Statthafter Rechtsbehelf bei Vollstreckungsvertrag

3. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S und G schließen einen Vertrag, in dem sie sich verpflichten, die Zwangsvollstreckung nicht in Gesellschaftsanteile der jeweils anderen Partei zu betreiben. Wegen einer offenen Geldforderung gegen S pfändet G dennoch den Anteil der S an einer GbR, die mit Sportwagen handelt. S möchte sich gegen die Pfändung wehren.

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Einordnung des Falls

Statthafter Rechtsbehelf bei Vollstreckungsvertrag

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Zwangsvollstreckung richtet sich nach §§ 802a ff. ZPO.

Ja, in der Tat!

Die maßgebliche Einstiegsfrage in der Zwangsvollstreckung lautet: Wegen was und in was erfolgt die Zwangsvollstreckung? Bei Vollstreckung wegen Geldforderungen sind die §§ 802a ff. ZPO anwendbar, bei Vollstreckung wegen anderer Forderungen richtet sich die Zwangsvollstreckung nach §§ 883ff. ZPO. Hier geht es um die Vollstreckung wegen einer Geldforderung. Innerhalb der §§ 802a-882h ZPO ist entscheidend, dass in ein vermögenswertes Recht vollstreckt wird. Damit sind §§ 828-863 ZPO anwendbar. Gesellschaftsanteile unterliegen nach § 857 ZPO der Pfändung.
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2. Die GbR hat unlängst einen Porsche erworben. Kann G diesen oder einen Anteil an diesem pfänden?

Nein!

Die für oder durch die GbR erworbenen Rechte stehen der Gesellschaft allein zu, sie sind Gesellschaftsvermögen, § 713 BGB. Die Gesellschafter sind in keiner Weise dinglich an den Gegenständen des Gesellschaftsvermögens beteiligt. Daher hat ein Gesellschafter auch keinen Anteil an einzelnen Vermögensgegenständen der GbR, der gepfändet werden könnte. S hat keinen Anteil an dem Porsche, womit G den Porsche nicht pfänden kann.

3. G hat die Wahl, ob er den Gewinnanteil des S geltend machen oder die Mitgliedschaft des S kündigen will, um auf den Abfindungs- bzw. Auseinandersetzungsanspruch zuzugreifen.

Genau, so ist das!

Die Pfändung erfasst alle übertragbaren vermögensrechtlichen Ansprüche, womit der Gläubiger sich ohne Weiteres damit zufrieden geben kann, den Gewinnanteil des Schuldners geltend zu machen, § 709 Abs. 3 BGB. Er hat aber grundsätzlich auch die Möglichkeit, auf den Abfindungsanspruch bzw. den Auseinandersetzungsanspruch zuzugreifen. Hierfür muss er aber die Mitgliedschaft des S kündigen. Dies ist unter den Voraussetzungen des § 726 BGB möglich. Konsequenz der Kündigung ist, sofern der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes regelt, nicht die Auflösung der Gesellschaft, sondern gem. § 723 Abs. 1 Nr. 4 BGB nur das Ausscheiden des S. Dies wiederum löst den Abfindungsanspruch nach § 728 BGB aus.

4. Durch Vollstreckungsverträge (wie hier) können die Parteien die Zwangsvollstreckung im Rahmen der Privatautonomie komplett frei gestalten.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Zwangsvollstreckungsrecht enthält zwingende Regelungen zum Schutz des Schuldners (etwa § 811 ZPO). Daher ist eine Abweichung von den Regeln zu Lasten des Schuldners nicht möglich. Auch Vereinbarungen über die Art der Zwangsvollstreckung und ihre Voraussetzungen sind zwingend, die Vorschriften sind nicht dispositiv. Der Gläubiger kann hingegen durch Parteivereinbarung auf Rechte der Zwangsvollstreckung verzichten (etwa späterer Beginn der Vollstreckung, Ausschluss der Vollstreckung in einen Gegenstand etc.). G und S vereinbarten, dass die Zwangsvollstreckung nicht in Gesellschaftsanteile der jeweils anderen Partei betrieben wird. Es handelt sich um eine Abweichung zu Lasten des Gläubigers, welche zulässig ist.

