Strafrecht

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Sukzessive Mittäterschaft und Zurechnung von Qualifikationsmerkmalen

Sukzessive Mittäterschaft und Zurechnung von Qualifikationsmerkmalen

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Eine Person würgt ein Opfer während ein andere Täter sein bereits am Boden liegendes und blutendes Opfer beäugt.

A und B lernen C und D kennen. Im Laufe des Abends verständigen sich A und B, C und D unter Gewaltandrohung Sachen abzunehmen. Absprachewidrig wirft A dem C dabei eine Flasche ins Gesicht und verletzt ihn schwer. A verlangt und bekommt von C €200. Als D dem C helfen will, bringt B den D von hinten mit einem Würgegriff zu Boden.

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Einordnung des Falls

In diesem Beschluss des BGH werden die Voraussetzungen für eine sukzessive Mittäterschaft und die Anrechnung der Tatbeiträge klargestellt. Da ein Tatbeteiligter nichts von den Plänen bezüglich der qualifizierenden Tatausführung beim Raub des anderen Täters wusste, ist die Zurechnung der Erfüllung von Qualifikationsmerkmalen problematisch. Eine solche sei im Rahmen der sukzessiven Mittäterschaft möglich, wenn der Hinzutretende zwar erst nach Tatvollendung, aber noch vor Tatbeendigung, unter Ausnutzung des Qualifikationsumstands auf die Sicherung des Taterfolgs gerichtete Handlungen vornimmt.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte A sich wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung strafbar gemacht haben, indem er C die Flasche ins Gesicht warf und €200 verlangte (§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB)?

Genau, so ist das!

Eine Strafbarkeit wegen räuberischer Erpressung setzt nach hM (1) eine Nötigungshandlung, (2) einen Nötigungserfolg, (3) Finalität zwischen beidem, (4) Vorsatz und (5) Bereicherungsabsicht voraus. Die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter als Mittel der Nötigungshandlung ein gefährliches Werkzeug verwendet hat.Hat im Falle der Mittäterschaft einer der Täter sämtliche Tatbestandsmerkmale allein verwirklicht, so empfiehlt es sich, diesen zunächst allein zu prüfen. Ein Rückgriff auf die Zurechnungsnorm des § 25 Abs. 2 StGB ist in diesem Fall nicht notwendig.
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2. Hat A durch seine Tathandlung alle Voraussetzungen der besonders schweren räuberischen Erpressung erfüllt?

Ja, in der Tat!

A hat C vorsätzlich und mit Bereicherungsabsicht durch Anwendung von Gewalt –Flaschenwurf – (Nötigungshandlung) final zur Herausgabe des Geldes (Nötigungserfolg) genötigt. Dabei verwendete er mit der Flasche auch ein gefährliches Werkzeug iSd § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB. Eine Vermögensverfügung ist nach der Rechtsprechung nicht erforderlich; die Abgrenzung zum Raub erfolgt allein nach dem äußeren Erscheinungsbild. Da A dem C das Geld nicht abnimmt, sondern C es herausgibt, fehlt es an der für den Raub erforderlichen Wegnahme, sodass alleine die räuberische Erpressung verwirklicht ist.

3. Könnte B sich durch das Zubodenbringen des D wegen mittäterschaftlichen besonders schweren Erpressung strafbar gemacht haben (§§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2 StGB)?

Ja!

Begehen mehrere die Straftat „gemeinschaftlich“, wird ausweislich von § 25 Abs. 2 StGB „jeder als Täter bestraft". Dies hat zur Folge, dass die Mittäter sich ihre wechselseitigen Tatbeiträge zurechnen lassen müssen, als ob sie die Tat vollständig in eigener Person verwirklicht hätten.B selbst hat C weder bedroht, noch von ihm das Geld bekommen. Sofern aber die Voraussetzungen der Mittäterschaft erfüllt sind (§ 25 Abs. 2 StGB) findet eine wechselseitige Zurechnung der jeweiligen Tatbeiträge statt. In der Folge würden die Nötigungshandlung der A und der Nötigungserfolg dem B zugerechnet.

4. Setzt die Mittäterschaft nur voraus, dass der eine Mittäter den Tatentschluss des anderen Mittäters hervorgerufen hat?

Nein, das ist nicht der Fall!

Mitätterschaft setzt eine gemeinschaftliche Tatbegehung voraus. Hierfür bedarf es (1) eines gemeinsamen Tatplans und (2) einer gemeinsamen Tatausführung durch jeweils eigene Tatbeiträge. Ob ein Tatbeitrag Mittäterschaft begründet, beurteilt die Rechtsprechung anhand einer Gesamtwürdigung des Interesses am Taterfolg, des Umfangs der Tatbeteiligung sowie der Tatherrschaft bzw. dem Willen hierzu. Die Literatur verlangt Tatherrschaft; Täter ist danach, wer die Tat beherrscht, das Tatgeschehen „in Händen hält“, über „Ob“ und „Wie“ der Tat maßgeblich entscheidet und damit „Zentralgestalt der Geschehens“ ist.Allein das Hervorrufen des Tatentschlusses könnte dagegen nur eine Teilnahmestrafbarkeit begründen (Anstiftung).

