Bösgläubigkeit beim Aufschwingen vom Fremd- zum Eigenbesitzer II


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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A verleiht ihren Computer an ihre Freundin B. Als B stirbt, verkauft ihr Erbe E den gesamten Hausrat und verkennt dabei grob fahrlässig, dass der Computer nicht der B gehörte.

Einordnung des Falls

Bösgläubigkeit beim Aufschwingen vom Fremd- zum Eigenbesitzer II

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen A und B bestand von Beginn an eine Vindikationslage.

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Nein, das trifft nicht zu!

Diese setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. Durch die Leihe bestand ein relatives Recht zum Besitz der B aus § 986 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Der Erbe E trat im Wege der Universalsukzession in dieses Rechtsverhältnis ein. Das Besitzrecht entfiel erst mit dem Aufschwingen des E vom Fremd- zum Eigenbesitzer bei dem Verkauf des Computers, da das Besitzrecht auf den Fremdbesitz beschränkt war. Dadurch entstand die Vindikationslage.

2. Es ist umstritten, ob das Aufschwingen vom Fremd- zum Eigenbesitzer einen (neuen) Besitzerwerb nach § 990 Abs. 1 S. 1 BGB darstellt.

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Ja!

Hat der Besitzer bei Besitzerwerb positive Kenntnis von seinem fehlenden Besitzrecht bzw. fahrlässige Unkenntnis, so haftet er nach §§ 990 Abs. 1 S. 1, 989 BGB. Wird der Besitzer dagegen erst nach Besitzerwerb bösgläubig, so haftet er erst ab positiver Kenntniserlangung (§§ 990 Abs. 1 S. 2, 989 BGB). Beim Aufschwingen des Fremdbesitzers zum Eigenbesitzer ist streitig, ob es sich hierbei um einen erstmaligen Besitzerwerb handelt, sodass bereits grobe Fahrlässigkeit zur Haftung führt oder in diesem Fall lediglich positive Kenntnis die Haftung begründet.

3. Stellt man im Hinblick auf den Besitzerwerb auf die tatsächliche Sachherrschaft ab, so hat sich E durch die Veräußerung nach §§ 990 Abs. 1 S. 1, 989 BGB schadensersatzpflichtig gemacht.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Teil der Literatur versteht unter dem Besitzerwerb in § 990 Abs. 1 S. 1 BGB die Erlangung der Sachherrschaft (vgl. § 854 S. 1 BGB). Die bloße Veränderung des Besitzwillens sei dem nicht gleichzustellen. Anderenfalls würde die Wertung des § 990 Abs. 1 S. 2 BGB umgangen, nach der gerade nur die nachträgliche positive Kenntnis von der fehlenden Besitzberechtigung schädlich sei.Auch als Fremdbesitzer hatte E Sachherrschaft. Die Wandlung des Besitzwillens stellt danach keinen neuen Besitzerwerb dar, sodass eine Haftung lediglich bei positiver Kenntnis vom fehlenden Besitzrecht in Betracht käme. Da E lediglich grob fahrlässig verkannte, dass ihm kein Recht zum Verkauf des Computers zustand, scheidet nach dieser Auffassung eine Haftung aus §§ 990, 989 BGB aus.

4. Nach der Rechtsprechung stellt die Umwandlung in Eigenbesitz einen neuen Besitzerwerb dar.

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Ja, in der Tat!

Nach der Rechtsprechung stelle auch die Umwandlung von Fremd- in Eigenbesitz einen neuen Besitzerwerb iSd § 990 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Das liege daran, dass Eigen- und Fremdbesitz ihrem Wesen nach verschieden seien und daher nicht gleichgesetzt werden können.Dies hat zur Konsequenz, dass eine Haftung in diesem Fall nicht nur bei positiver Kenntnis vom fehlenden Besitzrecht (§ 990 Abs. 1 S. 2 BGB), sondern bereits bei fahrlässiger Unkenntnis zum Zeitpunkt der Umwandlung des Besitzwillens in Betracht kommt.

5. Hat A nach der Rspr. einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 990 Abs. 1, 989 BGB gegen E.

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Ja!

