Fremdgefährdung („Flintenfall“)
25. Januar 2025
20 Kommentare
4,7 ★ (14.511 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
E fordert seine Ehefrau F auf, mit einer Pistole auf ihn zu schießen. Er versichert F dabei wider besseres Wissen, die Waffe sei nicht geladen. F setzt E die Pistole an die Schläfe und drückt ab. E ist sofort tot.
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Einordnung des Falls
Flinten-Fall (OLG Nürnberg JZ 2003, 745ff. - Fremdgefährdung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. F ist der Tod des E objektiv zuzurechnen.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jonas
31.10.2019, 15:57:28
Hallo! Eine kleine grammatikalische Anmerkung. Im zweiten Satz verstecken sich zwei kleine Fehler („versicher“, „wider besseres Wissen“). Lg
Christian Leupold-Wendling
17.11.2019, 12:33:36
@Jonas, danke für den Hinweis! Den fehlenden Buchstaben haben wir ersetzt. Aber "wider besseres Wissen" ist unseres Erachtens korrekt.
youngirish
18.11.2019, 16:30:32
Ich glaube der Kollege meint, es müsse „wider besseren Wissens“ heißen, wo ich ihm zustimmen würde. :)
Marilena
27.11.2019, 21:44:44
@youngirish @jonas Hallo ihr beiden, ich war mir bei Aufgabenstelung damals selbst unsicher und habe das mal gegoogelt. Wider besseres Wissen/wider besseren Wissens gehört tatsächlich zu den beliebten Fehlern. Die Präposition wider steht synonym zu »gegen« und wird entsprechend mit dem Akkusativ verbunden (und nicht mit dem Genitiv oder Dativ): Es heißt also richtig »wider besseres Wissen«, »wider alles Erwarten«, »wider seinen ausdrücklichen Wunsch«.
Marilena
27.11.2019, 21:45:35
*Aufgabenerstellung
Jose
10.8.2021, 19:21:24
Die F wäre dann aber mangels
Vorsatzstraflos, richtig? Wenn sie nicht wusste, dass die Pistole geladen ist? Hab das auch mit der obj. Zurechnung nicht ganz verstanden. Inwiefern schafft man ein
rechtlich missbilligtes Risiko, wenn man mit einer (vermeintlich) ungeladenen Waffe auf jemanden schießt? Oder vermische ich da obj. und subj. Elemente?
Lukas_Mengestu
25.10.2021, 18:04:27
Hallo Jose, das rechtlich missbilligte Risiko besteht darin, dass sie mit einer echten Waffe auf einen anderen Menschen geschossen hat. Auch wenn ihr gesagt wurde, dass die Waffe ungeladen war, hätte sie sich hiervon insofern selbst vergewissern müssen. Dies galt im Original Fall umso mehr, als ihr Ehemann dort zuvor versciedentliche Andeutungen gemacht hat ("Wieso hast du die Pistole fallen lassen, es hätte sich ein Schuss lösen können". Der BGH hatte insoweit verlangt, dass sie sich zumindest das leere Magazin hätte zeigen lassen müssen. Auch wenn insoweit kein
Vorsatzvorlag, wurde sie dennoch wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Lukas_Mengestu
25.10.2021, 18:06:57
Korrektur: Die Entscheidung fiel im Rahmen einer sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch das OLG Nürnberg (NJW 2003, 454) und nicht durch den BGH.
frausummer
25.10.2021, 12:38:20
Was ist denn mit der überlegenen Wissensstellung des E an dieser Stelle?
Lukas_Mengestu
25.10.2021, 18:12:47
Hallo frausummer, darüber hätte man sicherlich nachdenken können. Das OLG Nürnberg hat aus den Gesamtumständen allerdings die Pflicht der E abgeleitet, sich darüber zu informieren, dass die Waffe ungeladen war. Das hätte sie ohne weiteres durch Vorzeigen des Magazins tun können. Insoweit hat das OLG hier einen dringenden Tatverdacht bzgl. der fahrlässigen Tötung gesehen (bei der Entscheidung handelte es sich um eine sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch die große Strafkammer am Landgericht.). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
J K
1.6.2024, 12:12:07
Nur am Rande: Nur weil das Magazin leer ist, muss das nicht heißen, dass die Waffe nicht geladen ist. Fraglich ist wie viel Sachkenntnis dem Laien bei der "Kontrolle" der Pistole abverlangt werden kann
Snow
20.8.2024, 16:22:38
Zumal die erste Person, die sich darüber versichern sollte, ja wohl er selbst ist. Finde ich auch sehr weit hergeholt bei so ausdrücklicher Anweisung.
WayanMajere
17.12.2024, 09:11:51
Sie ist zumindest nah genug an eine Waffe gekommen, dass sie die absoluten Grundregeln zu beachten hat. Und die absolute Grundregeln im Umgang mit
Schusswaffen ist "Jede Waffe ist als geladen zu behandeln". Es gibt noch zwei Regeln mehr, die das verhindert hätten. Und jeder, der eine Waffe in die Hand nimmt, hat zumindest die Pflicht, diese zu kennen.