5. B hat den C nicht selbst genötigt. War ihm die Nötigungshandlung des A (Flaschenwurf) zum Zeitpunkt des Flaschenwurfs zurechenbar?

Nein, das trifft nicht zu!

A und B hatten sich darauf verständigt, dass C und D unter Androhung von Gewalt zur Weggabe ihrer Wertgegenstände genötigt werden sollten. Über eine Gewaltanwendung – insbesondere in qualifizierter Art und Weise – hatten sie sich nicht geeinigt, sodass diese Tathandlung nicht mehr vom gemeinsamen Tatplan gedeckt war. Im Zeitpunkt des Flaschenwurfs fehlte es somit an einem gemeinsamen Tatplan, der notwendige Bedingung für eine mittäterschaftliche Zurechnung ist.

6. Scheidet eine sukzessive Mittäterschaft durch das Zubodenbringen des D nach allen Ansichten aus, da durch die Übergabe des Geldes die räuberische Erpressung beendet ist?

Nein!

BGH: Sukzessive Mittäterschaft liege vor, wenn ein Mittäter in Kenntnis und mit Billigung des bisher Geschehenen – auch wenn dies vom ursprünglichen Tatplan abweicht – in die bereits begonnene Ausführungshandlung eines anderen eintritt. Das Einverständnis beziehe sich dann auf die Gesamttat, die nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werde. Nur für das, was vollständig abgeschlossen vorliege (=beendet), könne das Einverständnis eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht begründen, selbst wenn der Hinzutretende die Folgen kennt, billigt und ausnutzt (RdNr. 16).Mit der Übergabe des Geldes war der die räuberischen Erpressung zwar vollendet. Da das Geld noch nicht gesichert war, war die Tat aber noch nicht beendet.Es ist umstritten, ob im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung (Beendigungsstadium) eine sukzessive Mittäterschaft möglich ist.

7. Ist nach Vollendung der Tat – hier: nach Weggabe der €200 – eine sukzessive Mittäterschaft nach der Rspr. ausgeschlossen?

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Ein zur Mittäterschaft führender Eintritt sei auch noch nach Vollendung möglich, solange der zunächst allein Handelnde die Tat nicht materiell beendet hat. Dies gelte auch für bereits erfüllte Qualifikationstatbestände, wenn von dem Hinzutretenden in Kenntnis und unter Ausnutzung des qualifizierenden Umstands auf die Sicherung des Taterfolgs gerichtete Handlungen vorgenommen werden, solange das auf die Verwirklichung des Tatbestands gerichtete Täterverhalten nicht insgesamt beendet ist (RdNr. 16). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass bei Delikten mit überschießender Innentendenz die Tatvollendung weit vorgelagert wird, dies aber die Täter nicht privilegieren soll.

8. Hat B sich durch das Zubodenbringen des D nach der Rspr. wegen mittäterschaftlichen besonders schweren Raubes strafbar gemacht (§§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2 StGB)?

Ja, in der Tat!

A hatte die räuberische Erpressung bereits vollendet, aber noch keine gesicherte Position an dem Geld, sodass sie noch nicht beendet war. Durch sein Eingreifen in Kenntnis des vorher Geschehenen hat B die bisherige Tat der A konkludent gebilligt und einen eigenen Tatbeitrag geleistet. Hierdurch ist er in die Gesamttat eingetreten; er hat sich nach §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.

9. Ist eine sukzessive Mittäterschaft im Beendigungsstadium – hier: nach Weggabe der €200 und vor deren Sicherung – auch nach h.L. möglich?

Nein!

Nach der von der h.L. vertretenen materiell-objektiven Theorie setzt Täterschaft die Tatherrschaft voraus, also das steuernde In-den-Händen-halten des Geschehens, so dass der Beteiligte die Tatbestandserfüllung fördern, hemmen oder unterbinden kann. Die Möglichkeit einer sukzessiven Mittäterschaft in dem Beendigungsstadium scheitert hiernach bereits daran, dass ein nach Vollendung Hinzutretender die tatbestandsmäßige Ausführungshandlung, schon begriffslogisch nicht mehr mitbeherrschen kann. Hierfür spricht, dass der Gesetzgeber für die Bestrafung nachträglicher Mitwirkung an bereits vollendeten Taten die §§ 257ff. StGB bereit stellt.Nach Auffassung der h.L. ist B kein Mittäter.Zu prüfen wäre dann aber noch die sukzessive Beihilfe bzw. Begünstigung (§ 257 StGB).

10. Hat A sich durch den Flaschenwurf wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?

Genau, so ist das!

Als gefährliches Werkzeug gilt jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Eine Glasflasche, die auf den Kopf eines Menschen geworfen wird, kann durch den Aufprall und Schnittwunden zu erheblichen Schäden führen. Insoweit handelte A auch vorsätzlich. Auch eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ließe sich hier ggf. bejahen.

