Strafrecht

Strafprozessrecht

Verfahrensgrundsätze (Prozessmaxime)

Anklagegrundsatz, Anklagemonopol und Offizialprinzip - Einführungsfall

Anklagegrundsatz, Anklagemonopol und Offizialprinzip - Einführungsfall

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

D klaut das Fahrrad seines Nachbarn N aus dessen Garten. N ist empört. Da N sich hobbymäßig mit der Juristerei auseinandersetzt, schreibt er sofort eine mustergültige Anklage gegen D und sendet sie ans Amtsgericht.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Anklagegrundsatz, Anklagemonopol und Offizialprinzip - Einführungsfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach § 151 StPO kann es grundsätzlich nur zu einer gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung kommen, wenn eine öffentliche Klage erhoben ist.

Ja, in der Tat!

§ 151 StPO begründet den Anklagegrundsatz (= Akkusationsprinzip). Dieser besagt, dass ohne Erhebung einer Klage keine gerichtliche Untersuchung stattfindet. Wo kein Kläger, da kein Richter.
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2. Bei Vorliegen eines Privatklagedelikts nach § 374 Abs. 1 StPO kann der Bürger eine Klage auch ohne vorherige Anrufung der Staatsanwaltschaft erheben. War N die Klage hier möglich?

Nein!

Im Wege der Privatklage können die in § 374 Abs. 1 StPO genannten Delikte vom Verletzten angeklagt werden, ohne dass es einer vorgängigen Anrufung der Staatsanwaltschaft bedarf.Zwar ist N Verletzter des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB). Der Diebstahl ist jedoch kein Privatklagedelikt. Eine Anklage durch N war hier also nicht möglich.Hintergrund der Privatklage ist, dass die Privatklagedelikte weniger gravierend sind und das öffentliche Interesse in nur geringem Maße berühren. Die Staatsanwaltschaft kann die Klage erheben, falls die Verfolgung doch im öffentlichen Interesse liegt (§ 376 StPO).

3. Richter R erhält die Anklageschrift des N. Kann er die Hauptverhandlung gegen D selbstständig eröffnen, wenn er eine Anklage für sinnvoll hält (§ 152 Abs. 1 StPO)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung ist durch die Erhebung einer Klage bedingt (§ 151 StPO, Akkusationsprinzip oder Anklagegrundsatz). Da die Staatsanwaltschaft allein zur (öffentlichen) Anklageerhebung berufen ist (§ 152 Abs. 1 StPO), ist die richterliche Urteilskompetenz auf die angeklagten Taten beschränkt. Ein Gericht kann ohne Anklage das gerichtliche Verfahren nicht eröffnen. Einziges Korrektiv für den Staatsanwalt sind die Straftatbestände der §§ 258a, 344 StGB, sowie das Klageerzwingungsverfahren der §§ 172ff. StPO.Richter R konnte also hier nicht von sich aus ein Verfahren einleiten, ohne dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hatte. Anders ist es bei einem sog. Inquisitionsprozess: Hier herrscht zwischen Ankläger und Richter Personalunion, was naturgemäß die Gefahr der Voreingenommenheit des Richters mit sich bringt. Dieses Verfahren gab es in Deutschland zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert.

4. Jeder Bürger kann immer vor den Strafgerichten Anklage erheben, ohne dass vorher die Staatsanwaltschaft tätig wird (§ 152 Abs. 1 StPO).

Nein!

Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen (§ 152 Abs. 1 StPO). § 152 Abs. 1 statuiert das Offizialprinzip, welches besagt, dass die Strafverfolgung Aufgabe des Staates ist. Das Strafverfahren ist, anders als der Zivilprozess (vgl. § 253 ZPO), kein Parteiverfahren. Unter der Herrschaft des Offizialprinzips obliegt die Strafverfolgung nicht dem Einzelnen. Ausnahmen gibt es im Rahmen der Privatklage (§§ 374ff. StPO). Der Anklagegrundsatz aus § 151 StPO ist Teil des Offizialprinzips.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FW

FW

23.9.2024, 20:16:47

Hi, Bei geringwertigen Sachen wird ja teilweise die Tat nur auf Antrag verfolgt. Wo muss dieser Antrag im Sinne des § 248b gestellt werden und was ist dessen Rechtsfolge? Bedeutet dies, dass ich diesen Antrag bei der zuständigen

Behörde

( Polizei, Staatsanwaltschaft) stellen muss und der Staatsanwalt dann quasi verpflichtet ist, eine öffentliche Anklage zu erheben? Oder ist der § 248b ähnlich wie die Privatklage ( § 374 StPO) zu handhaben?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

24.9.2024, 08:57:19

Hallo @[FW](139488), danke für deine Frage. Ich gehe davon aus, dass du den Antrag nach

§ 248a StGB

meinst. Aus dieser Norm ergibt sich, dass der Diebstahl geringwertiger Sachen ein

relatives Antragsdelikt

ist. Die Tat wird also nur auf Antrag des Berechtigten (vgl. § 77 StPO) oder aber dann verfolgt, wenn trotz fehlendem Antrags ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Der Antrag kann nach § 158 Abs. 1 StPO bei der Staatsanwaltschaft oder Gericht gestellt werden, die örtliche Zuständigkeit muss der Antragsteller nicht beachten (siehe auch Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 77, RndNr. 35, beck-online). Wird ein Strafantrag gestellt, ist die Staatsanwaltschaft aufgrund des Legalitätsprinzips zunächst verpflichtet, entsprechende Ermittlungen einzuleiten. Sie ist jedoch nicht dazu verpflichtet, Anklage zu erheben. Denn auch, wenn ein Strafantrag gestellt wurde, kann die Staatsanwaltschaft die Sache nach den §§ 153,

153a StPO

einstellen. Außerdem können die Ermittlungen auch zu dem Ergebnis führen, dass der für eine Anklage erforderliche hinreichende Tatverdacht (§ 170 Abs. 1 StPO) nicht besteht. In diesem Fall stellt die Staatsanwaltschaft ebenfalls ein (

§ 170 Abs. 2 StPO

). Für § 248b Abs. 1 StGB gilt übrigens dasselbe mit dem feinen Unterschied, dass es sich hierbei um ein

absolutes Antragsdelikt

handelt, die Tat also ohne Strafantrag nicht verfolgt wird (in § 248b Abs. 3 StGB ist nämlich gerade nicht das besondere öffentliche Interesse normiert). Von den

Antragsdelikte

n sind die Privatklagedelikte zu unterscheiden. Bei den in § 374 StPO normierten Fällen bedarf es keiner öffentlichen Anklage (die nur durch die Staatsanwaltschaft zu erheben ist, § 152 Abs. 1 StPO). Vielmehr können die Verletzten selber Klage am Gericht erheben. Wird ein Strafantrag gestellt, ist das hingegen quasi der „Auftrag“ an die Staatsanwaltschaft, zu ermitteln und ggf. Anklage zu erheben. Zu deiner Frage:

§ 248a StGB

(und § 248b StGB) ist nicht so zu handhaben, wie § 374 StPO. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

FW

FW

24.9.2024, 12:26:34

Danke für die sehr ausführliche und verständliche Erklärung! Hab’s verstanden


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