5. Statthafter Rechtsbehelf wegen eines Verstoßes gegen einen Vollstreckungsvertrag ist die Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO).

Nein!

Die Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) ermöglicht eine Überprüfung der formellen Vollstreckungsvoraussetzungen. § 766 ZPO spricht daher von Einwendungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das Verfahren betreffen. Es geht um Voraussetzungen, die das Vollstreckungsorgan einfach im formalisierten Vollstreckungsverfahren überprüfen kann. Wegen der eingeschränkten Prüfungskompetenz der Vollstreckungsorgane im Vollstreckungsverfahren ist die Vollstreckungserinnerung nicht der statthafte Rechtsbehelf. Vollstreckungsverträge können vielgestaltig und komplex sein und sich daher einer Prüfung durch das Vollstreckungsorgan entziehen (RdNr. 38).

6. Für das Vorgehen der S gegen die Zwangsvollstreckung ist die Vollstreckungsabwehrklage767 ZPO analog) statthaft.

Genau, so ist das!

Die Vollstreckungsabwehrklage ist statthaft (§ 767 Abs. 1 ZPO), wenn der Kläger als Schuldner des Vollstreckungsverfahrens gegen den Beklagten als Vollstreckungsgläubiger materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch erhebt. Der Vollstreckungsvertrag stellt keine den Anspruch betreffende Einwendung dar. Weil die Vollstreckungserinnerung aber nicht statthaft ist, liegt eine planwidrige Regelungslücke vor. Auch eine vergleichbare Interessenlage besteht, weil im Verfahren nach § 767 ZPO eine vollumfängliche Sachprüfung erfolgen kann. Die Zwangsvollstreckung kann dann in bestimmte Gegenstände für unzulässig erklärt werden, soweit der Vollstreckungsvertrag wirksam ist (RdNr. 44f.). Die Vollstreckungsabwehrklage767 ZPO analog) ist statthafter Rechtsbehelf. Es handelt sich hier nicht um eine "Titelgegenklage" (mehr zu dieser hier. Diese wird zwar auch auf § 767 Abs. 1 ZPO analog gestützt, hat aber eine andere Stoßrichtung: Mit der Titelgegenklage macht der Vollstreckungsschuldner Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Titels geltend. Dabei ist es sein Ziel, den Titel zu beseitigen. Bei einem Vollstreckungsvertrag geht es aber nur um eine Beschränkung der Vollstreckung. Ziel des Vollstreckungsschuldners ist hier, die Vollstreckung in bestimmte, von der Vollstreckung ausgenommene Gegenstände für unzulässig zu erklären. Die hier vorliegende analoge Anwendung des § 767 Abs. 1 ZPO wird insoweit auch als "gegenständlich beschränkte" Vollstreckungsabwehrklage bezeichnet.

7. Durch die Pfändung des Gesellschaftsanteils rückt G in die gesellschaftliche Stellung des S ein.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Pfändung des Gesellschaftsanteils beschränkt sich auf die übertragbaren vermögensrechtlichen Ansprüche, die dem Gesellschafter zustehen. Dies sind insbesondere die Gewinnansprüche (§ 709 Abs. 3 BGB) und Ansprüche auf ein Auseinandersetzungsguthaben oder eine Abfindung (§ 728 Abs. 1 BGB). Die aus der Mitgliedschaft resultierenden Rechte der Gesellschafter, wie etwa das Stimmrecht oder die Geschäftsführungsbefugnis, sind gem. § 711a S. 1 BGB nicht übertragbar und damit gem. §§ 857 Abs. 1, 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbar. G rückt nicht in die Gesellschafterstellung des S ein.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Vallowitz

Vallowitz

11.8.2021, 12:50:29

Das hab ich leider nicht ganz verstanden. Heißt das die

Vollstreckungsabwehrklage

ist

statthafte Klageart

und in der Begründetheit wird 802a ff. ZPO geprüft? Vielen Dank 🦊

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.11.2021, 14:00:06

Hallo Vallowitz, vielen Dank für deine Nachfrage. Die ersten Fragen dienten zunächst der Orientierung im Zwangsvollstreckungsrecht. Wie Du schon richtig erfasst hast, ist hier die

