Mehraufwendungen, § 304 BGB
12. April 2025
22 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft bei V einen Rollentrainer für ihr Rennrad. V soll ihn am nächsten Tag um 11 Uhr liefern. Als V pünktlich klingelt, liegt K noch im Bett und macht nicht auf. Später ruft sie bei V an und bittet um erneute Lieferung. V möchte zunächst ihre Anfahrtskosten (€100) ersetzt haben.
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Einordnung des Falls
Mehraufwendungen, § 304 BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K befindet sich im Gläubigerverzug (§ 293 ff. BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Da K sich im Gläubigerverzug befindet, muss sie die Rolle bei V abholen.
Nein!
3. V könnte zumindest einen Anspruch auf Ersatz der Fahrtkosten nach §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB haben.
Genau, so ist das!
4. Nachdem K die Rolle nicht angenommen hat, befindet sie sich im Schuldnerverzug (§ 286 BGB).
Ja, in der Tat!
5. Durch den Schuldnerverzug ist V ein Schaden in Form der Kosten der ersten Anfahrt entstanden.
Nein!
6. V hat aber zumindest einen Anspruch auf Ersatz der Fahrtkosten nach § 304 BGB.
Genau, so ist das!
7. Der Käufer ist also Gläubiger und Schuldner zugleich.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
ehemalige:r Nutzer:in
7.1.2022, 12:19:57
Wenn V die Kosten der 1. Anfahrt erhält gem. § 304, dann kann er doch nicht auch noch die Kosten der 2. Anfahrt als SE statt der Leistung geltend machen oder?

Lukas_Mengestu
7.1.2022, 17:17:03
Hallo L, in der Tat kann V die Fahrt nicht doppelt ersetzt verlangen. Erhält er die Mehraufwendungen der ersten Fahr ersetzt, so muss er sich diese anrechnen lassen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philippe
28.4.2022, 18:10:33
Hm, ich meine schon, dass man hier ggf. unter dem G
esichtspunkt der frustrierten Aufwendung und der
Rentabilitätsvermutungeinen
Schadenannehmen könnte.

Lukas_Mengestu
2.5.2022, 16:10:48
Hallo Phillippe, zu dem Zeitpunkt zu dem der Fall spielt, wäre dies noch nicht passend. Denn entsprechend Vs vertraglichen Verpflichtungen entspricht es, zumindest 1x zu K zu fahren. Es handelt sich insoweit nicht um eine frustrierte Aufwendung, sondern um Vs Gegenleistung für den Kaufpreis (neben der
Übergabe und Übereignungdes Rennrades). Ein
Schadenläge allenfalls dann vor, wenn es im weiteren Verlauf nicht mehr zur Durchführung des Vertrages gekommen wäre. Dann läge in der Tat eine frustrierte Aufwendung im Hinblick auf die geplante Vertragsdurchführung vor. Ausweislich des Sachverhaltes ist indes kein Grund ersichtlich, der K zum
Rücktrittberechtigen würde. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
jette.vpl
6.2.2023, 13:19:18
Kann V die Anfahrtkosten als Ersatz der Mehraufwendungen verlangen, wenn er diese so oder so getätigt hätte für sein erstes Angebot?
ehemalige:r Nutzer:in
22.8.2023, 17:54:37
Meinst Du, wenn V in demselben Haus zur gleichen Zeit noch einen anderen Anwohner beliefert hätte und deshalb die Anfahrtskosten ohnehin entstanden wären? Dann könnte V sie meines Erachtens gem. § 304 a.E. BGB nicht von K ersetzt verlangen, da sie nicht „objektiv erforderlich“ waren, er diese Mehraufwendungen also nicht für das erfolglose Angebot bei K „machen musste“. Das würde sonst gegen Treu und Glauben verstoßen.
