Öffentliches Recht

VwGO

Verpflichtungsklage

Abgrenzung Inhaltsbestimmung / Nebenbestimmung; isolierte Anfechtung

Abgrenzung Inhaltsbestimmung / Nebenbestimmung; isolierte Anfechtung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

R möchte neben ihrem Wohnhaus einen Pferdestall errichten. Sie beantragt eine Baugenehmigung für einen Stall. Die zuständige Behörde genehmigt den Bau des Stalls unter der Maßgabe, dass zuvor alle Nachbarn der R dem Bau zustimmen. R will gegen das Zustimmungserfordernis vorgehen. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagt R.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung Inhaltsbestimmung / Nebenbestimmung; isolierte Anfechtung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Statthaft ist die Anfechtungsklage, wenn R gegen einen Verwaltungsakt vorgehen will.

Ja, in der Tat!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO). Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist statthaft, soweit es sich um einen den Kläger belastenden Verwaltungsakt handelt (§ 35 S. 1 VwVfG) und der Verwaltungsakt nicht erledigt ist. Ein Verwaltungsakt ist eine (1) hoheitliche Maßnahme einer (2) Behörde auf dem (3) Gebiet des öffentlichen Rechts (4) zur Regelung (5) eines Einzelfalls (6) mit Außenwirkung, die sich noch nicht erledigt hat.
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2. Verwaltungsakte können mit Nebenbestimmungen (§ 36 VwVfG) erlassen werden. Diese müssen von Inhaltsbestimmungen abgegrenzt werden.

Ja!

Die Hauptregelung eines Verwaltungsakts kann durch zusätzliche Bestimmungen (Nebenbestimmungen) (§ 36 VwVfG) ergänzt oder beschränkt werden. Mit Hilfe von Nebenbestimmungen kann die Behörde auf einen beantragten Verwaltungsakt mit „Ja, aber...“ statt „Nein“ antworten. Eine Nebenbestimmung liegt vor, wenn die Behörde den Kern des ursprünglichen Begehrens unberührt lässt und nur eine zusätzliche Regelung trifft. Eine Inhaltsbestimmung liegt vor, wenn die Behörde durch den Zusatz die Reichweite des beantragten Verwaltungsakts definiert. Wenn die Hauptregelung ohne den Zusatz eine sinnvolle Regelung ist, handelt es sich um eine Nebenbestimmung.

3. Einzelne Inhaltsbestimmungen des Verwaltungsakts sind isoliert anfechtbar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Inhaltsbestimmungen bilden die Hauptregelung, den "Inhalt" des Verwaltungsakts. Der Verwaltungsakt kann ohne sie nicht sinnvoll bestehen bleiben. Deswegen ist die isolierte Anfechtung einzelner Inhaltsbestimmungen unstatthaft. Begehrt der Kläger den Verwaltungsakt ohne eine bestimmte inhaltliche Regelung, muss er im Rahmen der Verpflichtungsklage auf Neuerlass des Verwaltungsakts in der ursprünglich beantragten Form, also ohne die ungewollte Regelung, klagen.

4. Bei der Maßgabe, dass R die Zustimmung der Nachbarn einholen muss, handelt es sich um eine Inhaltsbestimmung.

Nein, das trifft nicht zu!

Denkt man sich die Regelung, dass Rs Nachbarn zustimmen müssen, weg, bleibt die Genehmigung des Stalls bestehen. Dies ist eine sinnvolle, rechtmäßige Regelung. Der Zusatz über die nachbarliche Zustimmung ist damit eine Nebenbestimmung (§ 36 VwVfG). Konkret handelt es sich um eine Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG). Eine Bedingung liegt vor, wenn der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen, d.h. nach dem Bescheiderlass eintretenden Ereignisses abhängig gemacht wird. Hier wird die Wirksamkeit der Baugenehmigung von der nachbarlichen Zustimmung abhängig gemacht.

5. Die Frage, ob eine Nebenbestimmung unabhängig vom Hauptverwaltungsakt angefochten werden kann (= isolierte Anfechtbarkeit), ist umstritten.

Ja!

Nach einer Ansicht muss der Betroffene gegen eine Nebenbestimmung stets mit einer Verpflichtungsklage auf Neubescheidung vorgehen. Eine zweite Ansicht differenziert nach der Art der Nebenbestimmung: Nur Auflagen und Auflagenvorbehalte sind anfechtbar. Eine dritte Ansicht unterscheidet nach der Art des Hauptverwaltungsaktes: Nur Nebenbestimmungen zu gebundenen Verwaltungsakten können isoliert angefochten werden. Nach einer vierten Ansicht (BVerwG und hL) sollen Nebenbestimmungen grundsätzlich anfechtbar sein. Diese Ansicht überzeugt mit Blick auf den Wortlaut des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO ("soweit") sowie den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes.

6. Nach Ansicht von BVerwG und hL ist die isolierte Anfechtungsklage bei Nebenbestimmungen ausnahmslos statthaft.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach BVerwG und hL können Nebenbestimmungen grundsätzlich isoliert angefochten werden. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung von vornherein offenkundig rechtswidrig ist. Die Rechtmäßigkeit ist von vornherein ausgeschlossen, wenn die Hauptregelung für sich genommen in keinem denkbaren Fall rechtmäßig sein kann. Dann fehlt es an der sog. materiellen Teilbarkeit von Nebenbestimmung und Hauptregelung, welche grundsätzlich erst in der Begründetheit der Anfechtungsklage geprüft wird. Fehlt es an der materiellen Teilbarkeit, ist nur eine Verpflichtungsklage auf Neuerlass des Verwaltungsakts ohne Nebenbestimmung statthaft.

7. Die Baugenehmigung ist ohne das Zustimmungserfordernis offenkundig rechtswidrig. Eine isolierte Anfechtung des Zustimmungserfordernisses ist deshalb ausgeschlossen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die isolierte Anfechtungsklage gegen Nebenbestimmungen ist nach BVerwG und hL grundsätzlich zulässig. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung von vornherein offenkundig rechtswidrig ist.Die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ohne den Zusatz über die Zustimmung der Nachbarn erscheint nicht als von Anfang an offenkundig rechtswidrig. Die materielle Teilbarkeit von Nebenbestimmung und Hauptregelung, welche das BVerwG erst im Rahmen der Begründetheit prüft, ist damit vorliegend nicht offenkundig ausgeschlossen. R kann das Zustimmungserfordernis isoliert anfechten.
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