Strafrecht

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.

Sachbeschädigung (§ 303 StGB)

Sachbeschädigung (§ 303 StGB) durch Ablassen von Luft aus einem Fahrradreifen

Sachbeschädigung (§ 303 StGB) durch Ablassen von Luft aus einem Fahrradreifen

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Fall zur Sachbeschädigung (§ 303 StGB) durch Ablassen von Luft aus einem Fahrradreifen: Eine Person entlässt aus dem Hinterreifen eines Fahrrads die Luft.
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Klassisches Klausurproblem

T möchte O ärgern. Er entlässt die Luft aus dem Hinterreifen des Fahrrads des O. Da O auf das Fahrrad täglich angewiesen ist, ist es mit einer funktionsfähigen Luftpumpe ausgestattet.

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Einordnung des Falls

Sachbeschädigung (§ 303 StGB) durch Ablassen von Luft aus einem Fahrradreifen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T durch Öffnen des Ventils das Fahrrad zerstört (§ 303 Abs. 1 StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Handlungsmodalität der Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) ist das Zerstören. Eine Sache ist zerstört, wenn sie auf Grund der Einwirkung in ihrer Existenz vernichtet oder so wesentlich beschädigt ist, dass sie ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig verloren hat.Durch das Öffnen des Ventils und das Entlassen der Luft hat T zwar auf das Fahrrad körperlich eingewirkt, aber dadurch wurde es weder in seiner Existenz vernichtet, noch so wesentlich beschädigt, dass es seine Brauchbarkeit völlig verloren hätte. Der Reifen kann erneut mit Luft befüllt und so die Funktionsfähigkeit des Fahrrads wieder hergestellt werden. T hat das Fahrrad nicht zerstört.
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2. Ist das Fahrrad des O für T eine fremde Sache (§ 303 Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

Taugliche Tatobjekte der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) sind fremde Sachen. Unter den strafrechtlichen Sachbegriff fallen alle körperlichen Gegenstände, beweglich oder unbeweglich. Auch die aus mehreren Einzelsachen zusammengesetzte Sacheinheit ist taugliches Tatobjekt, an dem die Tathandlungen zu messen sind. Fremd ist eine Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht oder herrenlos ist.Der Hinterreifen ist ein körperlicher Bestandteil des Fahrrads, also einer zusammengesetzten Sacheinheit. Da sich das Fahrrad nicht im Alleineigentum des T befand, stellte es eine für ihn fremde Sache dar.

3. Hat T durch Öffnen des Ventils das Fahrrad beschädigt (§ 303 Abs. 1 StGB)?

Nein!

Die h. M. versteht unter Beschädigen jede Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre stoffliche Unversehrtheit nicht unerheblich verletzt (Substanzverletzung) oder ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht unerheblich beeinträchtigt wird (Brauchbarkeitsminderung).Mangels Substanzverletzung kommt es darauf an, ob das Öffnen des Ventils zu einer erheblichen Brauchbarkeitsminderung geführt hat. Hier liegt es nahe, eine erhebliche Brauchbarkeitsminderung zu verneinen, da O mithilfe der Pumpe die Fahruntüchtigkeit ohne große Mühe beseitigen kann (anderes Ergebnis vertretbar).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MANU1

Manu1511

26.11.2019, 12:47:05

Kleine Anmerkung abseits der Juristerei - sofern O kein Transformer ist, glaube ich nicht, dass O einen Hinterreifen besitzt. Es müsste im Sachverhalt noch „des Fahrrads“ eingebaut werden.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

28.11.2019, 11:37:04

:) Hm... Warum sollte man keinen Besitz an einem Hinterreifen haben können? Grammatikalisch (und rechtlich) geht das, scheint es uns. Aber wir haben den Sachverhalt trotzdem geändert (für Dich!!!). Lieben Gruß

GI

GingerCharme

27.4.2020, 17:40:45

Worin wird jetzt der Unterschied zum Auto gesehen? Einfach darin, dass ein Autoreifen weniger leicht wieder aufzupumpen ist als ein Fahrradreifen? Es war zwar eine andere Ansicht vertretbar, aber mir wurde nicht ganz klar wieso es hier anders bewertet wurde, denn die tatsächliche Beisichführung einer Pumpe kann dem Täter ja nicht zu Gute kommen im Sinne von "eine Fahrradpumpe hat man in der Regel dabei". LG

Schaafrichter Johannes

Schaafrichter Johannes

27.4.2020, 19:10:23

Es kommt aber auf die tatsächlichen Umstände an, wie du ja auch geschrieben hast. Eine konkrete Gefährdung ist im Straßenverkehr bspw. höher bestraft als eine rein

abstrakte Gefahr

. Anders etwa bei Werkzeugen, bei denen es je nach vertretener Ansicht und Tatbestand auf die konkrete Verwendung oder auf die generelle Eignung bzw. den gewöhnlichen Einsatz abgestellt wird. Das ist also schon unterschiedlich und vom Gesetzgeber auch so veranlagt. Kommt es auf die konkreten Umstände an, steht der Opferschutz im Vordergrund. Typisiert der TB verschiedene Merkmale, steht die Schuld des Täters im Vordergrund; es wird ihm vorgeworfen, ein Haus in Brand gesteckt zu haben, bei dem er davon ausgehen musste, dass es bewohnt wird und Personen zu Schaden kommen.