Fischerino
3.12.2023, 12:05:25
@[jette.vpl](155009) ich glaube ich hatte den gleichen Gedankenfehler wie du. Wenn der Verkäufer sowieso angefahren wäre um das Angebot abzugeben, handelt es sich nach dem allgemenen Sprachgebrauch ja nicht um "Mehr"-Kosten. Hierzu aber: "Ersatzfähig sind nach dem eindeutigen Wortlaut die Kosten des erfolglosen Angebots (bzw. weiterer erfolgloser Angebote) und nicht, was näher läge, die Kosten des letztlich erfolgreichen Angebots."(BeckOGK/Dötterl, 1.7.2023, BGB § 304 Rn. 9)
QuiGonTim
10.3.2024, 17:05:29
Ich denke @[jette.vpl](155009) meint bezieht „so oder so“ eher auf Abnahme und Nicht-Abnahme. Dabei ergibt sich das Problem daraus, dass die Fahrtkosten dem Verkäufer unabhängig davon, ob der Verkäufer die Sache abnimmt, entstehen. Dazu sollte man sich vergegenwärtigen, dass die Pflicht zur
Übergabe und Übereignungder Kaufsache ja nicht durch den Gläubigerverzug entfällt. Sie besteht weiterhin. Der Verkäufer muss nochmals hinfahren und die Sache anbieten. Gemäß dem Fall, dass beim zweiten Anbieten abgenommen und damit erfüllt wird, sind die Mehrkosten im ersten, erfolglosen Anbieten zu sehen.
cjackson94
30.8.2023, 15:31:09
Also war hier K gleichzeitig im Gläubiger- und Schuldnerverzug?
Leo Lee
31.8.2023, 12:00:18
Hallo cjackson94, sehr gute Anmerkung, genauso ist es! K ist sowohl Gläubigerin der Übereignungspflicht gem. 433 I 1 als auch Schuldnerin der Abnahmepflicht gem. 433 II, womit Sie sowohl in Gläubiger- als auch in Schuldnerverzug zeitgleich(!) geraten konnte. Wir haben dies auch als Frage ergänzt :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
jakoobus
15.1.2024, 14:52:28
Ich meine, dass die Abnahmepflicht des Käufers schon mehrmals, u.a. im Kapitel zu § 320, grundsätzlich als
Nebenleistungspflichteingeordnet wurde. Hier hingegen explizit als
Hauptleistungspflicht. Wie ist das? Liebe Grüße ! :)
david1234
2.2.2024, 17:52:32
Vielleicht hilft dir der Gedanke: Grundsätzlich ist 433 II eine gesetzlich normierte
Nebenleistungspflicht- allerdings kann sich aus einer Parteivereinbarung auch eine
Hauptleistungspflichtergeben. Aber auch bei Betrachtung einer
Nebenleistungspflichthindert dies nicht daran 433 II als selbstständig klagbar anzusehen. Daraus folgt, dass ein Verzug problemlos möglich ist. Zu deiner Frage in Bezug auf 320: auch wenn 433 II selbstständig einklagbar ist, steht er nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis. Daraus folgt aber nur, dass eine Klage auf Abnahme Zug um Zug gegen Leistung nicht möglich ist. Verzug aber schon.

Lota Coffee
25.8.2024, 22:04:27
Dann sollte aber spezifiziert werden, dass die Annahme eigentlich nur ausnahmsweise
Hauptleistungspflichtist und nicht in der Regel! Ich habe mich über die Formulierung ebenfalls gewundert, nachdem in vorherigen Aufgaben betont wurde, dass die Annahme beim Kaufvertrag gerade keine
Hauptleistungspflichtsei.
