Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 831 BGB

Dezentralisierter Entlastungsbeweis und Organisationsverschulden

Dezentralisierter Entlastungsbeweis und Organisationsverschulden

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Für Kauffrau K arbeitet der Betriebsleiter B, den K sorgfältig ausgewählt hat und fortlaufend überwacht. Als bei einem Bauprojekt der Baggerführer krankheitsbedingt ausfällt, setzt der für die Auswahl zuständige B mangels anderslautender Anweisung den jungen und völlig unerfahrenen J ein, der fahrlässig die Wand des angrenzenden Hauses des H einreißt.

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Einordnung des Falls

Dezentralisierter Entlastungsbeweis und Organisationsverschulden

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K haftet für die widerrechtliche Schädigung durch ihren Verrichtungsgehilfen, wenn sie sich nicht exkulpieren kann.

Genau, so ist das!

Hat der Verrichtungsgehilfe einen anderen geschädigt, wird vermutet, dass die rechtswidrige Schädigung (1) kausal auf ein (2) Verschulden des Geschäftsherrn zurückgeht (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB). § 831 BGB ist damit eine Haftung für vermutetes Eigenverschulden des Geschäftsherrn. Eine Exkulpation des Geschäftsherrn entkräftet diese Vermutung. Dabei genügt, dass entweder die Verschuldensvermutung (§ 831 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB) oder die Kausalitätsvermutung (§ 831 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB) widerlegt wird. Er muss dafür beweisen, dass er den Verrichtungsgehilfen sorgsam ausgewählt und geleitet hat oder der Schaden selbst dann entstanden wäre, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl und Überwachung des Gehilfen die gebotene Sorgfalt beachtet hätte.
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2. In einem größeren Betrieb muss der Betriebsinhaber jeden einzelnen Mitarbeiter persönlich auswählen und überwachen.

Nein, das trifft nicht zu!

Wenn der Inhaber eines größeren Betriebes einen Mitarbeiter zur Leitung und Beaufsichtigung eingestellt hat (Zwischenperson) und ein von der Zwischenperson ausgewählter und überwachter untergeordneter Betriebsangehöriger einen Schaden anrichtet, dann kann sich der Inhaber damit entlasten, dass er (1) die Zwischenpersonen sorgfältig ausgewählt und überwacht habe oder (2) dass der Schaden auch bei sorgfältiger Auswahl und Überwachung der Zwischenpersonen eingetreten wäre (dezentralisierter Entlastungsbeweis). Grund: Der Inhaber eines größeren Unternehmens darf sich bestimmter Zwischenpersonen für die Einstellung und Überwachung nachgeordneter Personen bedienen, weil sich die Auswahl- und Überwachungspflicht des Geschäftsherrn selbst unmöglich auf alle Betriebsangehörige erstrecken kann.

3. K kann sich hier exkulpieren, weil sie den B als Zwischenperson sorgfältig ausgewählt und überwacht hat.

Ja!

K hat B sorgfältig ausgewählt und überwacht, so dass sie sich von der Verschuldensvermutung (§ 831 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB) exkulpieren kann. Wenn sich der Geschäftsherr von der Verschuldensvermutung (§ 831 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB) exkulpieren kann, kommt es für die Entlastung des Geschäftsherrn nicht mehr darauf an, ob die Zwischenperson ihrerseits den Verrichtungsgehilfen (Schädiger) sorgsam ausgewählt und überwacht hat.

4. Der Betriebsinhaber kann in diesen Fällen jedoch nach § 823 Abs. 1 BGB haften, wenn er seine Organisationspflicht verletzt (Organisationsverschulden).

Genau, so ist das!

Den Betriebsinhaber trifft eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht, seinen Betrieb so zu organisieren, dass für Dritte keine Gefahren entstehen (allgemeine Organisationspflicht). Diese allgemeine Verkehrssicherungspflicht kann der Geschäftsherr nicht völlig auf einen Dritten übertragen. Verletzt der Geschäftsherr seine (nicht delegierbare) Organisationspflicht, so kann eine rechtswidrige und schuldhafte Schädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB vorliegen.

5. K haftet nach § 823 Abs. 1 BGB wegen ihres Organisationsverschuldens.

Ja, in der Tat!

