Zivilrecht
Sachenrecht
Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
Bösgläubigkeit beim Aufschwingen vom Fremd- zum Eigenbesitzer II
Bösgläubigkeit beim Aufschwingen vom Fremd- zum Eigenbesitzer II
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A verleiht ihren Computer an ihre Freundin B. Als B stirbt, verkauft ihr Erbe E den gesamten Hausrat und verkennt dabei grob fahrlässig, dass der Computer nicht der B gehörte.
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Einordnung des Falls
Bösgläubigkeit beim Aufschwingen vom Fremd- zum Eigenbesitzer II
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Zwischen A und B bestand von Beginn an eine Vindikationslage.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Es ist umstritten, ob das Aufschwingen vom Fremd- zum Eigenbesitzer einen (neuen) Besitzerwerb nach § 990 Abs. 1 S. 1 BGB darstellt.
Ja!
3. Stellt man im Hinblick auf den Besitzerwerb auf die tatsächliche Sachherrschaft ab, so hat sich E durch die Veräußerung nach §§ 990 Abs. 1 S. 1, 989 BGB schadensersatzpflichtig gemacht.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Nach der Rechtsprechung stellt die Umwandlung in Eigenbesitz einen neuen Besitzerwerb dar.
Ja, in der Tat!
5. Hat A nach der Rspr. einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 990 Abs. 1, 989 BGB gegen E.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
DeliktusMaximus
8.11.2022, 11:57:58
Warum reicht nach der Methode der Rechtssprechung die grobe Fahrlässigkeit aus?
Nora Mommsen
11.11.2022, 13:19:13
Hallo DeliktusMaximus, dies hängt damit zusammen dass § 990 Abs. 1 BGB grobe
fahrlässige Unkenntnisdes fehlenden
Besitzrechts bei Besitzerwerb ausreichend lässt, bei bestehendem Besitz aber eine
positive Kenntniserlangung erfolgen muss. Teile der Literatur werten das Aufschwingen des Fremd- zum Eigenbesitzers als einen einheitlichen Besitzakt, sodass
positive Kenntniserforderlich ist. Diese liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung führt das Aufschwingen vom Fremd- zum Eigenbesitzer zu einer neuen Besitzbegründung. Es sind somit die Regeln zum Erwerb des Besitzes aus § 990 Abs. 1 BGB anwendbar, somit reicht auch
grob fahrlässige Unkenntnisaus. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Anastasia
25.9.2023, 18:51:21
Weil es in diesem konkreten Streitfall einfach gerechtere Lösung wäre :)
Positive Kenntniszu beweisen, ist außerdem viel schwieriger.
Edward Hopper
17.2.2023, 16:22:49
Nora Mommsen
17.2.2023, 18:06:49
Hallo Edward Hopper, da Eigenbesitz den Willen zum Eigenbesitz erfordert, ist dies ab Kenntnis gegeben. Mit dem Erbfall geht der Besitz auf den Erben über, unabhängig von den Gewahrsamsverhältnissen. Es ist also nicht gleichzusetzen mit Eigenbesitz. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Edward Hopper
18.2.2023, 09:42:18
Danke, aber was heißt das für meine Frage? Also ab welchen Zeitpunkt ist der Erbe hier eigenbesitzer?
Tobias Krapp
31.10.2024, 11:32:46
Hallo @[Edward Hopper](174080), das ist beim Besitz des Erben etwas speziell. Normalerweise liegt das
Aufschwingen zum Eigenbesitzerzu dem Zeitpunkt vor, in dem der zunächst berechtigte Fremdbesitzer seinen Besitzwillen in Richtung Eigenbesitz ändert. Seinen Besitzwillen ändert E hier ja eigentlich überhaupt nicht, er hat nie B als Oberbesitzerin anerkannt. Beim Erben geht die Besitzlage, wie von Nora geschrieben, aber genauso auf den Erben über, wie sie vor dem Erbfall war, § 857 BGB. Daher kommt es nach hM hier nicht auf die eigene Willensrichtung des Erben an, vgl. MüKoBGB § 857 Rn. 9, BGH Urteil vom 23.09.1953 - VI ZR 313/52. Das heißt, mit dem Erbfall erwirbt der Erbe Fremdbesitz. Daher ist es in solchen Konstellationen mE angebracht, zu dem Zeitpunkt Eigenbesitz anzunehmen, in dem man als Eigenbesitzer auftritt. Das ist hier der Fall in dem Moment, in dem E den Laptop verkauft. Damit hat man dann auch einen Gleichlauf zu den sonstigen Fällen des Aufschwingens, denn dort wäre auch im Zeitpunkt des Verkaufs eine Änderung des Besitzwillens gegeben und damit ein Aufschwingen. Ich hoffe, das hat deine Frage nun geklärt :) Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias
Timurso
19.2.2023, 16:21:31
Wieso liegt vorliegend überhaupt ein Fall des Aufschwingens vom Fremd- zum Eigenbesitzer vor? E hatte doch nie Fremdbesitz, er ging von Anfang an davon aus, dass er Erbe ist. Oder wird der Fremdbesitz der B hier nach § 857 BGB "vererbt", weshalb ab Zeitpunkt des Todes Fremdbesitz und ab Zeitpunkt der Kenntnis vom Tod Eigenbesitz besteht?