11. Hat B sich im Wege der sukzessiven Mittäterschaft ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht (§§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 25 Abs. 2 StGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Eine sukzessive Mittäterschaft scheidet stets aus, nachdem die Tat beendet ist. Bei einaktigen Erfolgsdelikten fallen Vollendung und Beendigung in der Regel zusammen. Im Zeitpunkt des Aufpralls der Flasche auf den Kopf des C war insoweit die Körperverletzung unmittelbar voll- und beendet. Die nachträgliche Billigung durch B ist irrelevant, denn er konnte die Körperverletzung durch seinen Tatbeitrag in keiner Weise mehr fördern.Merke: Die sukzessive Mittäterschaft ist also nur zu problematisieren, wenn sich die Tat im Beendigungsstadium (zwischen Vollendung und Beendigung) befindet. Nach Beendigung wird eine sukzessive Mittäterschaft einhellig abgelehnt; vor der Vollendung (=Versuchsstadium) einhellig bejaht!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Simon

Simon

25.2.2023, 22:41:51

B hat sich (nach hL) aber trotzdem wegen "einfacher" räuberischer Erpressung in Mittäterschaft gem. §§ 253, 255, 25 II StGB strafbar gemacht, oder? Tatplan lag diesbezüglich ja vor (nur eben hinsichtlich der Qualifikation des § 250 II Nr. 1 nicht), und Tatherrschaft bestand mE auch schon vor dem Eingreifen des B.

DO

Dominic

4.8.2023, 14:08:39

Das würde mich auch interessieren.

L.G

L.Goldstyn

27.8.2024, 12:36:36

Hi Simon, genau so würde ich das auch sehen.

GELD

Geldhatmanzuhaben

12.9.2024, 16:47:45

B dürfte nach hL bis zu dem Zeitpunkt der Gewaltanwendung keine Tatherrschaft gehabt haben, da er bis dato keinen Tatbeitrag geleistet hat. Die etwaige vorherige Abrede begründet allein eine Teilnehmerstrafbarkeit (arbeitsteiliges Vorgehen). Anknüpfungspunkt der Rspr. ist ja auch gerade das Würgen durch den B. Mit anderen Worten: Hätte B den abwehrbereiten D nicht gewürgt, hätte A ja alles alleine gemacht. Auch dürfte die vorherige Absprache B-A ein „Minus“ in der Tatausführung keinesfalls ausgleichen.

Sambadi

Sambadi

14.4.2023, 18:01:59

Im vorliegenden Fall müsste ich in einer Klausur aber schon diskutieren, ob es Raub oder räuberische Erpressung oder? Weil nach der hL wäre dies ja keine wirkliche Vermögensverfügung? A wäre ja nicht wirklich auf die aktive Mithilfe des C angewiesen um die 200€ auch zu nehmen, wenn C diese A nicht ausgehändigt hätte..

DO

Dominic

4.8.2023, 14:08:12

Nur weil er hypothetisch nicht auf die aktive Mithilfe des C angewiesen wäre, ist es hier doch tatsächlich so, dass C das Geld zumindest willentlich herausgegeben hat. Du hast insoweit recht, dass der Sachverhalt etwas dünn ist was die Frage angeht, ob C auch wirklich freiwillig (mehr als willentlich) gehandelt hat. Das wäre nur dann der Fall, wenn er angenommen hätte, dass den Vermögensverlust notfalls unter Aufopferung seines Lebens verhindern könnte. Vielleicht könnte das Jurafuchs den Sachverhalt noch etwas präzisieren und dazu eine weitere Frage aufnehmen.

Chris162

Chris162

28.8.2023, 12:08:44

Wäre bzgl. des Schlags mit der Flasche nicht auch noch ein

Mittäterexzess

anzusprechen?

L.G

L.Goldstyn

27.8.2024, 12:52:00

Hallo Chris162, genau, es liegt ein sog.

Mittäterexzess

vor. Dieses Schlagwort kann man gerne erwähnen (nach der hier verfolgten Lösung im Rahmen der Ablehnung des gemeinsamen Tatplans) und dementsprechend noch weiter ausführen, warum der Wurf mit der Glasflasche eine wesentliche Abweichung vom ursprünglichen gemeinsamen Tatplan darstellt, mit der der Mittäter nicht mehr zu rechnen hatte. Am Ergebnis ändert sich i.Ü. aber nichts. Viele Grüße!

Pilea

Pilea

15.10.2023, 10:28:51

Liebes Jurafuchs-Team, könntet ihr hier noch auf die drei gestellten Fragen eingehen? Das wäre toll.

CO

comprometido

11.2.2024, 09:53:19

Um das hier nochmal zu pushen: Fände eine Beantwortung der gestellten Fragen, auch super hilfreich! :)

MEG

Megx

8.11.2024, 12:03:30

Die Lösung spricht davon, dass sich B der mittäterschaftlichen Erpressung strafbar gemacht hat, *indem* er den D zu Boden gebracht hat...darauf wird aber irgendwie gar nicht eingegangen, sondern dem B direkt die Handlung des A zugerechnet. Inwiefern ist auf Bs Verhalten gegenüber D einzugehen? Müsste man da nochmal eine Körperverletzung des B zulasten des D prüfen? Oder hat B eben doch ein eigenes Nötigungsmittel angewandt, indem er D gewürgt hat?


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