Amelie7
28.11.2024, 15:17:35
Geht mir wie @[Lota Coffee](246223) und @[jakoobus](211933)

Tobias Krapp
27.12.2024, 16:42:43
Hallo in die Runde @[jakoobus](211933), @[david1234](229145) @[Lota Coffee](246223) @[Amelie7](262107), vielen Dank für eure aufmerksamen Beiträge zu dem Thema hier! Es ist der Sache nach genauso, wie es @[david1234](229145) schon dargestellt hat: Die Abnahme ist typischerweise Nebenpflicht und keine
Hauptleistungspflicht, steht also nicht im
Synallagma, denn der Verkäufer verkauft idR nur um des Kaufpreises, nicht um der Abnahme willen. Dies kann in seltenen Einzelfällen anders sein, wie von @[david1234](229145) angedeutet, etwa wenn es nach den Vereinbarungen der Parteien für den Verkäufer wesentlich ist, die Sache loszuwerden (zB Lagerräumung, Kauf zum Abbruch), vgl. BeckOK BGB/Faust § 433 Rn. 63 (72. Ed.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die bisherige Behauptung im Sachverhalt, es handele sich um eine
Hauptleistungspflicht, war unzutreffend. Und ist, wie von @[david1234](229145) vollkommen richtig erklärt, auch für den Verzug irrelevant: Als
Leistungspflichtist die Abnahme keine
Obliegenheit, sondern selbständig einklagbar ist und kann Gegenstand des Verzugs iSd § 286 sein, vgl. MüKoBGB/Maultzsch, 9. Aufl. 2024, BGB § 433 Rn. 74. Ich habe das hier in der Aufgabe korrigiert. Vielen Dank euch für euren Hinweis und die Diskussion zu dem Thema! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias
jc1909
24.4.2024, 08:06:43
Es ist total nervig, bei allem Verständnis für geschlechtergerechte Sprache, dass andauernd die Geschlechter durcheinander gebracht werden. In manchen Aufgaben - wie auch in dieser hier - wechseln die Personen mehrfach das Geschlecht, was absolut verwirrend ist…
Leo Lee
24.4.2024, 14:14:25
Hallo jc1909, vielen Dank für dein Feedback! Vorab: Wir können nachvollziehen, dass geschlechtergerechte Sprache nicht allen zu 100% gefällt. Allerdings ist Jurafuchs Lernplattform und „Safe-Space“ zugleich, für alle Jurastudierende. Unser Ziel ist es nämlich nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern die Vermittlung auch so angenehm wie möglich zu gestalten, da nur auf diesem Wege unserer Überzeugung nach die effektivste Wissensvermittlung bewerkstelligt werden kann :)! Insofern bitten wir höflich um Nachsicht, damit wir auch all jene, die sich nicht durch die binären Geschlechterverhältnisse angesprochen fühlen, hier bei Jurafuchs so weit wie möglich das Gefühl der Inklusion erfahren. Beachte i.Ü., dass die K hier durchweg als „sie“ also als weibliche Person angesprochen wird, wohingegen V durchweg neutral bleibt :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
B.H.
11.10.2024, 16:54:56
Ich verstehe nicht ganz, wieso der V hier zum einen die Fahrtkosten nach §§ 280 I, II, 286 BGB und zum anderen die Fahrtkosten für die Hinfahrt iHv. 100 EUR nach § 304 BGB verklangen kann. Die Kosten wären dem V ohnehin entstanden, da er selbst bei ordnungsgemäßer Annahme des K die Fahrtkosten aufwenden hätte müssen. Daher würden der
Schadennach §§ 280 I, II, 286 BGB und die Mehraufwendungen nach § 304 BGB doch erst mit dem -Versuch- des zweiten Angebotes entstehen, oder?
unvorsätzlicher Totschläger
1.11.2024, 14:45:42
Ja, ich denke hier muss man insoweit differenzieren, dass iRd SE noch kein
Schadendes V eingetreten ist und hier gerade der Unterschied zum § 304 besteht. Denn dieser ersetzt dem Wortlaut nach gerade die Mehraufwendungen für das erfolglos durchgeführte (erste) Angebot. Insoweit besteht dann ein ZBR nach §273. Um den
Schadennach 280I, II, 286 verlangen zu können müsste V in der Tat noch ein zweites Mal, nach In-Verzug-Setzung desK liefern, wobei dabei dann wiederum natürlich berücksichtigt werden muss, ob V die Lieferkosten zuvor nach §304 geltend gemacht hat und insoweit dann auch kein
Schadenmehr iRd §280 ff. besteht..