Der neue Sachmangelbegriff, § 434 BGB
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Autohändler K kauft bei BMW am 19.1.2022 einen neuen X3. Der X3 fordert K wiederholt auf, anzuhalten, um die Kupplung zu kühlen. Der Hinweis ist serienmäßig, aber falsch: Die Kupplung kühlt auch bei Weiterfahrt. BMW rät K, er solle den Hinweis ignorieren.
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Einordnung des Falls
Der neue Sachmangelbegriff, § 434 BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der BMW ist frei von Sachmängeln, wenn er den subjektiven und objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen genügt.
Genau, so ist das!
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2. Der BMW X3 müsste zunächst allen subjektiven Anforderungen genügen (§ 434 Abs. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
3. Ks BMW X3 ist mangelhaft, weil er nicht die "vereinbarte Beschaffenheit" hat (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB).
Nein!
4. Der BMW X3 ist mangelhaft, weil er sich nicht für die "vertraglich vorausgesetzte Verwendung" eignet (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Der BMW X3 genügt den subjektiven Anforderungen.
Ja, in der Tat!
6. Müssen vorliegend subjektive und objektive Anforderungen kumulativ vorliegen?
Ja!
7. Alle objektiven Anforderungen müssen kumulativ vorliegen.
Genau, so ist das!
8. Der BMW X3 eignet sich für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
9. Der BMW weist eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die K nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB).
Nein!
10. Der Sachmangel entfällt durch die Mitteilung von BMW, dass die Warnmeldung ignoriert werden könne.
Nein, das ist nicht der Fall!
11. Der BMW X3 ist mangelhaft (§ 434 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
ehemalige:r Nutzer:in
14.12.2022, 12:43:31
Dieser Fall stimmt so nicht mehr!! Bitte schnell ausbessern, da das sonst falsch gelernt wird. Bei dem BWM mit Betriebssystem handelt es sich um eine Ware mit digitalem Produkt. Daher kommt es gem. 475a II BGB zu einer Rechtsspaltung, da die Ware mit dem digitalen Produkt verbunden ist, die Ware ihre Funktion jedoch auch ohne dieses digitale Produkt erfüllen kann. Der BMW fährt auch ganz normal, obwohl das Betriebssystem Fehlermeldungen anzeigt. Daher liegt bezüglich des BMW gerade KEIN Mangel gem. 434 BGB vor. Bzgl. des digitalen Produkts (Betriebssystem) finden die 327 ff BGB Anwendung. Daher ist zu prüfen, ob ein Mangel iSd 327e BGB vorliegt.
ehemalige:r Nutzer:in
14.12.2022, 16:19:01
Siehe bzgl. Rechtsspaltung auch: 327a Abs. 2 S. 2 BGB
Jurapro
15.12.2022, 17:21:55
Mir fehlt auch eine rechtliche Einordnung dazu am Anfang des Falles... Es könnte sich bei dem Warnhinweis um einen Sachmangel einer Ware mit digitalen Elementen gem. 475b, 327a III Satz 1 handeln. Eine Ware mit digitalen Elementen liegt nach 327 a III 1 vor, wenn ein Kaufvertrag über Waren vorliegt, die derart ein digitales Produkt enthalten oder mit ihm verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen nicht ohne das digitale Produkt erfüllen können. Die Funktion des Autos wäre das Fahren. Problematisch ist, dass wir nicht wissen, woher der Warnhinweis stammt, vom Assistenzsystem (das Auto kann auch ohne fahren) oder Steuersystem (ohne das Steuersystem springt das Auto nicht mehr an oder fährt nicht mehr korrekt). Handelte es sich um die Steuersoftware, dann ist der BMW X3 eine Ware mit digitalen Elementen. Das hat zur Folge, dass die Vorschriften zu Verträgen über digitale Produkte nach 327a III Satz 1. nicht anwendbar sind. Der kaufrechtliche Mangelbegriff aus 434 wird dann durch den Mangelbegriff in 475b ersetzt, der den kaufrechtlichen Mangelbegriff ergänzt. Ein Sachmangel liegt gem. 475b IV Nr. 1, 434 III vor, da der BMW, indem die Warnung auftaucht und den Fahrer zum Abbremsen verleitet, sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und auch keine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der selben Art üblich ist. Dadurch, dass 475b IV Nr.1 auf 434 III verweist und die Vorschriften zu Verträgen über digitale Produkte nicht anwendbar sind, bliebe der Fall übertragbar.