Marvin
28.4.2023, 09:16:25
E tritt gem. § 1922 BGB in alle Rechte und Pflichten der B ein. Das bedeutet hinsichtlich des Besitzes auch, dass E unmittelbarer Fremdbesitzer des Computers wird. Laut Sachverhalt verkennt er aber grob fahrlässig, dass der Computer der B gar nicht gehörte als er ihn verkauft. In dem Moment wo er ihn zum Verkauf anbietet schwingt er sich zum Eigenbesitzer auf. Der Besitz wandelt sich also um und da setzt der Streit an, ob das spätere Überschreiten des Besitzerwerbs von Fremd- in Eigenbesitz einen neuen Erwerbsakt darstellt und damit grob fahrlässige Kenntnis genügt (Rspr.) oder ob für eine Haftung aus § 990 Abs. 1 S. 2 eine
positive Kenntniserforderlich ist.
der unerkannt geisteskranke E
15.9.2024, 18:50:33
Dem würde ich widersprechen. Fremdbesitz setzt einen
Fremdbesitzwillevoraus, also ein subjeltives Element. E hat den Besitz gem. § 857 BGB mit dem Tod von B erlangt. Bereits zu diesem Zeitpunkt hat E keinen
Fremdbesitzwille, war also von Anfang an Eigenbesitzer.
HGWrepresent
14.10.2024, 08:54:52
Ich verstehe nicht, wofür es diese Konstruktion ernsthaft benötigt, wenn der Leihvertrag weiter besteht? A hat gegen B einfach einen Anspruch wegen Unmöglichkeit der Leitung (der Rückgabe des Leihguts) und fertig. Wird dann ernsthaft noch das SachenR angewendet?
Marvin
14.10.2024, 09:01:03
Der Leihvertrag hat aber nichts mit der sachenrechtlichen Bewertung zu tun um die es hier geht. Schuldrechtlich ist es denkbar, dass der Erbe auch in die Rechte und Pflichten des Leihvertrags eingetreten ist und hier evtl. schadensersatzpflichtig handelt.
HGWrepresent
15.10.2024, 09:14:39
(Die 987ff sind auch Schuldrecht) Es hat insofern etwas damit zu tun, als dass die Ansprüche aus dem Leihvertrag vorrangig zu prüfen sind. Darüber hinaus ist diese umwegige Konstruktion nicht notwendig, was bei der Prüfung thematisiert werden sollte, oder sehe ich das falsch?
Marvin
15.10.2024, 09:56:14
Das stimmt. Aber es geht doch hier um die Frage nach dem Besitz, oder nicht? Danach entscheidet sich ja auch, ob ein gesetzliches Schuldverhältnis (hier EBV) entsteht.