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 990 Abs. 1, 989 BGB sind (1) das Vorliegen einer Vindikationslage, (2) Verschlechterung, Untergang oder sonstige Unmöglichkeit der Herausgabe, (3) Bösgläubigkeit des Besitzers, (4) ein Verschulden des Besitzers und (5) ein Schaden beim Eigentümer. Zum Zeitpunkt der Veräußerung bestand eine Vindikationslage. Durch die Veräußerung (§§ 929 S. 1, 932 BGB) des Computers ist die Herausgabe für E unmöglich geworden. Da die Rspr. in der Umwandlung zum unrechtmäßigen Eigenbesitz einen Besitzerwerb sieht, reicht grob fahrlässige Unkenntnis vom fehlenden Besitzrecht für die Haftung aus (§ 990 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Veräußerung erfolgte schuldhaft. Der Eigentumsverlust stellt einen Schaden des A dar.

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DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

8.11.2022, 11:57:58

Warum reicht nach der Methode der Rechtssprechung die grobe Fahrlässigkeit aus?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.11.2022, 13:19:13

Hallo DeliktusMaximus, dies hängt damit zusammen dass § 990 Abs. 1 BGB grobe fahrlässige Unkenntnis des fehlenden Besitzrechts bei Besitzerwerb ausreichend lässt, bei bestehendem Besitz aber eine positive Kenntniserlangung erfolgen muss. Teile der Literatur werten das Aufschwingen des Fremd- zum Eigenbesitzers als einen einheitlichen Besitzakt, sodass positive Kenntnis erforderlich ist. Diese liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung führt das Aufschwingen vom Fremd- zum Eigenbesitzer zu einer neuen Besitzbegründung. Es sind somit die Regeln zum Erwerb des Besitzes aus § 990 Abs. 1 BGB anwendbar, somit reicht auch grob fahrlässige Unkenntnis aus. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Anastasia

Anastasia

25.9.2023, 18:51:21

Weil es in diesem konkreten Streitfall einfach gerechtere Lösung wäre :) Positive Kenntnis zu beweisen, ist außerdem viel schwieriger.

Edward Hopper

Edward Hopper

17.2.2023, 16:22:49

Wann würde E eigenbesitzer? Beim Verkauf oder bei der universalsukzession?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

17.2.2023, 18:06:49

Hallo Edward Hopper, da Eigenbesitz den Willen zum Eigenbesitz erfordert, ist dies ab Kenntnis gegeben. Mit dem Erbfall geht der Besitz auf den Erben über, unabhängig von den Gewahrsamsverhältnissen. Es ist also nicht gleichzusetzen mit Eigenbesitz. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper

Edward Hopper

18.2.2023, 09:42:18

Danke, aber was heißt das für meine Frage? Also ab welchen Zeitpunkt ist der Erbe hier eigenbesitzer?

TI

Timurso

19.2.2023, 16:21:31

Wieso liegt vorliegend überhaupt ein Fall des Aufschwingens vom Fremd- zum Eigenbesitzer vor? E hatte doch nie Fremdbesitz, er ging von Anfang an davon aus, dass er Erbe ist. Oder wird der Fremdbesitz der B hier nach § 857 BGB "vererbt", weshalb ab Zeitpunkt des Todes Fremdbesitz und ab Zeitpunkt der Kenntnis vom Tod Eigenbesitz besteht?

MAR

Marvin

28.4.2023, 09:16:25

E tritt gem. § 1922 BGB in alle Rechte und Pflichten der B ein. Das bedeutet hinsichtlich des Besitzes auch, dass E unmittelbarer Fremdbesitzer des Computers wird. Laut Sachverhalt verkennt er aber grob fahrlässig, dass der Computer der B gar nicht gehörte als er ihn verkauft. In dem Moment wo er ihn zum Verkauf anbietet schwingt er sich zum Eigenbesitzer auf. Der Besitz wandelt sich also um und da setzt der Streit an, ob das spätere Überschreiten des Besitzerwerbs von Fremd- in Eigenbesitz einen neuen Erwerbsakt darstellt und damit grob fahrlässige Kenntnis genügt (Rspr.) oder ob für eine Haftung aus § 990 Abs. 1 S. 2 eine positive Kenntnis erforderlich ist.

LO

Lorenz

1.9.2023, 11:33:58

Müsste es nicht heißen “…bei Umwandlung in Eigenbesitz…” statt in Fremdbesitz? Bei Frage 4 glaube ich.

LELEE

Leo Lee

2.9.2023, 20:04:45

Hallo Lorenz, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben dies nun entsprechend korrigiert :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

JO

Jonas22

25.1.2024, 16:19:21

In dem einen Text steht „busgläubig [sic]“.

LELEE

Leo Lee

27.1.2024, 14:01:51

Hallo Jonas22, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen. Wir haben den Fehler nun korrigiert und danken dir vielmals, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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