Sassun
21.10.2024, 11:46:47
Könnte jemand bitte meine Verwirrung aufklären. Ich hatte in einer Karteikarte notiert, dass es bei der Eigenverantwortlichkeit einen Streit rund um den Maßstab gäbe. e.A.
Exkulpationslehre §§ 20, 35 StGB, § 3 JGG Es wird sich die Frage gestellt, ob das Opfer hypothetisch schuldig wäre, ginge es um die Strafbarkeit eines Selbstschädigungsaktes. Entschuldigungsgründe sind dann §§ 20, 35 StGB; § 3 JGG a.A. Einwilligungslehre Hier wird darauf abgestellt, ob die Selbstschädigung nach Einwilligungsregeln unwirksam wäre weil sie auf wesentlichen Willensmängeln beruht (Täuschung,
Drohung, Irrtum) Ein paar der Jurafuchsfälle hatten zumindest das Irrtumselement angesprochen.
Timurso
21.10.2024, 12:15:07
Diesen Streit gibt es grundsätzlich, aber Vorsicht! Im vorliegenden Fall wurde die Eigenverantwortlichkeit gar nicht thematisiert, sondern nur die Frage, ob eine Selbst- oder
Fremdgefährdungvorliegt. Diese ist von der Eigenverantwortlichkeit unabhängig.
Sassun
23.10.2024, 11:18:58
Hättest du womöglich eine Erklärung, warum der Streit im gesamten Kurs "objektive Zurechnung" nicht angesprochen wurde?
Catheryne
6.11.2024, 22:22:54
Diesen Streit würde ich der Kategorie "Rechtfertigende Einwilligung" zuordnen. Das gehört also nicht in die Zurechenbarkeit (
Tatbestandsmäßigkeit). :)
Sassun
12.12.2024, 19:10:27
Kleines Update: Es gibt den Streit und in der Lösung einer hessischen Originalexamensklausur wurde er über eine halbe Seite ausgeführt, obwohl er nicht einmal angelegt war / etwas am Ergebnis geändert hätte. Warum JF den Streit gar nicht erwähnt, weiß ich aber immer noch nicht. Zur besseren gutachterlichen Einordnung am Beispiel von § 223: I. TB 1. Obj. TB a) Erfolg b) Kaus. c) Obj. Zur. [P]
Eigenverantwortliche Selbstgefährdungaa)
Selbstgefährdung= Opfer Tatherrschaft bb) Eigenverantwortlichkeit [STREIT!] Opfer ist sich Bedeutung der gefährdeten RG bewusst, Maßstab umstritten: e.A. Schuldlösung, s.o. a.A. Einwilligungslösung, s.o. [...]
Juju Ka
27.12.2024, 21:30:47
Die objektive Zurechnung setzt voraus, dass der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im
tatbestandlichen Erfolg realisiert. Hier hat E selbst die Gefahr durch sein Verhalten geschaffen, indem er F täuschend und vorsätzlich in die irrtümliche Annahme versetzte, die Waffe sei nicht geladen, und sie dazu brachte, abzudrücken. Die Tatherrschaft liegt damit bei E, nicht bei F. Natürlich verstehe ich das Argumente, dass sich F versichern hätte müssen das die Waffe ungeladen ist. Folglich ist der Tod des E aber nicht objektiv F zuzurechnen. Oder? LG
Leo Lee
28.12.2024, 19:15:10
Hallo Juju Ka, vielen Dank für diese sehr gute und wichtige Frage! Zunächst mal ist dein Einwand sehr gut verständlich; wenn die Frau dahingehend hinters Licht geführt wird, die Pistole sei etwa nicht geladen. Becahte allerdings, dass die obj. Zurechnung erstmal nur OBJEKTIV - d.h. losgelöst von dem, was der Täter hätte tun müssen (das ist eher eine Frage der Sorgfaltspflicht, die bei der FL wichtig wird) - bewertet wird. Also hat F OBJEKTIV (dass sie SUBJEKTIV was anderes sich vorstellte ist egal) die Gefahr geschaffen, indem sie gedrückt hat. Bei der Tötung etwa (auch bei der KV) wird zudem immer darauf geschaut, wer die zur Tat führende Handlung in den Händen hielt. D.h., selbst wenn ich jemanden Nutze, um mich selbst zu töten, habe ich am Ende keine Tatherrschaft (Ausnahme mittelbare Täterschaft, die hier jedoch nicht zutrifft mangels Strafbarkeit der Selbsttötung). Deshalb liegt die objektive Zurechnung zunächst immer noch bei der F. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger StGB 6. Auflage, Schild/Kretschmer § 25 Rn. 29 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo