Dezentralisierter Entlastungsbeweis und Organisationsverschulden
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Für Kauffrau K arbeitet der Betriebsleiter B, den K sorgfältig ausgewählt hat und fortlaufend überwacht. Als bei einem Bauprojekt der Baggerführer krankheitsbedingt ausfällt, setzt der für die Auswahl zuständige B mangels anderslautender Anweisung den jungen und völlig unerfahrenen J ein, der fahrlässig die Wand des angrenzenden Hauses des H einreißt.
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Einordnung des Falls
Dezentralisierter Entlastungsbeweis und Organisationsverschulden
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K haftet für die widerrechtliche Schädigung durch ihren Verrichtungsgehilfen, wenn sie sich nicht exkulpieren kann.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. In einem größeren Betrieb muss der Betriebsinhaber jeden einzelnen Mitarbeiter persönlich auswählen und überwachen.
Nein, das trifft nicht zu!
3. K kann sich hier exkulpieren, weil sie den B als Zwischenperson sorgfältig ausgewählt und überwacht hat.
Ja!
4. Der Betriebsinhaber kann in diesen Fällen jedoch nach § 823 Abs. 1 BGB haften, wenn er seine Organisationspflicht verletzt (Organisationsverschulden).
Genau, so ist das!
5. K haftet nach § 823 Abs. 1 BGB wegen ihres Organisationsverschuldens.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Yinan Zou
2.9.2022, 16:56:37
Hallo Jurafuchs, ich habe eine Frage. K als Betriebsinhaberin hat keine Haftung nach § 831 I S.1 BGB, da sie nach § 831 I S.2 BGB exkulpiert ist. Aber wer hat der Anspruch gegen K wegen Verletzung der allgemeinen
Organisationspflichtgemäß § 823 I BGB, B oder H? Und ob H gegen B einen Anspruch auf Schadenersatz nach § 831 I S.1 BGB hat, da H der Verrichtungsgehilfe ist und B nicht gem. § 831 I S.2 BGB exkulpieren kann. Vielen Dank im Voraus! Yinan
Nora Mommsen
5.9.2022, 16:58:42
Hallo Yinan Zou, vielen Dank für deine Fragen. Den Anspruch gegen K aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der
Organisationspflichtsteht H zu. Dessen Haus (Eigentum) wurde ja beschädigt, sodass eine Rechtsgutverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB vorliegt. H hat gegen B nur einen Anspruch aus § 831 Abs. 1 S.1 BGB, wenn die Voraussetzungen vorliegen. H ist nicht der Verrichtungsgehilfe, dies ist aber gerade nicht erforderlich. Hier könnte A der Verrichtungsgehilfe sein. B müsste aber auch Geschäftsherr sein. Die Ausführung der Verrichtung hat er lediglich als Aufgabe von K übernommen. Er könnte somit gem. § 831 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB haften. Es ist allerdings umstritten, ob § 831 Abs. 2 BGB auch bei der Übertragung auf Bedienstete Anwendung findet. Der Schutz des Geschädigten spricht dafür. Nach anderer Ansicht geht es bei der Delegierung an Bedienstete lediglich um unternehmensinterne Zuständigkeitsverteilung. Der Geschädigte ist ausreichend über die Organsisationspflicht gem. § 823 Abs. 1 BGB geschützt. Danach umfasst § 831 Abs. 2 BGB nur den Fall, dass ein selbstständiges Unternehmen vom Geschäftsherren beauftragt wird. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Sophix58
24.10.2023, 14:52:46
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist der dezentralisierte
Entlastungsbeweisnicht ganz unumstritten. Wäre es daher ratsam, dies in einer Klausur zu erwähnen oder handelt es sich dabei um eine mehr oder weniger unbeachtliche Mindermeidung?
Nora Mommsen
25.10.2023, 13:43:37
Hallo Sophix58, eine pauschale Antwort darauf ist leider nicht möglich. Es kommt immer ein wenig darauf an, wie die Klausur angelegt ist. Grundsätzlich ist es keins der Standardprobleme und Streits, bei denen es geboten ist diese immer anzusprechen. Sollte sich aber eine Partei im Sachverhalt darauf berufen beispielsweise, dann muss der Aspekt natürlich entsprechend diskutiert werden. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
erikxxx
5.11.2024, 14:48:07
@[Sophix58](22547) Wir hatten den dezentralisierten
Entlastungsbeweisin einer Examensübungsklausur zum innerbetrieblichen Schadensausgleich am Rande gestreift. Unser Prof meinte bei der Besprechung, man solle den Streitstand zumindest erwähnen, auch wenn er nicht zentral ist. Im allgemeinen Bewertungshinweis stand aber diesbezüglich nichts, weswegen ich annehme, dass dies zu mindestens nicht negativ gewertet wurde, sofern man diese nicht erwähnt hat. Aber Pluspunkte hat es dafür aber gegeben. Aber wie gesagt, das kommt immer auf den Einzelfall drauf an, ob es einer der Schwerpunkt des Falls ist.