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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B hat durch einen Betrug von ahnungslosen Investoren 10.000 Bitcoins erlangt. Die Staatsanwältin S verdächtigt B, ist aber in Beweisnot und ordnet die Überwachung der Telekommunikation des B an. Sie beruft sich darauf, dass es sich um einen außergewöhnlich schweren Fall handele, der anders nicht aufzuklären sei.

Einordnung des Falls

TKÜ – Voraussetzungen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Richter müsste die Überwachung der Telekommunikation (TKÜ) des B anordnen.

Ja!

Die TKÜ ist grundsätzlich gerichtlich anzuordnen (§ 100e Abs. 1 S. 1 StPO). Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch von der Staatsanwaltschaft (nicht aber von deren Ermittlungspersonen) getroffen werden. Dann muss sie aber innerhalb von drei Tagen gerichtlich bestätigt werden, sonst tritt sie außer Kraft (§ 100e Abs. 1 S. 2 u. S. 3 StPO). Gefahr im Verzug ist nicht ersichtlich.

2. Der Richter könnte die TKÜ mündlich anordnen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Anordnung muss die Formvorschriften des § 100e Abs. 3 StPO erfüllen. Sie muss schriftlich ergehen (§ 100e Abs. 3 S. 1 StPO) und bestimmte Angaben wie den Tatvorwurf und die Dauer enthalten (§ 100e Abs. 3 S. 2 StPO).

3. Es ist ein Anfangsverdacht für irgendeine Straftat erforderlich, sodass der Verdacht des Betrugs bei B ausreicht.

Nein, das trifft nicht zu!

Die TKÜ ist nur bei Vorliegen eines Anfangsverdachts hinsichtlich einer aufgelisteten Katalogtat möglich (§ 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO). Dieser Katalog ist abschließend. Er erfasst Staatsschutzdelikte, militärische Straftaten, Schwerstkriminalität, Delikte der organisierten Kriminalität. Ausreichend ist hierbei auch die strafbare versuchte Begehung sowie die Vorbereitung einer Katalogtat durch eine (andere) Straftat (§ 100a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Der Betrug ist in § 100a nicht genannt.

4. Die Katalogtat muss zusätzlich besonders schwer wiegen.

Ja!

Neben (1) dem Anfangsverdacht hinsichtlich einer aufgelisteten Katalogtat (§ 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO) muss (2) die Tat auch im Einzelfall schwer wiegen (§ 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO) und (3) die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein (§ 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO, Subsidiaritätsgrundsatz). Für die (3) Unentbehrlichkeit der Maßnahme genügt es nach hM aber bereits, dass eine stattdessen denkbare Observation einen unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand erfordert und Personal bindet.

5. Mittels der TKÜ darf der gesamte private Lebensbereich ausgeforscht werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass durch eine TKÜ-Maßnahme allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden, ist die Maßnahme unzulässig (§ 100d Abs. 1 StPO, Kernbereichsschutz). Solche Erkenntnisse dürfen auch nicht verwertet werden (§ 100d Abs. 2 S. 1 StPO).

6. Die TKÜ muss verhältnismäßig sein.

Ja, in der Tat!

Zwar stellen die Eingriffsvoraussetzungen der Katalogtat und die Unentbehrlichkeit der Maßnahme bereits Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist jedoch auch darüber hinaus zu beachten. Deshalb muss etwa bei einer Überwachung des Internetverkehrs geprüft werden, ob alternativ als milderes Mittel eine Überwachung nur des Telefon- und E-Mailverkehrs ausreicht.

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Simon

Simon

4.9.2023, 19:03:58

Denkbar wäre doch ein Betrug in einem besonders schweren Fall, was nach § 100a II Nr. 1 lit. n StPO für eine TKÜ ausreicht. Bei der Variante des Vermögensverlustes von großem Ausmaß: Wie verhält es sich, wenn der Wert der durch den Betrug erlangten Gegenstände (wie bei Bitcoins) schwankt? Reicht dann die potentielle Möglichkeit, dass ein hoher Wert erreicht werden kann, um den Vermögensverlust großen Ausmaßes zu bejahen (quasi wie bei einem Gefährdungsschaden)?

Nocebo

Nocebo

13.6.2024, 12:30:20

10.000 Bitcoins sind aktuell rund 600.000.000 wert ... hier geht defintiv die TKÜ durch. Die Aufgabe ist falsch gelöst.

dario.b

dario.b

22.6.2024, 12:03:16

Um die Frage von Simon noch zu beantworten; damit ein Vermögensverlust großen Ausmaßes angenommen werden kann, genügt nach bisheriger stRspr (vgl. nur BGHSt 48, 354 (356ff.)) keine Vermögensgefährdung in entsprechender Höhe (über 50.000,00 EUR), es muss der Schaden bereits eingetreten sein. Ein Argument hierfür liegt im Wortlaut "VermögensVERLUST", der impliziert, dass der Schaden bereits eingetreten sein muss. Allerdings könnte der BGH mit der Aufgabe der strikten Trennung von Gefährdungs- und Endschaden (BGHSt 53, 199 = NJW 2009, 2390) hier eine Kehrtwende eingeleitet haben. Nach meiner Kenntnis ist die Frage damit weiterhin offen. In Bezug auf den schwankenden Wert dürfte tatsächlich Bitcoin eine schwierige Ausnahme sein. Im Sinne des Koinzidenzprinzips und unter Rückgriff auf § 8 StGB würde ich auf den Wert im Zeitpunkt der Tathandlung abstellen.

L.G

L.Goldstyn

17.7.2024, 12:28:57

Zu beachten ist noch, dass es für einen Vermögensverlust großen Ausmaßes (§ 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Fall 1 StGB) nicht auf den erlangten Vorteil des Täters, sondern auf die individuelle, opferseitig erlittene Vermögenseinbuße an. Eine Addition der Einzelschäden kommt nur in Betracht, wenn sie dasselbe Opfer betreffen. (BeckOK StGB/Beukelmann, 61. Ed. 1.5.2024, StGB § 263, Rn. 103) Damit ist entweder § 263 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Fall 1 StGB (Vermögensverlust großen Ausmaßes für jeden der Investoren) oder bei einer sehr großen Anzahl von Investoren, sodass bei jedem einzelnen die 50.000-€-Schwelle nicht erreicht wird, § 263 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Fall 2 StGB (große Zahl von Menschen) erfüllt. Auch aus meiner Sicht ist die Aufgabe/Lösung daher fehlerhaft.

L.G

L.Goldstyn

17.7.2024, 12:29:38

Fehler in der Aufgabe, siehe den obigen Thread


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