Vollstreckungsabwehrklage

in analoger Anwendung die

statthafte Klageart

767 ZPO

analog). Im Rahmen der Begründetheit werden nun aber nicht die §§ 802a ff. ZPO relevant. Vielmehr ist hier vorliegend zu prüfen, inwieweit die zwischen S und G geschlossene Vereinbarung wirksam war und eine Vollstreckung in die Gesellschaftsanteile verhindern kann. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

PACSE

Pacta sunt servanda

5.3.2023, 11:20:38

Die Frage, ob 766 oder 767 im Falle des

Vollstreckungsvertrag

es statthafter Rechtsbehelf ist, ist hoch umstritten.

GoodMorning

GoodMorning

15.9.2023, 08:25:41

Kurze Frage: Woraus genau ergibt sich, dass in einem

Vollstreckungsvertrag

keine den Schuldner benachteiligende Klauseln vereinbart werden dürfen?

Simon Wessel

Simon Wessel

19.12.2023, 10:09:19

der Systematik & dem Telos der Normen des Zwangsvollstreckungsrecht ist zu entnehmen, dass der Schuldner gegen "das scharfe Schwert der ZvStr." umfassend geschützt sein muss (z. B. Rechtsbehelfe, §§ 811 ff. ZPO).

FW

FW

14.10.2024, 11:41:16

Hi, könnte man nicht bei der

Vollstreckungsabwehrklage

auf § 242 BGB i.V.m. mit den

Vollstreckungsvertrag

( § 311 I, 241 II) abstellen? Aus diesen folgt ja gerade die Pflicht, dass ich wegen einer Geldforderung gegen den anderen die Zwangsvollstreckung nicht betreibe. Aus der Verbindung mit dem Grundsatz des widersprüchlichen Verhaltens aus § 242 BGB könnte man doch eine materiell-rechtliche Einwendung bejahen, die man mit der

Vollstreckungsabwehrklage

rügt. Oder wäre das eine

unzulässig

e Durchbrechung des Grunsatzes der

Relativität der Schuldverhältnisse

?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

17.10.2024, 15:14:36

Hallo @[FW](139488), sehr guter Gedanke! In der Tat kann ein rechtsmissbräuchliches, gegen den Grundsatz von Treu und Glauben iSd § 242 BGB verstoßendes Verhalten eine Einwendung nach § 767 I ZPO begründen. Beachte aber Folgendes: Die vorgetragenen Einwendungen müssen bei § 767 I ZPO den titulierten ANSPRUCH betreffen. Das ist bei § 242 BGB v.a. dann möglich, wenn der Gläubiger bezüglich des Anspruchs etwas verlangt, was er sofort wieder zurückgewähren müsste (

dolo agit

). So zB vom BGH angenommen in einem Fall, in dem ein Gläubiger eine titulierte Forderung (eine Rate einer Bau-Vorschussleistung) wegen einer fälligen vertraglichen Rückgewährverpflichtung (weil das Bau-Projekt zwischenzeitlich gescheitert war) sofort an den Schuldner hätte zurückzahlen müssen (BGH, Urt. v. 4.12.2014 – VII ZR 4/13). Dann liegt eine Einwendung gegen den Anspruch selbst vor. Aus einem

Vollstreckungsvertrag

folgt dagegen keine Einwendung gegen den titulierten Anspruch selbst. Es geht hier nur um eine Beschränkung der Vollstreckung, nicht um den zugrundeliegenden Anspruch. Daher kann hier bei uns im Fall § 242 BGB nicht greifen und 767 I ZPO ist nicht direkt anwendbar. Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

Larzed

Larzed

25.11.2024, 23:58:05

Die Pfändung des Porsche ist wegen § 713 BGB nicht möglich. War das vor dem MoPeG wegen § 719 BGB a.F möglich? Oder hat die Gesamdhandsgemeinschaft die Vollstreckung gehindert?


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