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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Bundesrepublik Deutschland möchte eine Pkw-Maut für die Nutzung deutscher Bundesautobahnen einführen. Gleichzeitig soll die Maut für Halter inländischer Fahrzeuge durch eine Senkung der Kfz-Steuer kompensiert werden. Die Republik Österreich hält dies für europarechtswidrig.

Einordnung des Falls

EU-Rechtswidrigkeit der Pkw-Maut

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Republik Österreich kann die Unionsrechtswidrigkeit der Pkw-Maut mittels des Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258, 259 AEUV) rügen.

Ja, in der Tat!

Im Vertragsverletzungsverfahren können mitgliedstaatliche Verstöße gegen das gesamte (primäre und sekundäre) Unionsrecht geltend gemacht werden. Die Rüge kann dabei entweder als Aufsichtsklage von der Kommission (Art. 258 AEUV) oder als Staatenklage von einem anderen Mitgliedstaat (Art. 259 AEUV) ausgehen. Im Falle der Staatenklage muss jedoch zuvor ein kontradiktorisches Vorverfahren unter Beteiligung der Kommission durchgeführt werden (Art. 259 Abs. 2 und 3 AEUV). Nach Abschluss dieses Vorverfahrens kann die Republik Österreich somit das Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH einleiten.

2. Art. 18 Abs. 1 AEUV normiert ein umfassendes Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit, das unmittelbare sowie mittelbare Diskriminierungen erfasst.

Ja!

Art. 18 Abs. 1 AEUV verbietet die unterschiedliche Behandlung zweier gleicher Tatbestände, die den Betroffenen aufgrund seiner Staatsangehörigkeit benachteiligt. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Norm das verbotene Differenzierungskriterium (Staatsangehörigkeit) ausdrücklich aufstellt. Geschützt wird auch vor mittelbarer Diskriminierung, bei der die Differenzierung nach einem anderen Kriterium erfolgt, aber typischerweise zur Schlechterstellung aufgrund der Staatsangehörigkeit führt (RdNr. 42; von Bogandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, 66.A. 2019, Art. 18 RdNr. 10).

3. Eine Diskriminierung scheidet von vornherein aus, da die Halter inländischer Fahrzeuge nicht mit den Haltern ausländischer Fahrzeuge vergleichbar sind. Es fehlt die sogenannte Vergleichsgröße.

Nein, das ist nicht der Fall!

Um eine Diskriminierung feststellen zu können, bedarf es zunächst einer geeigneten Vergleichsgröße, um zu überprüfen, ob eine Person, die sich in einer vergleichbaren Situation befindet, aufgrund der Staatsangehörigkeit eine günstigere Behandlung erfährt. Der Generalanwalt beim EuGH bezweifelte diese Vergleichsgröße, da die Halter inländischer Fahrzeuge nicht nur Nutzer, sondern auch Steuerpflichtige seien. EuGH: Vergleichbarkeit besteht, denn beide Gruppen sind – unabhängig vom Ort der Fahrzeugzulassung – Benutzer deutscher Autobahnen und unterliegen der Pkw-Maut (RdNr. 49).

4. Zusammen beurteilt begründen die Maßnahmen der Pkw-Maut einerseits und der Steuerentlastung für deutsche Pkw-Halter anderseits eine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 Abs. 1 AEUV).

Ja, in der Tat!

EuGH: Halter von in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeugen würden in Bezug auf die Benutzung deutscher Autobahnen weniger günstig behandelt, als Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen. Denn die wirtschaftliche Last der Abgabe liege de facto nur auf ihnen (RdNr. 48). Halter von in anderen EU-Ländern zugelassenen Fahrzeugen sind typischerweise nicht deutsche Staatsangehörige, während dies bei Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen regelmäßig der Fall ist. Darin liege eine mittelbare Diskriminierung, die von Art. 18 Abs. 1 AEUV erfasst ist (RdNr. 51).

5. Art. 18 AEUV enthält ein absolutes Diskriminierungsverbot. Eine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit scheidet aus.

Nein!

Art. 18 AEUV enthält lediglich ein relatives Verbot. EuGH: Die Diskriminierung ist gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck steht (RdNr. 73). Angesichts des – dank der Unionsbürgerschaft – sehr weiten Anwendungsbereichs des Art. 18 AEUV ist dies überzeugend, denn so wird in politisch sensiblen Bereichen die Möglichkeit einer rechtspolitischen „Feinsteuerung“ eröffnet (von Bogandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, 66.A. 2019, Art. 18 RdNr. 23).

6. Das Ziel der deutschen Bundesregierung zur „Änderung des Systems der Infrastrukturfinanzierung“ hin zum „Benutzerprinzip“ kann die Ungleichbehandlung vorliegend rechtfertigen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Den Mitgliedstaaten steht es frei, das System zur Finanzierung ihrer Infrastruktur zu ändern. Der Übergang von einem System der Steuerfinanzierung auf ein „Benutzerprinzip“, das das umweltrechtliche Verursacherprinzip (Art. 191 Abs. 2 AEUV) stärker umsetzt, ist grundsätzlich ein denkbarer Rechtfertigungsgrund (RdNr. 76). EuGH: Die Maßnahmen seien indes nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Insbesondere ist die Pkw-Maut in Bezug auf die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen so ausgestaltet, dass sie in keiner Weise davon abhängt, dass diese die Autobahnen tatsächlich nutzen (RdNr. 68). Die Ungleichbehandlung ist ungerechtfertigt.

7. Neben dem Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit berührt die Pkw-Maut den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV).

Ja, in der Tat!