Tobias Krapp
31.10.2024, 13:16:24
Hallo in die Runde @[Timurso](197555) @[Marvin](74083) @[der
unerkannt geisteskranke E](199982) @[HGWrepresent](149544)! @[Marvin](74083) hat es schon der Sache nach vollkommen richtig ausgeführt, lediglich zu einer Kleinigkeit: Der Übergang des Erben in die Besitzstellung des Erblassers folgt nach ganz hM nicht aus § 1922 BGB, sondern aus § 857 BGB. § 1922 BGB ist nicht einschlägig, da die Gesamtrechtsnachfolge nur Rechte bzw. Rechtsverhältnisse erfasst. Der Erbe rückt also nur in
Besitzrechte ein (wie hier den Leihvertrag), nicht aber in den Besitz selbst, dieser ist nur die tatsächliche (nicht rechtliche) Sachherrschaft und endet denklogisch mit dem Tod. Gerade hier den Übergang der
besitzrechtlichen Stellung des Erblassers auf den Erben zu ermöglichen, ist Normzweck des § 857 BGB. Daraus folgert die hM dann auch, dass nach § 857 BGB die Besitzstellung des Erblassers genauso auf den Erben übergeht, wie sie vor dem Erbfall war. Es kommt deswegen nicht auf die eigene Willensrichtung des Erben an, vgl. MüKoBGB § 857 Rn. 9, BGH Urteil vom 23.09.1953 - VI ZR 313/52. Das heißt, mit dem Erbfall erwirbt der Erbe Fremdbesitz, obwohl er den von @[der
unerkannt geisteskranke E](199982) erwähnten Fremdbesitzerwillen nie aufweist - das ist hier ein Sonderfall. Zu dem von @[HGWrepresent](149544) erwähnten Punkt: Genau so ist es, das ist in der Tat auch ein Argument gegen die Ansicht der Rechtsprechung. Denn auch die Rechtsprechung nimmt hier keine
Sperrwirkung des EBVs auf vertragliche Ansprüche an (sonst würde das ja durchaus einen Unterschied machen, da sich dann der vertraglich gebundene Besitzer durch Aufschwung der vertraglichen Haftung entziehen und sich den für ihn vorteilhafteren §§ 987 ff. BGB unterstellen könnte). Vielmehr geht es hier nur um ergänzende Ansprüche (zu diesem Punkt ausführlich Rodi, Jura 2018, 319-329). Vertragliche und deliktische Haftungsansprüche sind hier, so die hL, ausreichend. Man muss zu diesem Punkt noch hinzusagen, dass der Fall, in dem der BGH die hier besprochene Ansicht des Aufschwungs mit der Anwendung der §§ 987 ff. BGB entwickelte, ein besonderer war, dort bestanden nämlich keine vertraglichen Ansprüche. Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass der BGH das in einem Fall, in dem vertragliche Ansprüche greifen, heute so entscheiden würde. Ich hoffe, das hat alle Restfragen beseitigt! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias
Lorenz
1.9.2023, 11:33:58
Müsste es nicht heißen “…bei Umwandlung in Eigenbesitz…” statt in Fremdbesitz? Bei Frage 4 glaube ich.
Leo Lee
2.9.2023, 20:04:45
Hallo Lorenz, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben dies nun entsprechend korrigiert :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Jonas22
25.1.2024, 16:19:21
In dem einen Text steht „busgläubig [sic]“.
Leo Lee
27.1.2024, 14:01:51
Hallo Jonas22, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen. Wir haben den Fehler nun korrigiert und danken dir vielmals, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
FalkTG
30.10.2024, 13:17:34
Ein SE Anspruch aus §§ 989, 990 BGB setzt ja voraus, dass zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses ein EBV besteht. Wenn erst durch den Verkauf ein EBV begründet wird ist es m.W. nach Auffassung von Alpmann Schmidt zu spät, da das schädigende Ereignis ja zeitgleich stattfindet (und nicht erst danach).
Tobias Krapp
31.10.2024, 12:13:15
Hallo @[
FalkTG](241044), da legst du genau den Finger in die Wunde! Es besteht keine
Vindikationslagevor dem Verkauf. Der BGH hat es hier als ausreichend angesehen, dass schädigendes Ereignis und Begründung der
Vindikationslagezeitlich zusammenfallen. Es gibt zu dem Aufschwingen relativ viele unterschiedliche Ansichten, die Aufgabe hier beschränkt sich auf die zentralen. Eine Ansicht verlangt in der Tat mit dem von dir angeführten Argument, dass §§ 987 ff. BGB nur dann anzuwenden sind, wenn bereits zum Zeitpunkt des Aufschwingens eine
Vindikationslagebestand. Dann bestand also schon von vornherein kein berechtigter Fremdbesitz und es wird quasi nur die Bösgläubigkeit durch § 990 BGB neu bewertet. Ob AS das in ihren Unterlagen so drin hat weiß ich nicht, ich war bei den Kollegen in türkis :) Unabhängig davon, welche Meinung man hier im Detail vertritt, kann man das Argument aber auf jeden Fall noch ergänzend für die hL anführen, die die pauschale Anwendung der §§ 987 ff. BGB beim Aufschwingen ablehnt. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias