Anfängliche Unmöglichkeit

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Adelige A kauft bei Händler H einen antiken Ring, der laut H 24 Karat Gold haben soll. A bezahlt den objektiven Wert von €10.000. Später stellt sich heraus, dass der Ring in Wahrheit nur 12 Karat Gold aufweist und €5.000 wert ist, was H hätte erkennen müssen.

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Einordnung des Falls

Anfängliche Unmöglichkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft, kann der Käufer unter weiteren Voraussetzungen Schadensersatz verlangen (§§ 437 Nr. 3 BGB).

Ja!

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer nach den §§ 280, 281, 283, 311a BGB Schadensersatz verlangen, wenn deren Voraussetzungen vorliegen (§ 437 Nr. 3 BGB). Ein mangelbedingter Schadensersatzanspruch setzt also voraus, dass (1) die Sache bei Gefahrübergang mangelhaft ist (§ 437 BGB), (2) und zusätzlich die Voraussetzungen des jeweiligen Schadensersatzanspruchs vorliegen.
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2. A kann den Minderwert des Ringes als Schadensersatz neben der Leistung geltend machen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Schadensersatz neben der Leistung ist der Schaden, der bereits endgültig eingetreten ist und durch eine (gedachte) Nacherfüllung im letztmöglichen Zeitpunkt nicht mehr behoben werden kann. Schadensersatz statt der Leistung ist hingegen der Schaden, der auf dem endgültigen Ausbleiben der Leistung beruht. Bei Unmöglichkeit der Leistung muss man sich fiktiv eine mögliche Nacherfüllung vorstellen. Bei gedachter fiktiver Nacherfüllung – etwa: der Ring wird mit zusätzlichen 12 Karat aufgepumpt – würde der Schaden entfallen. Der Schaden ist daher durch eine fiktive Nacherfüllung behebbar und kein Schadensersatz neben der Leistung. Er beruht vielmehr auf dem endgültigen Ausbleiben der Leistung, da eine mangelfreie Leistung unmöglich ist.

3. Der Anspruch aus § 311a Abs. 2 BGB setzt voraus, dass die Leistung von Anfang an unmöglich ist.

Ja, in der Tat!

§ 311a Abs. 2 BGB ist Anspruchsgrundlage für den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung, wenn schon bei Vertragsschluss die mangelfreie Leistung unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB) oder Umstände vorliegen, auf Grund deren der Schuldner sie verweigern kann (§ 275 Abs. 2, 3 BGB). § 311a Abs. 2 BGB setzt voraus (1) ein Schuldverhältnis, (2) die anfängliche Unmöglichkeit der Leistung, (3) Vertretenmüssen (§ 311a Abs. 2 S. 2 BGB) und (4) einen Schaden.

4. Die Leistung des H – Lieferung einer mangelfreien Sache (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB) war hier von Anfang an unmöglich.

Ja!

§ 311a Abs. 2 BGB verlangt, dass das Leistungshindernis schon bei Vertragsschluss vorliegt (anfängliche Unmöglichkeit) der Leistung. Der Ausschluss der Leistungspflicht bezieht sich in diesem Fall schon auf die ursprüngliche Pflicht zur mangelfreien Leistung (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB), nicht erst auf den Nacherfüllungsanspruch. Anfängliche Unmöglichkeit liegt deshalb nur vor, wenn sämtliche denkbaren Arten der mangelfreien Leistung nach § 275 BGB ausgeschlossen sind. Ein antiker Ring kann weder zu einem höherkarätigen Ring nachgebessert werden, noch kann er durch die Lieferung eines anderen Rings ersetzt werden.

5. H hat die anfängliche Unmöglichkeit nicht zu vertreten, weil er den Ring nicht selbst geschmiedet hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Schuldner hat die anfängliche Unmöglichkeit zu vertreten, wenn er Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von ihr hatte (§ 311a Abs. 2 S. 2 BGB). Das Vertretenmüssen wird vermutet und liegt darin, dass der Schuldner eine Verpflichtung eingeht, obwohl er weiß oder wissen muss, dass er zu ihrer Erfüllung nicht in der Lage sein wird. Daran fehlt es, wenn bei Vertragsschluss auf irgendeine Art mangelfrei geleistet werden kann. H hätte wissen müssen, dass der Ring keine 24 Karat Gold aufweist.

6. A kann sich dafür entscheiden, den Ring zu behalten und gleichzeitig Ersatz des Minderwerts fordern (kleiner Schadensersatz).

Ja, in der Tat!

Steht dem Käufer ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung zu, kann er grundsätzlich zwischen kleinem und großem Schadensersatz wählen. Beim kleinen Schadensersatz behält der Gläubiger die Leistung und fordert Schadensersatz in Höhe der Wertdifferenz zwischen der erbrachten und der geschuldeten Leistung. Beim großen Schadensersatz gibt der Käufer die mangelhafte Sache zurück und verlangt den Ersatz sämtlicher Schäden, die ihm aufgrund der Nichtdurchführung des Vertrages entstanden sind. A kann den kleinen Schadensersatz wählen und die Wertdifferenz ersetzt verlangen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PLA

PlatschekJünger

22.8.2022, 08:37:01

Widerspricht es sich nicht erst bei der Abgrenzung zu sagen, dass eine gedachte Nacherfüllung möglich ist, in dem der Ring durch die 12 Karat „aufgepumpt“ wird und man dann später sagt, dass die Mangelbeseitigung von Anfang an unmöglich ist, weil der Ring nicht mit mehr Karat versehen werden kann?

Larissa3

Larissa3

25.8.2022, 15:29:13

Es geht dabei nur um die hypothetisch gedachte Nacherfüllung und nicht darum, ob sie wirklich so möglich ist.

