Formelle Anforderungen an die Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung


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Eine 1999 öffentlich bekannt gemachte Allgemeinverfügung verpflichtet Eigentümer entlegener Grundstücke zum Anlegen eines Löschteichs. Bei Eigentumserwerb eines betroffenen Grundstücks 2013 hatte E davon keine Kenntnis. E zweifelt an der Wirksamkeit der Allgemeinverfügung.

Einordnung des Falls

Formelle Anforderungen an die Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Sachsen 2022

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E bezweifelt den Erlass und die wirksame Bekanntmachung der Allgemeinverfügung und geht von deren Nichtigkeit aus. Für diese drei Begehren ist jeweils die Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) statthaft.

Genau, so ist das!

Durch die Feststellungsklage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden (§ 43 Abs. 1 VwGO). Ein Rechtsverhältnis ist die aufgrund eines konkreten Sachverhalts und einer öffentlich-rechtlichen Norm bestehende Beziehung zwischen zwei Personen oder einer Person und einer Sache. VGH: Feststellungsfähig ist auch die Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts mangels Erlass oder wirksamer Bekanntgabe (RdNr. 24). Es liegt objektive Klagehäufung (§ 44 VwGO) vor. E's Klage ist begründet, wenn das Rechtsverhältnis nicht besteht oder die Allgemeinverfügung nichtig ist.

2. Das Original der Allgemeinverfügung existiert nicht mehr. Daher ist deren Erlass durch die Beklagte nicht mehr nachweisbar und sie ist unwirksam.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Verlust des Originals eines Verwaltungsakts allein führt nicht zur Ungültigkeit der ursprünglichen Verfügung. Aber dadurch besteht keine Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde (§ 173 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO). Bei begründeten Zweifeln am Erlass der Allgemeinverfügung ist nach allgemeinen Grundsätzen eine Beweisaufnahme darüber durchzuführen (RdNr. 27). VGH: Aufgrund der Aufzeichnungen und glaubhaften Aussage seitens der Beklagten sowie der dokumentierten Bekanntgabe der Allgemeinverfügung im Amtsblatt ist das Gericht vom Erlass der Allgemeinverfügung überzeugt (RdNr. 28ff.)

3. Die Allgemeinverfügung muss auch wirksam bekannt gegeben worden sein. Dies geschieht typischerweise durch öffentliche Bekanntmachung.

Ja!

Die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts setzt deren Bekanntgabe voraus (§ 43 Abs. 1 VwVfG, das hier im Fall einschlägige LVwVfG ist inhaltsgleich mit dem VwVfG des Bundes). Eine Allgemeinverfügung darf öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist (§ 41 Abs. 3 S. 2 VwVfG). Die individuelle Bekanntgabe ist untunlich, wenn sie unmöglich oder mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre. Ein Indiz dafür ist die Bekanntgabe an mehr als 50 Adressaten. So liegt der Fall hier. Die Allgemeinverfügung betraf 72 Grundstücke, sodass eine öffentliche Bekanntgabe erfolgen konnte.

4. Für eine öffentliche Bekanntmachung eines Verwaltungsakts bedarf es grundsätzlich einer ortsüblichen Bekanntmachung des verfügenden Teils (§ 41 Abs. 4 S. 1 VwVfG).

Genau, so ist das!

Die ortsübliche Bekanntmachung erfolgt regelmäßig durch die Veröffentlichung des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung im Amtsblatt (vgl. § 41 Abs. 4 S. 1 VwVfG). In der ortsüblichen Bekanntmachung ist auch anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können (§ 41 Abs. 4 S. 2 VwVfG). Zweck der Bekanntgabe ist zu gewährleisten, dass den Adressaten nur Pflichten auferlegt werden können, wenn diese davon in Kenntnis gesetzt werden. So wird die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eröffnet. Daher ist nur der verfügende Teil eines Verwaltungsakts von dem Bekanntgabeerfordernis erfasst (RdNr. 47).

5. Neben dem verfügenden Teil wurde die Allgemeinverfügung hier mit Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gegeben. Dieses „Mehr“ an Bekanntgabe ist für die Wirksamkeit unschädlich.

Ja, in der Tat!

Das Bekanntmachen weiterer Teile der Allgemeinverfügung ist unschädlich. Die Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung stellen keinen Teil des Verwaltungsakts dar. Werden sie dem Betroffenen nicht bekannt gegeben, hindert dies nicht die Wirksamkeit des Verwaltungsakts gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG. Eine fehlende Begründung führt lediglich zur Rechtswidrigkeit und kann nachgeholt werden (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Eine fehlende Rechtsbehelfsbelehrung führt nach § 58 Abs. 2 VwGO zu einer längeren Anfechtbarkeit (RdNr. 40, 47).

6. Weil die Allgemeinverfügung im vollen Wortlaut - verfügender Teil sowie Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung - bekannt gemacht wurde, konnte auf den Hinweis, wo diese ausgelegt wird, verzichtet werden.

Ja!

Der Wortlaut des § 41 Abs. 4 S. 2 VwVfG setzt diesen Hinweis zwingend voraus. VGH: Aus der Systematik der Norm ergebe sich aber, dass dies für den Fall der Bekanntgabe nur des verfügenden Teils gilt (RdNr. 41). Zweck ist die Anstoßwirkung, dass sich die Adressaten über den Inhalt der Begründung und Rechtsschutzmöglichkeiten erkundigen. Durch die vollständige Bekanntgabe der Allgemeinverfügung einschließlich Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung sind sie aber bereits umfassend informiert. Daher bedarf es keiner Anstoßwirkung durch den Hinweis. Die öffentliche Bekanntgabe ersetzt die konkret-individuelle Bekanntgabe und soll keine weitergehende Wirkung als diese haben (RdNr. 46ff.).

