Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Mord, § 211 StGB

Arglosigkeit – Vorangegangene verbale Auseinandersetzung

Arglosigkeit – Vorangegangene verbale Auseinandersetzung

22. Mai 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

A und B haben bei ihrem sonntäglichen politischen Stammtisch eine hitzige Auseinandersetzung. A beleidigt B. B schreibt A am Montagabend, er freue sich dennoch auf den kommenden Stammtisch. Als B das Lokal betritt, nutzt A dies aus, um B ohne Vorwarnung zu erschießen.

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Einordnung des Falls

Arglosigkeit – Vorangegangene verbale Auseinandersetzung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. „Heimtückisch“ (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB) tötet nur, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.

Genau, so ist das!

Das objektive Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt der Täter, der die Arg- und die darauf beruhende Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzt. Die Ratio dahinter: Ein Täter, der die Arg-und Wehrlosigkeit eines anderen in hinterhältiger Weise zu einem Überraschungsangriff ausnutzt, um das Opfer so daran zu hindern, sich zu verteidigen oder zu fliehen, geht besonders verwerflich und gefährlich vor. Dies rechtfertige eine höhere Strafandrohung (lebenslange Freiheitsstrafe).
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2. B war „arglos“, als A ihn erschossen hat.

Ja, in der Tat!

Arglos ist, wer sich bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (= Zeitpunkt des Versuchs (§ 22 StGB) keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht. Die verbale Auseinandersetzung vor einer Woche könnte die Arglosigkeit des B entfallen lassen, wenn er mit einem erheblichen Angriff vonseiten des A gerechnet hätte. B freut sich jedoch auf den kommenden Stammtisch. Mithin berührte die verbale Auseinandersetzung die Arglosigkeit des B nicht.

3. War B auch „wehrlos“?

Ja!

Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in seiner natürlichen Abwehrbereitschaft und Abwehrfähigkeit stark eingeschränkt ist. Die Wehrlosigkeit muss gerade auf der Arglosigkeit beruhen. B war aufgrund seiner Arglosigkeit nicht in der Lage, dem Angriff des A entgegenzutreten oder sich in sonstiger Weise zu verteidigen. Der objektive Tatbestand des § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB ist damit erfüllt.

4. Steht damit ohne weitere Prüfung fest, dass A uneingeschränkt nach § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB strafbar ist?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Rechtsprechung hat den Tatbestand der Heimtücke durch das subjektive Merkmal der „feindseligen Willensrichtung“ (oft auch: „feindliche Willensrichtung“) eingeschränkt. An einer solchen feindseligen Willensrichtung kann es nur dann fehlen, wenn die Tat dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung – mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht (etwa bei Tötungen aus Mitleid und bei missglücktem Mitnahmesuizid). Es sind keine Hinweise ersichtlich, die auf das Fehlen der feindseligen Willensrichtung hinweisen.

5. A fehlte der Vorsatz bezüglich der heimtückischen Ausführung der Tötung (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB).

Nein!

Der Vorsatz muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen (Umkehrschluss aus § 16 StGB). Das Mordmerkmal der „Heimtücke“ ist ein tatbezogenes, objektives Mordmerkmal. Zusätzlich ist erforderlich, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit erkennt und diese zur Tatbegehung ausnutzt (Ausnutzungsbewusstsein als subjektives Merkmal der Heimtücke). A war bewusst, dass der B arg- und wehrlos das Lokal betreten würde und er hat diese Situation bewusst für die Tatausführung ausgenutzt. Teilweise wird das Ausnutzungsbewusstsein statt im subjektiven im objektiven Tatbestand geprüft - beides ist vertretbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

21.3.2020, 23:31:17

Ging es bei der feindlichen Willensrichtung nicht um den Vertrauensbruch, den man aufgrund einer zwischenmenschlichen Beziehung zu dem Täter hat?

Marilena

Marilena

22.3.2020, 08:21:42

Liebe Isabell, Danke für Deine Frage! Du spielst dabei auf das Kriterium des „

verwerflich

en Vertrauensbruchs“ an, das von der Literatur stammt. Zu den normativen Einschränkungsmöglichkeiten der Heimtücke kommen wir noch in weiteren Fällen. Lieben Gruß Marilena

Isabell

Isabell

24.3.2020, 20:06:41

Hey Alles klar. Dann hab ich das durcheinander geworfen 😅 Dankeschön!

Shark

Shark

14.5.2025, 13:10:10

Die Subsumption klingt so, dass die

feindliche Willensrichtung

anzunehmen und nicht positiv festzustellen ist. Ist das so richtig?

Major Tom(as)

Major Tom(as)

14.5.2025, 14:22:23

Ja, genau, das stimmt, dass man das ausnahmsweise mal einfach annehmen kann. Den Willen zu haben, jemanden

vorsätzlich

zu töten, kann so grds. als "feindlicher Wille" gesehen werden - ist dies schließlich der größtmögliche Eingriff ggü. einer anderen Person. Nur in absoluten Ausnahmefällen entfällt dieser.

Major Tom(as)

Major Tom(as)

14.5.2025, 14:24:52

Eine mE auch in der Klausur anzusprechende Literaturauffassung vertritt zudem als alternative Einschränkungsmöglichkeit des Tatbestandes, dass sich in der heimtückischen Tötung ein "

verwerflich

er Vertrauensbruch" niederschlagen müsse. d.h.: Der Täter muss das ihm gegenüber vorliegende Opfervertrauen gezielt ausnutzen und "brechen" Diese Meinung kann man aber mit dem Argument ablehnen, dass "Auftragskiller" dann nie heimtückisch morden könnten und dies wertungstechnisch ein Widerspruch sei. (Ich weiß, das kommt in späteren Aufgaben noch dran - aber ich persönlich fand es auch bei der Beantwortung der letzten Frage in diesem Fall relevant und wollte es daher für solche User teilen, die dies hier auch der Vollständigkeit halber interessant finden)


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