ehemalige:r Nutzer:in
15.12.2022, 18:49:50
Absolut korrekt! Nur im dem Fall fuhr das Auto ja trotz des fehlerhaften Hinweises. Daher mein Kommentar. Der Fall bedarf also der dringenden Überarbeitung. ;)
Lukas_Mengestu
16.12.2022, 15:18:04
Hallo ihr beiden, vielen Dank für eure guten Hinweise! Es freut mich wirklich sehr, dass ihr die Umsetzung der Digitalrichtlinie und die dadurch bedingten Neuerungen verinnerlicht habt! Grundvoraussetzung der Anwendung der §§ 327 ff. BGB sowie der §§ 474 ff. BGB ist allerdings stets, dass es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt. Der Gesetzgeber hat sich explizit dagegen entschieden, das Vertragsrecht für digitale Produkte insgesamt und damit auch für B2B-Verträge anzupassen (näher dazu: Metzger, in: MüKo-BGB, 9.A. 2022, vor § 327 RdNr. 38). Im B2B-Bereich ist also auch nach der neuen Rechtslage auf § 434 BGB zurückzugreifen. Wir haben im Sachverhalt jetzt auch noch einmal präzisiert, dass es sich um einen Autohändler und Unternehmer iSv § 14 BGB handelt. Läge hier ein Verbrauchsgüterkauf vor, so wäre es in der Tat zu einer Rechtsspaltung gekommen. Ausweislich des Sachverhalts und des zugrunde liegenden Urteils, das noch unter der alten Rechtslage erging, handelte es sich hier wohl nur um eine Assistenzanzeige, die auf die Funktion des Autos keinen Einfluss hat. Dann wäre die Mangelhaftigkeit der Software nach den §§ 327 ff. BGB zu bestimmen gewesen und ein Mangel läge jedenfalls nach § 327e Abs. 3 S.1 Nr. 1 BGB (gewöhnliche Verwendung) vor. Ich hoffe, es ist jetzt etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jurapro
16.12.2022, 15:32:42
Vielen Dank für die ausführliche Antwort! Es, ist so klarer geworden:-)
ehemalige:r Nutzer:in
16.12.2022, 16:07:31
Perfekt! Was so ein Wort ausmacht und der Fall stimmt wieder zu 100 %. 😅 Interessanter wäre der Fall aber auf jeden Fall im B2C Verhältnis gewesen. :D
Vidalinz
10.10.2023, 15:48:36
Hi, ich verstehe nicht, wieso die Antwort auf: "Subjektive und objektive Anforderungen müssen kumulativ vorliegen" ja ist, denn in der Erklärung dazu wird doch sogar gesagt, dass bei Vorliegen subjektiver Vereinbarungen diese vorrangig sind. Wenn z.B. wirksam eine
negative Beschaffenheitsvereinbarungmiteinbezogen worden ist, dann sind die objektiven Anforderungen doch i.d.R. nicht erfüllt und dennoch liegt kein Sachmangel vor. Oder kann man § 434 so verstehen, dass im Grundsatz kumulativ, in der Ausnahme alternativ? Finde die Frage etwas irreführend, wenn sie so allgemein formuliert ist.
lw1
16.10.2023, 13:43:47
Für mich war die Frage ähnlich verwirrend, da der Bezugspunkt fehlt. Bezieht sich die Frage auf das Vorliegen eines Sachmangels, dann ist die richtige Antwort: nein, weil die ein Abweichen einer der Anforderungen bereits einen Sachmangel begründet. Bezieht sich die Frage hingegen auf Freiheit von Sachmängeln, dann ist die richtige Antwort: Ja. Vielleicht könntet ihr den Bezugspunkt der Frage klarer herausarbeiten?
Matteo10
29.11.2023, 11:07:35
Naja 434 Abs. 1 besagt ja: Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn… (bezieht sich also auf die „Freiheit von Sachmängeln“ @[lw1](208510) ). Im Vergleich zur alten Fassung ist jetzt im Abs. 1 (siehe
Wortlaut) ein Gleichrang statuiert. Natürlich gilt bezüglich der einzelnen vereinbarten Anforderungen ein Vorrang gegenüber der obj. Anforderungen (Abs. 3 S. 1). Deswegen ändert sich im Ergebnis dann nicht all zu viel.