Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2022
Sukzessive Mittäterschaft und Zurechnung von Qualifikationsmerkmalen
Sukzessive Mittäterschaft und Zurechnung von Qualifikationsmerkmalen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und B lernen C und D kennen. Im Laufe des Abends verständigen sich A und B, C und D unter Gewaltandrohung Sachen abzunehmen. Absprachewidrig wirft A dem C dabei eine Flasche ins Gesicht und verletzt ihn schwer. A verlangt und bekommt von C €200. Als D dem C helfen will, bringt B den D von hinten mit einem Würgegriff zu Boden.
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Einordnung des Falls
In diesem Beschluss des BGH werden die Voraussetzungen für eine sukzessive Mittäterschaft und die Anrechnung der Tatbeiträge klargestellt. Da ein Tatbeteiligter nichts von den Plänen bezüglich der qualifizierenden Tatausführung beim Raub des anderen Täters wusste, ist die Zurechnung der Erfüllung von Qualifikationsmerkmalen problematisch. Eine solche sei im Rahmen der sukzessiven Mittäterschaft möglich, wenn der Hinzutretende zwar erst nach Tatvollendung, aber noch vor Tatbeendigung, unter Ausnutzung des Qualifikationsumstands auf die Sicherung des Taterfolgs gerichtete Handlungen vornimmt.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Könnte A sich wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung strafbar gemacht haben, indem er C die Flasche ins Gesicht warf und €200 verlangte (§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat A durch seine Tathandlung alle Voraussetzungen der besonders schweren räuberischen Erpressung erfüllt?
Ja, in der Tat!
3. Könnte B sich durch das Zubodenbringen des D wegen mittäterschaftlichen besonders schweren Erpressung strafbar gemacht haben (§§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2 StGB)?
Ja!
4. Setzt die Mittäterschaft nur voraus, dass der eine Mittäter den Tatentschluss des anderen Mittäters hervorgerufen hat?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. B hat den C nicht selbst genötigt. War ihm die Nötigungshandlung des A (Flaschenwurf) zum Zeitpunkt des Flaschenwurfs zurechenbar?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Scheidet eine sukzessive Mittäterschaft durch das Zubodenbringen des D nach allen Ansichten aus, da durch die Übergabe des Geldes die räuberische Erpressung beendet ist?
Nein!
7. Ist nach Vollendung der Tat – hier: nach Weggabe der €200 – eine sukzessive Mittäterschaft nach der Rspr. ausgeschlossen?
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Hat B sich durch das Zubodenbringen des D nach der Rspr. wegen mittäterschaftlichen besonders schweren Raubes strafbar gemacht (§§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2 StGB)?
Ja, in der Tat!
9. Ist eine sukzessive Mittäterschaft im Beendigungsstadium – hier: nach Weggabe der €200 und vor deren Sicherung – auch nach h.L. möglich?
Nein!
10. Hat A sich durch den Flaschenwurf wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?
Genau, so ist das!
11. Hat B sich im Wege der sukzessiven Mittäterschaft ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht (§§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 25 Abs. 2 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Simon
25.2.2023, 22:41:51
B hat sich (nach hL) aber trotzdem wegen "einfacher" räuberischer Erpressung in Mittäterschaft gem. §§ 253, 255, 25 II StGB strafbar gemacht, oder? Tatplan lag diesbezüglich ja vor (nur eben hinsichtlich der Qualifikation des § 250 II Nr. 1 nicht), und Tatherrschaft bestand mE auch schon vor dem Eingreifen des B.
Dominic
4.8.2023, 14:08:39
Das würde mich auch interessieren.
L.Goldstyn
27.8.2024, 12:36:36
Hi Simon, genau so würde ich das auch sehen.
Geldhatmanzuhaben
12.9.2024, 16:47:45
B dürfte nach hL bis zu dem Zeitpunkt der Gewaltanwendung keine Tatherrschaft gehabt haben, da er bis dato keinen Tatbeitrag geleistet hat. Die etwaige vorherige Abrede begründet allein eine Teilnehmerstrafbarkeit (arbeitsteiliges Vorgehen). Anknüpfungspunkt der Rspr. ist ja auch gerade das Würgen durch den B. Mit anderen Worten: Hätte B den abwehrbereiten D nicht gewürgt, hätte A ja alles alleine gemacht. Auch dürfte die vorherige Absprache B-A ein „Minus“ in der Tatausführung keinesfalls ausgleichen.
Sambadi
14.4.2023, 18:01:59
Im vorliegenden Fall müsste ich in einer Klausur aber schon diskutieren, ob es Raub oder räuberische Erpressung oder? Weil nach der hL wäre dies ja keine wirkliche Vermögensverfügung? A wäre ja nicht wirklich auf die aktive Mithilfe des C angewiesen um die 200€ auch zu nehmen, wenn C diese A nicht ausgehändigt hätte..
Dominic
4.8.2023, 14:08:12
Nur weil er hypothetisch nicht auf die aktive Mithilfe des C angewiesen wäre, ist es hier doch tatsächlich so, dass C das Geld zumindest willentlich herausgegeben hat. Du hast insoweit recht, dass der Sachverhalt etwas dünn ist was die Frage angeht, ob C auch wirklich freiwillig (mehr als willentlich) gehandelt hat. Das wäre nur dann der Fall, wenn er angenommen hätte, dass den Vermögensverlust notfalls unter Aufopferung seines Lebens verhindern könnte. Vielleicht könnte das Jurafuchs den Sachverhalt noch etwas präzisieren und dazu eine weitere Frage aufnehmen.
Chris162
28.8.2023, 12:08:44
L.Goldstyn
27.8.2024, 12:52:00
Hallo Chris162, genau, es liegt ein sog.
Mittäterexzessvor. Dieses Schlagwort kann man gerne erwähnen (nach der hier verfolgten Lösung im Rahmen der Ablehnung des gemeinsamen Tatplans) und dementsprechend noch weiter ausführen, warum der Wurf mit der Glasflasche eine wesentliche Abweichung vom ursprünglichen gemeinsamen Tatplan darstellt, mit der der Mittäter nicht mehr zu rechnen hatte. Am Ergebnis ändert sich i.Ü. aber nichts. Viele Grüße!
Pilea
15.10.2023, 10:28:51
Liebes Jurafuchs-Team, könntet ihr hier noch auf die drei gestellten Fragen eingehen? Das wäre toll.
comprometido
11.2.2024, 09:53:19
Um das hier nochmal zu pushen: Fände eine Beantwortung der gestellten Fragen, auch super hilfreich! :)
Megx
8.11.2024, 12:03:30
Die Lösung spricht davon, dass sich B der mittäterschaftlichen Erpressung strafbar gemacht hat, *indem* er den D zu Boden gebracht hat...darauf wird aber irgendwie gar nicht eingegangen, sondern dem B direkt die Handlung des A zugerechnet. Inwiefern ist auf Bs Verhalten gegenüber D einzugehen? Müsste man da nochmal eine Körperverletzung des B zulasten des D prüfen? Oder hat B eben doch ein eigenes Nötigungsmittel angewandt, indem er D gewürgt hat?