Zivilrecht

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Schadensersatzanspruch wegen Augenverletzung durch ein Preisschild? (LG München, Urt. v. 28.05.2024 – 29 O 13848/23)

Schadensersatzanspruch wegen Augenverletzung durch ein Preisschild? (LG München, Urt. v. 28.05.2024 – 29 O 13848/23)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A geht im K-Geschäft shoppen. Beim Anprobieren eines T-Shirts verletzt sie sich so schwer durch ein übliches Preisschild am Auge, dass eine Hornhauttransplantation durchgeführt werden muss. A ist sauer: Das Geschäft hätte ihrer Meinung nach auf Vorhandensein und Gefährlichkeit des Schilds hinweisen müssen.

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Einordnung des Falls

Schadensersatzanspruch wegen Augenverletzung durch ein Preisschild? (LG München, Urt. v. 28.05.2024 – 29 O 13848/23)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A verlangt Schadensersatz vom Geschäftsbetreiber. Könnte ihr ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zustehen?

Genau, so ist das!

Ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB setzt voraus: (1) Schuldverhältnis, (2) Pflichtverletzung, (3) Vertretenmüssen und (4) Schaden. Die Voraussetzungen des § 280 BGB sind absolute Basics, die Du in der Klausur beherrschen musst!
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2. Bestand zwischen A und dem Geschäftsbetreiber eine vertragliche Beziehung?

Nein, das trifft nicht zu!

Eine vertragliche Beziehung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen im Sinne von Angebot und Annahme voraus. A war zwar gerade shoppen, allerdings hatte sie noch keine Willenserklärung, gerichtet auf den Abschluss eines Kaufvertrags (§ 433 BGB), abgegeben. Auch andere Vertragsabschlüsse sind nicht ersichtlich. Eine vertragliche Beziehung zwischen A und dem Geschäftsbetreiber ist folglich nicht zustande gekommen.

3. Allerdings bestand zwischen A und dem Geschäftsbetreiber ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB).

Ja!

Ein vorvertragliches Schuldverhältnis (culpa in contrahendo, § 311 Abs. 2 BGB) entsteht durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1), die Anbahnung eines Vertrags, bei der eine Partei der anderen die Möglichkeit der Einwirkung auf ihre Rechtsgüter und Interessen gewährt (Nr. 2) oder ähnliche geschäftliche Kontakte (Nr. 3). A wollte im K-Geschäft shoppen, sie hat sich also zum Zwecke des Abschlusses eines Kaufvertrages dorthin begeben. Es liegt damit eine Vertragsanbahnung nach § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB vor.

4. Den Geschäftsbetreiber trifft die Pflicht, jegliche Schädigungen von seinen Kunden abzuhalten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Geschäftsbetreiber ist verpflichtet, Kunden vor Gefahren zu schützen, denen sie beim Aufsuchen des Geschäfts ausgesetzt sein können. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (=Verkehrssicherungspflicht). Welche Maßnahmen zur Wahrung der Verkehrssicherungspflicht erforderlich sind, hängt von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls ab. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist nicht erreichbar. Es geht bei der Bemessung der Verkehrssicherungspflicht vielmehr um eine angemessene Risikoverteilung zwischen Sicherungspflichtigen und Nutzer. Der Geschäftsbetreiber hatte die Pflicht, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Verletzungen seiner Kunden abzuwehren.

5. Die konkrete Verkehrssicherungspflicht ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalls. Hätte der Geschäftsbetreiber auf die Preisschilder hinweisen müssen, weil es für Kunden unvorhersehbar ist, dass Kleidungsstücke Preisschilder tragen?

Nein, das trifft nicht zu!

Der konkrete Umfang einer Verkehrssicherungspflicht ist in einer Abwägung im Einzelfall festzustellen. Bei der Beurteilung, ob eine Hinweispflicht auf eine Gefahrenquelle besteht, kann unter anderem miteinbezogen werden, ob die Gefahr der Allgemeinheit bekannt ist oder sie völlig unvorhersehbar ist. LG: Nach § 10 PAngV sind Waren, die Verbrauchern angeboten werden, durch Preisschilder oder Beschriftung der Waren auszuzeichnen. Dementsprechend enthält jedes im deutschen Einzelhandel angebotene Kleidungsstück ein Preisschild. Dies ist den Konsumenten daher im Allgemeinen bekannt. Der Kunde erwartet und benötigt das Preisschild gerade, um sein Gesamturteil über das Kleidungsstück und dessen Preis bilden zu können. A hätte daher in Kenntnis über das Vorhandensein eines Preisschilds bei der Anprobe des T-Shirts selbst dafür Sorge tragen müssen, dass es zu keinen Verletzungen kommt (RdNr. 25). As Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB scheitet daher mangels Pflichtverletzung aus.

6. A hat jedoch einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.

Nein!

Je nach Fallfrage wäre auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu prüfen. Als Verletzungshandlung würde das Unterlassen ausreichender Sicherungsmaßnahmen in Betracht kommen. Ein solches Unterlassen ist nur dann eine tatbestandsmäßige Verletzungshandlung, wenn auch eine entsprechende Verkehrssicherungspflicht bestand und diese verletzt ist. Wie bereits festgestellt, hatte der Geschäftsführer keine Verkehrssicherungspflicht bezüglich der Preisschilder. Daher scheidet ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB ebenfalls aus. A hat keinerlei Ansprüche gegen den Geschäftsbetreiber. In dem Vorfall hat sich lediglich ihr allgemeines Lebensrisiko verwirklicht.
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