anderer Mensch gemeint sein (natürliches Wortverständnis). Mangels Gefahr für einen „anderen“ Menschen scheitert es bereits an dem Vorliegen einer Notstandslage, sodass § 34 StGB zu verneinen ist. Der hier dargestellte Lösungsweg (Abstellen auf Art. 20a GG, ggf. iVm § 1 TierSchG) ist aber selbstverständlich ebenso vertretbar. In der Klausur würde ich beide Ansätze darstellen und mich dann mit einem Argument (z.B. Wortlaut für den ersten, Sinn und Zweck des § 34 StGB, auch „andere
Rechtsgüter“ zu schützen für den zweiten Ansatz) für einen der Ansätze entscheiden. Folgt man dem ersten Ansatz, müsste man im Hilfsgutachten weiterprüfen.
Findet Nemo Tenetur
31.10.2024, 12:27:12
In einer vorherigen Aufgabe wurde erklärt, dass sich § 34 von § 32 u.a. darin unterscheidet, dass das Prinzip der Rechtsbewährung iRd Notstands keine Rolle spielt. Wenn nun aber § 34 auch Allgemeingüter schützt, dann verstehe ich das nicht richtig. Denn ist die Verteidigung von Allgemeingütern nicht auch so etwas wie die Verteidigung des Bestands der Rechtsordnung?
Leo Lee
1.12.2024, 07:18:32
Hallo Findet Nemo Tenetur, vielen Dank für den wichtigen Hinweis! Magst du uns vielleicht kurz mitteilen, welchen Fall du genau meinst, damit wir darauf Bezug nehmen können? Bei der Fülle an Aufgaben und Definitionen ist es auch für uns Moderatoren nicht immer leicht, gleich die Aufgabe, auf die rekurriert wird, aufzuspüren :D! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Viooola
3.12.2024, 15:24:32
Ich dachte "anderes Rechtsgut" iSd § 34 StGB wäre so auszulegen, dass es den aufgezählten
Rechtsgütern im Wesen nach ähnelt und vor allem auch Bezug zum Menschen aufweist. Bei Tierschutz ist das ja grade nicht der Fall. Deswegen hätte ich § 34 hier nicht für einschlägig gehalten.