Privilegierter Kinderlärm im Sinne von 22 Abs. 1a BImSchG
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
M mietet seit 1993 eine ruhige Wohnung von V. Die angrenzende Schule baut 2010 einen Bolzplatz für Schulkinder. Nach Schulschluss dürfen Kinder bis 12 Jahre darauf. Wegen des Kinderlärms mindert M die Miete um 20%.
Einordnung des Falls
Privilegierter Kinderlärm (BGH, 29.04.2015)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. § 22 Abs. 1a BImSchG kann nur zur Auslegung von Mietverträgen herangezogen werden, die nach Inkrafttreten der Norm (2011) geschlossen wurden.
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Nein!
2. V und M haben konkludent eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen, dass von dem benachbarten Schulgelände auch in Zukunft keine höheren Lärmeinwirkungen ausgehen als bei Vertragsschluss.
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Nein, das ist nicht der Fall!
3. Das Toleranzgebot des § 22 Abs. 1a BImSchG privilegiert auch den Lärm Jugendlicher (ab 14 Jahren), die eigentlich den Bolzplatz nicht nutzen dürfen, es aber dennoch tun.
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Nein, das trifft nicht zu!
4. Soweit V den Lärm Jugendlicher nach § 906 Abs. 1 BGB selbst entschädigungslos gegenüber der Schule dulden muss, begründet der Lärm auch keinen Mietmangel.
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Ja!
5. Lärm von Kindern unter 14 Jahren ist gesetzlich privilegiert. Er führt nicht oder nur zu einer unerheblichen Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache.
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Genau, so ist das!
6. Die Miete ist kraft Gesetzes gemindert, solange die Mietwohnung einen Sachmangel hat, der die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch erheblich mindert (§ 536 Abs. 1 BGB).
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Ja, in der Tat!
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Philipp Paasch
18.10.2022, 00:02:05
Ich finde, das Bundesimmissionsschutzgesetz hier heranzuziehen etwas weit hergeholt für einen privatrechtlichen Mietvertrag. Es geht ja auch um nicht genehmigungsbedürftige Anlagen.
ceratius
4.11.2022, 08:29:45
Dennoch zeigt das BImSchG die Wertung des Gesetzgebers zu Kinderlärm auf - dass man diese auch in anderen Rechtsgebieten heranzieht erscheint mir konsequent.

Simon
30.12.2022, 22:48:28
Ich finde ein Abstellen auf das BImSchG nicht unbedingt abwegig. Da die Parteien hier keine besondere Absprache über Lärmeinwirkungen auf die Mietsache trafen, ist auf eine ergänzende Vertragsauslegung abzustellen, bei der auch Verkehrsanschauung, sowie Treu und Glauben zu berücksichtigen sind. Wegen der Vergleichbarkeit des Regelungsgegenstandes kann man wohl gut auf § 906 I 2 BGB abstellen, der ebenfalls ein Heranziehen des BImSchG zulässt. Gerade im Lichte von Treu und Glauben kann man mE auch im Zivilrecht auf öffentlich-rechtliche Normen abstellen, die gewisse Interessenskonflikte auflösen oder konkretisieren. Aber klar, in der Klausur kommt man darauf eher weniger, wenn man einen vergleichbaren Fall nicht schonmal gelöst hat :)