Die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34f. AEUV) ist eine der Grundfreiheiten des Unionsrechts (neben der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV), der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV), und der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV)). Die Warenverkehrsfreiheit verbietet mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen.

8. Ob eine Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen (Art. 34 AEUV) vorliegt, beurteilt sich nach der „Dassonville-Formel“ und der „Keck-Formel“.

Ja!

Maßnahmen gleicher Wirkung sind nach der sog. Dassonville-Formel alle mitgliedstaatlichen Maßnahmen, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern. Diese weite Auslegung wird durch die Keck-Formel eingeschränkt, wonach bloße Verkaufsmodalitäten (z.B. Ladenöffnungszeiten) keine Maßnahmen gleicher Wirkung sind, wenn sie alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und Erzeugnisse in der gleichen Weise berühren.

9. Nach der "Dassonville-Formel" stellt die Pkw-Maut zusammen mit der Steuererleichterung für deutsche Pkw-Halter eine Maßnahme gleicher Wirkung wie Einfuhrbeschränkungen dar.

Genau, so ist das!

EuGH: Die Pkw-Maut sei geeignet, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Denn sie betreffe faktisch nur die Fahrzeuge, die diese Erzeugnisse befördern. Folglich sei die Pkw-Maut geeignet, die Transportkosten und damit die Preise von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zu erhöhen, und beeinträchtigt damit deren Wettbewerbsfähigkeit (RdNr. 127).

10. Beschränkungen des freien Warenverkehrs können gerechtfertigt sein.

Ja, in der Tat!

Nach Art. 36 AEUV können Beschränkungen des freien Warenverkehrs gerechtfertigt sein aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit sowie zum Schutz von Gesundheit und Leben von Menschen, Tieren oder Pflanzen, zum Schutz nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert, sowie zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums. Dabei müssen die Beschränkungen auch zum Schutz des Schutzguts geeignet und erforderlich sein.

11. Die Pkw-Maut ist nach der "Keck-Formel" lediglich eine Verkaufsmodalität und damit keine Maßnahme gleicher Wirkung wie Einfuhrbeschränkungen. Sie verstößt somit nicht gegen Art. 34 AEUV.

Nein!

EuGH: Verkaufsmodalitäten sind nur Vorschriften, die die Art und Weise regeln, in der Waren vermarktet werden können, und nicht die Art und Weise, in der Waren befördert werden können (RdNr. 129). Überdies berührt die Pkw-Maut nicht alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und Erzeugnisse in der gleichen Weise, was die Keck-Formel überdies erfordert.

12. Eine Rechtfertigung der Beschränkung des freien Warenverkehrs besteht in der von Deutschland beabsichtigten „Änderung des Systems der Infrastrukturfinanzierung“ hin zum „Benutzerprinzip“.

Nein, das ist nicht der Fall!

EuGH: Rechtfertigungsgründe für die Beschränkung des freien Warenverkehrs bestehen nicht. Wie schon bei der Ungleichbehandlung ist die Pkw-Maut zusammen mit der Steuerbefreiung für Pkw-Halter in Deutschland nicht geeignet, eine Änderung des Systems der Infrastrukturfinanzierung hin zum Benutzerprinzip zu erreichen (RdNr. 133).

13. Die Pkw-Maut beschränkt auch den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 56 AEUV) in unzulässiger Weise.

Ja, in der Tat!

Art. 56 AEUV steht jeder nationalen Regelung entgegen, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb eines Mitgliedstaats erschwert (RdNr. 135). EuGH: Die Pkw-Maut verstoße gegen Art. 56 AEUV, denn sie erhöhe die Kosten des Zugangs von aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Dienstleistungserbringern zum deutschen Markt (RdNr. 144). Gründe, die eine solche Beschränkung rechtfertigen könnten, bestünden wiederum nicht (RdNr. 147).

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Lulu 🐙

Lulu 🐙

22.11.2019, 11:14:01

Super Aufbereitung! Vielleicht könnte man die einzelnen Fällen vom EuGH auch noch in einer Europarechts-Lektion zusammenfassen, damit sie in der App prominenter sind 🇪🇺

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

18.12.2019, 23:14:28

Lulu, super Idee!! Machen wir. Wir launchen übrigens in Kürze auch einen Europarechtskurs 😉

WATE

Waterink

20.5.2020, 10:31:23

Hallo, wäre der Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art 36 AEUV gerechtfertigt, wenn auch deutsche Fahrzeughalter je nach Benutzung bezahlen müssten, der Wechsel in der Infrastrukturfinanzierung also tatsächlich stattfände?

GEL

gelöscht

13.6.2020, 07:31:13

Hallo Waterink - ja, wäre er, da die faktische Bevorteilung über die Kfz Steuer deutscher Autofahrer entfiele. Es gäbe da Möglichkeiten eine wirklich verusachungsgerechte Besteuerung hinzubekommen. Das aktuell geplante Stufenmodell, wonach die Kfz Steuer stufenweise nach CO2 Ausstoß erfolgen soll, ist wieder nicht verursachungsgemäß. Denn wie viel CO2 ein Fahrzeug tatsächlich ausstößt, hängt von seiner faktischen Benutzung und nicht hauptsächlich von der Motorgröße ab. Daher wäre es sachgerechter, die Kfz Steuer abzuschaffen, die fehlenden Einnahmen durchschnittlich auf die Kraftstoffpreise aufzuschlagen und Pendler je mach verwendetem Fahrzeug über die Steuererklärung zu entlasten. Das ist wohl eher ein politisches Problem ☺


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