Abgrenzung Inhaltsbestimmung / Nebenbestimmung; isolierte Anfechtung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
R möchte neben ihrem Wohnhaus einen Pferdestall errichten. Sie beantragt eine Baugenehmigung für einen Stall. Die zuständige Behörde genehmigt den Bau des Stalls unter der Maßgabe, dass zuvor alle Nachbarn der R dem Bau zustimmen. R will gegen das Zustimmungserfordernis vorgehen. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagt R.
Einordnung des Falls
Abgrenzung Inhaltsbestimmung / Nebenbestimmung; isolierte Anfechtung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Statthaft ist die Anfechtungsklage, wenn R gegen einen Verwaltungsakt vorgehen will.
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Ja, in der Tat!
2. Verwaltungsakte können mit Nebenbestimmungen (§ 36 VwVfG) erlassen werden. Diese müssen von Inhaltsbestimmungen abgegrenzt werden.
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Ja!
3. Einzelne Inhaltsbestimmungen des Verwaltungsakts sind isoliert anfechtbar.
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Nein, das ist nicht der Fall!
4. Bei der Maßgabe, dass R die Zustimmung der Nachbarn einholen muss, handelt es sich um eine Inhaltsbestimmung.
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Nein, das trifft nicht zu!
5. Die Frage, ob eine Nebenbestimmung unabhängig vom Hauptverwaltungsakt angefochten werden kann (= isolierte Anfechtbarkeit), ist umstritten.
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Ja!
6. Nach Ansicht von BVerwG und hL ist die isolierte Anfechtungsklage bei Nebenbestimmungen ausnahmslos statthaft.
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Nein, das ist nicht der Fall!
7. Die Baugenehmigung ist ohne das Zustimmungserfordernis offenkundig rechtswidrig. Eine isolierte Anfechtung des Zustimmungserfordernisses ist deshalb ausgeschlossen.
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Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Bienenschwarmverfolger
7.5.2021, 12:14:24
Bedingung, Befristung und Widerrufsvorbehalt sind doch nach hM gerade keine VAe, weil sie keine eigenständige Regelungswirkung entfalten, sondern nur unselbständige Bestandteile des Haupt-VAs sind, oder?

Tigerwitsch
7.5.2021, 14:35:54
Wie bereits in der Aufgabe dargestellt, ist es umstritten, ob Nebenbestimmungen iSd § 36 VwVfG isoliert anfechtbar sind. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist jede (!) Nebenbestimmung iSd § 36 VwVfG isoliert anfechtbar (vgl. nur BVerwG, U. v. 21.06.2007 - AZ.: 3 C 39/06; U. v. 13.12.2000 - AZ.: 6 C 5/00; U. v. 10.07.1980 - AZ.: 3 C 136/79). Es ist also insbesondere unerheblich, ob es sich bei der streitigen (unselbstständigen) Nebenbestimmung um eine Befristung, eine Bedingung oder einen Widerrufsvorbehalt handelt. In dem Zusammenhang ist jedoch maßgeblich, dass eine isolierte Anfechtung nur dann in Betracht kommt, wenn die Nebenbestimmung vom Haupt-VA getrennt werden kann. Mit anderen Worten: Es kommt darauf an, ob der VA ohne die Nebenbestimmung sinnvoll und rechtmäßig bestehen bleiben kann.
Bienenschwarmverfolger
7.5.2021, 14:45:32
Es ging mir nicht um die isolierte Anfechtbarkeit, die wird ja erschöpfend thematisiert. In der Antwort der - meine ich - ersten Frage heißt es aber, dass Nebenbestimmungen Verwaltungsakte seien. Und das ist unabhängig von der isolierten Anfechtbarkeit ja nur teilweise der Fall.

Tigerwitsch
7.5.2021, 14:57:06
Ups, sorry, da habe ich falsch gelesen 😇 Also mE ist zwischen unselbstständigen und selbstständigen Nebenbestimmungen zu differenzieren: - unselbstständige NB (Befristung, Bedingung und Widerrufsvorbehalt) stellen keine (gesonderten) VA neben dem Haupt-VA dar. Dafür spricht insbesondere der Wortlaut des § 36 Abs. 2 VwVfG („erlassen werden mit“). - Selbstständige NB (Auflage und Auflagenvorbehalt) werden dagegen nicht mit dem Haupt-VA „mit erlassen“, sondern mit diesem „verbunden“. Sie erfüllen die Begriffsmerkmale des § 35 Satz 1 VwVfG. Vgl. dazu Barczak, in: JuS 2018, 238 (241 f.)

Lukas_Mengestu
10.5.2021, 17:32:08
Hallo ihr beiden, ich bin - wieder einmal - begeistert für euer gutes Auge und die Liebe zum Detail. In der Tat werden nur die Auflage u. der Auflagenvorbehalt als Verwaltungsakte qualifiziert, was im Ergebnis allerdings nichts daran ändert, dass grundsätzlich sämtliche Nebenbestimmungen nach der herrschenden Meinung isoliert anfechtbar sind, sofern die materielle Teilbarkeit vorliegt. Wir haben die Aufgabe insoweit etwas angepasst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
🦊LEXDEROGANS
11.6.2021, 16:30:13
Läge offensichtliche Rechtswidrigkeit vor, wenn im Innenbereich in einem reinen Wohngebiet (bestehend aus mehreren Wohnblöcken ohne Grünflächen) direkt neben dem Haus ein Pferdestall gebaut werden sollte?

Lukas_Mengestu
16.6.2021, 16:45:49
Hallo LEXDEROGANS, das ließe sich gut vertreten, da in einem reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO ein solcher Pferdestall weder grundsätzlich (Abs. 2) noch ausnahmsweise (Abs. 3) zulässig ist und auch eine Befreiung in einem solchen Gebiet ausgeschlossen erscheint. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Hilfreicher Melancholiker
3.10.2023, 20:01:34
Irgendwie passt die Zeichnung nicht wirklich zum Fall :D