GI

GingerCharme

27.4.2020, 21:50:33

Also wäre demnach der Auto-Fall auch keine Sachbeschädigung, wenn (Fall in der Realität quasi gar nicht denkbar) das Opfer eine Pumpenvorrichtung (wie man sie an Tankstellen findet) dabei hat, welche genug Luft enthält und der Reifen mühelos und schnell aufgepumpt werden kann? Ergibt sich dies denklogisch an Gesetzesstellung und Systematik der Delikte oder kann man das griffig irgendwo her ableiten?

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

27.4.2020, 23:10:41

@GingerCharme, stimme Ihnen völlig zu, dass das Ganze etwas merkwürdig ist und sich erst Recht nicht aus dem Gesetzeswortlaut ergibt! Letztendlich kommt es wieder auf das schöne Wort „(un)erheblich“ an (vgl. Kindhäuser LPK-StGB, 3. Aufl., § 303 Rn. 8), welches sich im hiesigen Fall m. E. u. a. anhand des Zeitaufwand bestimmt: Wie lange dauert es, das Fahrzeug aufzupumpen? Hinzu kommt, dass (ähnlich wie beim Fall des Abschneidens einer Locke des angebeteten Fräuleins und der Frage nach § 223) das Luft-Entweichen-Lassen bei Fahrrädern sozial wohl eher noch als Scherz aufgefasst wird als bei einem Kfz.

Kai

Kai

13.6.2023, 10:37:08

Hat der T dann Tatentschluss bzgl. der Sachbeschädigung? Oder kommt es für den Tatentschluss entscheidend darauf an, ob er sich darüber im klaren war ob oder ob nicht der Reifen problemlos wieder aufgepumpt werden konnte?

Klima-Kleber

Klima-Kleber

13.6.2023, 12:34:56

sofern Pumpe wahrgenommen, ist TE m.E. zu verneinen.

MAG

Magnum

31.10.2024, 11:59:14

Verlangt das Zerstören in Bezug auf die völlig Aufhebung der Brauchbarkeit, dass diese nicht reversibel ist?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

3.11.2024, 09:49:54

Hallo @[Magnum](172647), der Begriff der "(Ir-)Reversibilität" ist keiner, den man im Zusammenhang mit der Sachbeschädigung üblicherweise liest. Dementsprechend können wir festhalten, dass die (Ir-)Reversibilität für uns grds kein geeignetes Abgrenzungskriterium ist, weil es weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach den Definitionen für die Begriffe des § 303 StGB eine Rolle spielt. Rein tatsächlich wird eine Zerstörung iSd § 303 I StGB natürlich oft irreversibel sein. Die Frage ist allerdings auch, welchen Maßstab man an die Irreversibilität anlegen wollte. Zerschlage ich eine fremde Vase in viele Teile und sind alle diese Teile noch vorhanden, könnte ein Experte die Vase mit einem Spezialkleber und in mühsamer Kleinarbeit möglicherweise wieder recht originalgetreu zusammensetzen (reversibel?). Zerstört hätte ich sie aber trotzdem. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

RUBHU

Ruben Huße

9.11.2024, 14:30:47

Könnte hier nicht auch eine Sachbeschädigung an der Luft vorliegen ?? Diese wird schließlich sachenrechtlich durch das Einsperren in den Reifen zu einem eingentumsfähigen Gegenstand. Durch das Freilassen liegt somit so gesehen ein Vernichten der Substanz vor.

LELEE

Leo Lee

10.11.2024, 09:21:40

Hallo Ruben Huße, vielen DAnk für die sehr gute und wichtige Frage! Das ist in der Tat ein sehr interessanter Gedanke der mMn nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Allerdings besteht bei 303 das Problem, dass unter "Sache" (wie bei Diebstahl) die Luft selbst als unkörperlicher Gegenstand kein

Tatobjekt

sein kann. D.h. die Sache, die mit Luft befüllt ist, kann zwar beschädigt werden, allerdings die Luft selbst nicht. Eine anderweitige Auslegung würde Probleme nach sich ziehen, da wir hier dann zu Lasten des Täters eine Analogie vornehmen und damit gegen das Analogieverbot verstoßen würden, Art. 103 II GG. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Wieck-Noodt § 303 Rn. 8 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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