7. Für die Unwirksamkeit der Allgemeinverfügung kommt nur noch deren Nichtigkeit in Betracht. Dafür müsste sie offensichtlich an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden (§ 44 Abs. 1 VwVfG).

Genau, so ist das!

Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts richtet sich nach § 44 VwVfG. Primär ist der Katalog der absoluten Nichtigkeitsgründe (§ 44 Abs. 2 VwVfG) und der Ausnahmetatbestände (§ 44 Abs. 3 VwVfG) zu prüfen. Sofern keiner dieser Fälle vorliegt, ist die Generalklausel (§ 44 Abs. 1 VwVfG) einschlägig. Ein besonders schwerwiegender Fehler liegt vor, wenn er mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar ist. Ein solcher Fehler ist offensichtlich, sofern er für einem unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten und verständigen Durchschnittsbetrachter ohne Weiteres ersichtlich ist.

8. E macht geltend, die Allgemeinverfügung sei materiell rechtswidrig, insbesondere ohne Rechtsgrundlage ergangen und ermessensfehlerhaft. Sofern dies zutrifft, ist sie nichtig.

Nein, das trifft nicht zu!

Unabhängig davon, ob E's Beanstandungen zutreffen, führen diese Fehler nicht zur Nichtigkeit der Allgemeinverfügung. Fehler in der Rechtsanwendung führen zur Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, haben aber keine Auswirkung auf deren Wirksamkeit. Dies gilt auch bei fehlender Rechtsgrundlage oder Ermessensfehlern. Nur die - vorliegend nicht im Raum stehende - völlige Unbestimmtheit kann zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts führen (RdNr. 53ff.). Im Fall existierten keine Anhaltspunkte dafür, dass E's Beanstandungen zutrafen. Mithin ist der Verwaltungsakt auch nicht nichtig. E's Feststellungsklagen sind unbegründet.

9. E begehrt nach erfolglosem Widerspruch hilfsweise die Aufhebung der Allgemeinverfügung. Statthaft ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).

Ja!

E beantragt im Wege der Eventualklagehäufung (§ 44 VwGO) hilfsweise die Aufhebung der Allgemeinverfügung. Dies entspricht einer Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Diese ist begründet, soweit die Allgemeinverfügung rechtswidrig und E dadurch in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

10. Die Allgemeinverfügung wurde Jahre vor Es Eigentumserwerb bekanntgegeben. Trotzdem gilt sie E gegenüber. Daher ist sie bestandskräftig geworden und E kann keine Rechtsverletzung mehr geltend machen.

Genau, so ist das!

Mit der Allgemeinverfügung soll gerade eine auf konkrete Grundstücke bezogene Regelung getroffen werden. Um deren Vollzug sicherzustellen, gilt diese auch gegenüber Rechtsnachfolgern. Die Allgemeinverfügung gilt auch gegenüber E. Gleiches gilt auch für die abgelaufene Rechtsmittelfrist. Daher ist die Allgemeinverfügung bereits bestandskräftig geworden (RdNr. 63f.). Im Fall hatte E das Eigentum an dem Grundstück in der Zwangsversteigerung durch Zuschlag erworben. Der VGH hält fest, auch bei dieser Art des Eigentumswechsels soll ein Vollzug bereits vorliegender behördlicher Anordnungen sichergestellt werden. Deshalb besteht auch hier Bestandskraft.

11. E’s Widerspruch und Anfechtungsklage waren wegen Bestandskraft der Allgemeinverfügung verfristet. E könnte aber konkludent ein Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) beantragt haben.

Ja, in der Tat!

Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Ein entsprechender Antrag muss innerhalb von 3 Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt werden (§ 51 Abs. 3 VwVfG). Der von E erhobene Widerspruch kann als konkludenter Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gewertet werden. Es steht jedoch infrage, ob eine Veränderung der Sach- oder Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorliegt.

12. Die von E geltend gemachten formellen und materiellen Mängel der Allgemeinverfügung beziehen sich auf deren Erlasszeitpunkt. Insoweit besteht keine Veränderung der Sach- oder Rechtslage.

Ja!

Eine nachträgliche Änderung der Sachlage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegt vor, wenn sich die Sachlage nach Erlass des Verwaltungsakts geändert hat. Es genügt nicht, wenn Tatsachen erst nachträglich bekannt werden, aber im Erlasszeitpunkt bereits vorlagen. Durch die Veränderung muss eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung möglich sein. Unabhängig von ihrem Bestehen, hatten die Mängel bereits bei Erlass der Allgemeinverfügung vorgelegen. Insoweit hat E lediglich nach Eintritt der Bestandskraft davon Kenntnis erlangt. Eine Veränderung der Sach- oder Rechtslage liegt nicht vor (RdNr. 67).

13. E's Klagen sind unbegründet.

Genau, so ist das!

Die Allgemeinverfügung wurde wirksam erlassen und bekannt gegeben. Ein Nichtigkeitsgrund liegt ebenfalls nicht vor. Daher sind die Feststellungsklagen unbegründet. Die hilfsweise Anfechtungsklage ist bereits unzulässig, weil E eine Verletzung ihrer Rechte nicht mehr geltend machen kann. Als E Widerspruch und Anfechtungsklage erhob, war die Allgemeinverfügung bereits bestandskräftig, die Fristen nach §§ 70 Abs. 1 S. 1, 74 Abs. 1 VwGO damit nicht gewahrt. Für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) fehlt es an einer Veränderung der Sach- und Rechtslage zu E's Gunsten.

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