Im Rahmen seiner Organisationspflicht muss der Geschäftsherr allgemeine Aufsichtsanordnungen treffen, welche die Gewähr für eine ordentliche Betriebsführung bieten. Dazu gehören bei gefährlichen Arbeiten auch Anweisungen über Eignung und Einsatz von Ersatzleuten. Da K dieser Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist, haftet sie nach § 823 Abs. 1 BGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Yinan Zou

Yinan Zou

2.9.2022, 16:56:37

Hallo Jurafuchs, ich habe eine Frage. K als Betriebsinhaberin hat keine Haftung nach § 831 I S.1 BGB, da sie nach § 831 I S.2 BGB exkulpiert ist. Aber wer hat der Anspruch gegen K wegen Verletzung der allgemeinen

Organisationspflicht

gemäß § 823 I BGB, B oder H? Und ob H gegen B einen Anspruch auf Schadenersatz nach § 831 I S.1 BGB hat, da H der Verrichtungsgehilfe ist und B nicht gem. § 831 I S.2 BGB exkulpieren kann. Vielen Dank im Voraus! Yinan

Nora Mommsen

Nora Mommsen

5.9.2022, 16:58:42

Hallo Yinan Zou, vielen Dank für deine Fragen. Den Anspruch gegen K aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der

Organisationspflicht

steht H zu. Dessen Haus (Eigentum) wurde ja beschädigt, sodass eine Rechtsgutverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB vorliegt. H hat gegen B nur einen Anspruch aus § 831 Abs. 1 S.1 BGB, wenn die Voraussetzungen vorliegen. H ist nicht der Verrichtungsgehilfe, dies ist aber gerade nicht erforderlich. Hier könnte A der Verrichtungsgehilfe sein. B müsste aber auch Geschäftsherr sein. Die Ausführung der Verrichtung hat er lediglich als Aufgabe von K übernommen. Er könnte somit gem. § 831 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB haften. Es ist allerdings umstritten, ob § 831 Abs. 2 BGB auch bei der Übertragung auf Bedienstete Anwendung findet. Der Schutz des Geschädigten spricht dafür. Nach anderer Ansicht geht es bei der Delegierung an Bedienstete lediglich um unternehmensinterne Zuständigkeitsverteilung. Der Geschädigte ist ausreichend über die Organsisationspflicht gem. § 823 Abs. 1 BGB geschützt. Danach umfasst § 831 Abs. 2 BGB nur den Fall, dass ein selbstständiges Unternehmen vom Geschäftsherren beauftragt wird. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Sophix58

Sophix58

24.10.2023, 14:52:46

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist der dezentralisierte

Entlastungsbeweis

nicht ganz unumstritten. Wäre es daher ratsam, dies in einer Klausur zu erwähnen oder handelt es sich dabei um eine mehr oder weniger unbeachtliche Mindermeidung?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

25.10.2023, 13:43:37

Hallo Sophix58, eine pauschale Antwort darauf ist leider nicht möglich. Es kommt immer ein wenig darauf an, wie die Klausur angelegt ist. Grundsätzlich ist es keins der Standardprobleme und Streits, bei denen es geboten ist diese immer anzusprechen. Sollte sich aber eine Partei im Sachverhalt darauf berufen beispielsweise, dann muss der Aspekt natürlich entsprechend diskutiert werden. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

erikxxx

erikxxx

5.11.2024, 14:48:07

@[Sophix58](22547) Wir hatten den dezentralisierten

Entlastungsbeweis

in einer Examensübungsklausur zum innerbetrieblichen Schadensausgleich am Rande gestreift. Unser Prof meinte bei der Besprechung, man solle den Streitstand zumindest erwähnen, auch wenn er nicht zentral ist. Im allgemeinen Bewertungshinweis stand aber diesbezüglich nichts, weswegen ich annehme, dass dies zu mindestens nicht negativ gewertet wurde, sofern man diese nicht erwähnt hat. Aber Pluspunkte hat es dafür aber gegeben. Aber wie gesagt, das kommt immer auf den Einzelfall drauf an, ob es einer der Schwerpunkt des Falls ist.


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