MAR

Marius

8.1.2023, 16:11:18

Wie „PlatschekJünger“ tue ich mich mit dieser Erklärung sehr schwer: mit jedweder ausgedachten, hypothetischen Nacherfüllung kann ich ja alles reparieren, eben gerade wenn es nicht darauf ankommt ob das tatsächlich möglich ist: Zauberstäbe zum wegzaubern der Unfallwageneigenschaft eines Gebrauchtwagens, Zeitreisen um ein Produkt doch noch herzustellen, Goldschmuck mit Karat aufpumpen. Wenn es danach ginge, gäbe es doch nichts was sich nicht hypothetisch reparieren ließe.

MAR

Marius

10.1.2023, 17:03:08

Ich habe nochmal darüber nachgedacht und rudere zurück: die hypothetische Nacherfüllung ist ja eben gerade eine Testfrage. Mein vorheriger Beitrag ist damit für die Tonne. :)

Johannes Nebe

Johannes Nebe

16.11.2023, 20:17:49

Schade, dass Marius seine Anmerkung zurückgezogen hat. Denn ich würde ihm doch recht geben. Man kann die hypothetische Nachholung der Leistung oder die Nacherfüllung nicht ins Endlose und über die Naturgesetze hinaus treiben. Der Gedanke bringt nur etwas, wenn die Möglichkeit der Nachholung oder der Nacherfüllung unterstellt werden kann (vgl. Looschelders SchuldR AT § 24 Rn. 17). Wo sollte sonst die Grenze zum endgültigen Schadenseintritt gezogen werden? Die Auswüchse sehen wir hier in dem Fall: Eine Legierung, die 50 % Gold enthält, kann nicht auf einen Gehalt von 100 % gebracht werden. "Hypothetisch" heißt nicht phantastisch.

QUIG

QuiGonTim

21.2.2024, 23:59:03

M.E. ist hier von Bedeutung, dass es sich von Anfang an um eine

Stückschuld

handelte. Die Parteien haben vereinbart, dass der Verkäufer genau den einen Ring im Zustand zum Zeit des Vertragsschlusses übergibt (+dass er 24 Karat hat). Zwar ließe sich - unabhängig von den technischen Möglichkeiten - hinzudenken, dass der Verkäufer den Ring aufpumpen lässt, aber dann würde es sich eben nicht mehr um den einen Ring (sie zu knechten, sie alle zur finden… 😋) im Zustand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses handeln. Der Schaden könnte also nicht durch Nacherfüllung behoben werden.

Paulah

Paulah

16.8.2024, 10:32:41

Ich halte die Lösung auch für falsch. In der Erklärung steht ausdrücklich in roter und fetter Schrift: "Bei Unmöglichkeit der Leistung muss man sich fiktiv eine m ö g l i c h e Nacherfüllung vorstellen." Die Nacherfüllung ist aber fiktiv nicht möglich. "Hypothetisch m ö g l i c h" wäre für mich etwas, dass zwar theoretisch vorgenommen werden könnte, aber in dem speziellen Fall aus irgendwelchen Gründen nicht geht - wie der berühmte Ring im See, der herausgeholt werden müsste. Geht theoretisch, funktioniert praktisch aber nicht.

JO

Johannes

9.11.2024, 08:00:26

Aus den von meinen Vorrednern genannten Gründen habe ich auch nie verstanden, weshalb nach der zeitlich dynamischen Abgrenzung nicht jeder auf einem anfänglich unbehebbaren Mangel beruhender Schaden unter Schadensersatz statt der Leistung fällt. Denn diese Schäden können bei einer Nacherfüllung im letztmöglichen Zeitpunkt logischerweise nicht entfallen, weil die Nacherfüllung ja zu keinem Zeitpunkt möglich war.

DIAA

Diaa

3.10.2023, 07:44:52

Aber bevor man überhaupt einen Anspruch aus § 280 ablehnt, sollte man zuerst die Problematik der

Nacherfüllung bei Stückschuld

darstellen und dann nach Bejahung mit § 281 beginnen oder?

LELEE

Leo Lee

7.10.2023, 16:10:25

Hallo Diaa, es stimmt natürlich, dass auch in diesem Fall eigentlich der Streit angesprochen werden sollte. Wir haben jedoch darauf verzichtet, um den Rahmen dieses Falles – der sich zunächst nur auf den allgemeinen Teil fokussieren soll – nicht zu sprengen und bitten diesbzgl. Um Nachsicht. I.Ü. wäre auch hier nach der wohl h.M. die Unmöglichkeit der

Nachlieferung

gegeben, da auch nach dem Parteiwillen gem. §§ 135, 157, 242 BGB der spezifische Ring nicht vertretbar/ersetzbar sein dürfte. Eine Aufgabe zu dieser Problemstellung findest du im Kapitel zur Nacherfüllung unter diesem Link: https://applink.jurafuchs.de/3PtocLAtHDb. Außerdem kann ich zu dem Streitstand die Lektüre von MüKo-BGB 8. Auflage, Westermann § 439 Rn. 15 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

JO

JonG

14.10.2024, 11:43:49

Ich würde vorschlagen, den Sachverhalt von "antiker Ring" zu "einzigartiger Ring" oder etwas in die Richtung zu ändern. Der Aufgabensteller wollte ja anscheinend bewusst dafür sorgen, dass man eine Mischung aus Unerfüllbarkeit der Nachbesserung (objektiver Wert des Ringes) und Unmöglichkeit einer Ersatzlieferung (antiker Ring) schaffen. Zumindest würde ich das so aus den verschiedenen Erklärungsversuchen für diesen schließen.

Paulah

Paulah

3.11.2024, 13:50:53

Könnte sich bitte mal jemand von den Jurafüchsen die Diskussion zur hypothetischen Möglichkeit ansehen?


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