Streitpunkt: Erfordernis der Vermögensverfügung

19. April 2025

5 Kommentare

4,8(9.178 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Mitarbeiterin T findet heraus, dass Chefin O mit ihrem Sekretär eine Affäre hat. Unter Androhung dies öffentlich zu machen, fordert sie O auf, ihr € 10.000 zu überreichen. Aus Angst ihren Job zu verlieren, hebt O das Geld ab und gibt es T in bar.

Diesen Fall lösen 81,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Streitpunkt: Erfordernis der Vermögensverfügung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat O mit einem empfindlichen Übel i.S.d. § 253 StGB gedroht.

Genau, so ist das!

Drohung ist das Inaussichtstellen eines Übels, dessen Eintritt der Drohende als von seinem Willen abhängig darstellt.. Empfindlich ist das Übel, wenn die negative Folge geeignet ist, einen besonnenen Menschen in der konkreten Situation zu dem vom Täter erstrebten Verhalten zu bestimmen. T droht mit der Bekanntmachung der Affäre. Dies ist ein Übel dessen Eintritt von ihrem Willen abhängig ist. Affären mit Angestellten, die der eigenen Disziplinargewalt unterliegen, sind verpönt und können auch Compliance-Maßnahmen nach sich ziehen. Daher steht die Karriere der O auf dem Spiel. Auch ein besonnener Mensch wäre bereits dieses Risiko durch die Zahlung eines Geldbetrages abzuwenden; die Summe erscheint in Anbetracht der Karriere angemessen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Verwirklichung der Erpressung eine Vermögensverfügung erforderlich.

Nein, das trifft nicht zu!

Nötigungserfolg ist nach dem Wortlaut der Norm ein Handeln, Dulden oder Unterlassen. Die Frage, ob eine Vermögensverfügung für die Verwirklichung der (räuberischen) Erpressung erforderlich ist, ist höchst umstritten. Der BGH lehnt das Erfordernis einer Vermögensverfügung ab, wohingegen der überwiegende Teil der Literatur eine Vermögensverfügung als erforderlich ansieht. Nimmt man an, dass eine Vermögensverfügung erforderlich ist, dann liegt diese vor, wenn eine Handlung vorgenommen oder unterlassen wird, die unmittelbar zu einer Vermögensminderung führt. Nach Auffassung der Literatur kann die (räuberische) Erpressung damit allenfalls durch Drohung sowie den Einsatz von willensbeugender Gewalt (vis compulsiva) verwirklicht werden. Beim Einsatz von zwingender Gewalt (vis absoluta) scheidet die räuberische Erpressung dagegen stets tatbestandlich aus.

3. Muss der Streit vorliegend entschieden werden?

Nein!

Nach der ständigen Rechtsprechung liegt bei jedwedem Handeln, Dulden oder Unterlassen des Opfers der notwendige Nötigungserfolg vor (=äußeres Erscheinungsbild). Nach der h.L. muss eine Vermögensverfügung vorliegen, wobei die innere Willensrichtung des Opfers entscheidend ist. Glaubt das Opfer, eine Schlüsselposition innezuhaben, also einen unerlässlichen Mitwirkungsakt für den Gewahrsamswechsel leisten zu müssen, liegt bei Vorname dieses Mitwirkungsakts ein Einverständnis vor. Denn das Opfer verfügt dann mit einem „Rest an Freiwilligkeit“ über eigenes Vermögen.O hat infolge der Drohung das Geld übergeben (=äußeres Erscheinungsbild). Auch geschieht dies mit einem Rest an Freiwilligkeit, da T das Geld ohne die Mitwirkung der O nicht hätte erlangen können. Damit liegt sowohl nach der Rechtsprechung als auch der h.L. ein geeigneter Nötigungserfolg vor.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DIAA

Diaa

29.8.2023, 14:10:29

Welche Rolle spielt das Argument hier "Rest an Freiwilligkeit"? Ich verstehe nicht so ganz seine Rolle hier. Ich kenne zur Abgrenzung Raub und räuberische

Erpressung

.

Sambajamba10

Sambajamba10

18.1.2024, 13:43:30

Wenn wir uns den

§ 242

anschauen, dann muss ein Gewahrsamswechsel durch

tatbestandsausschließendes Einverständnis

"freiwillig" erfolgen. Auf diesem Grundsatz kann im Rahmen der §§ 253, 255 nur begrenzt zurückgegriffen werden, da der Täter ja Gewalt gegen eine Person anwendet oder mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht. Insofern sagt die Literatur, dass das Opfer mit einem "Rest an Freiwilligkeit" über sein Vermögen verfügen muss. Der Rest an Freiwilligkeit liegt in der Freiwilligkeit, die das Opfer noch dadurch hat, dass der Täter "nur"

vis compulsiva

und nicht

vis absoluta

(dann

Wegnahme

bzw. Raub) zur

Erpressung

anwendet

Sassun

Sassun

6.2.2025, 11:54:54

Ich habe nie verstanden woraus die Lit. eigentlich das Erfordernis der Freiwilligkeit zieht. Der Begriff der

Vermögensverfügung

erfordert nach den meisten Lehrbüchern / Kommentaren / Urteilen (bis auf den Rengier) dieses Merkmal im Grundsatz nicht. Vielmehr wird die

Vermögensverfügung

üblicherweise so definiert: "Jedes Handeln, dulden oder Unterlassen, dass sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt". Meine Erklärung war bisher, dass die Lit. dieses Merkmal dadurch "konstruiert", dass sie die strukturelle Wesensverwandtschaft zu § 263 und damit zu Selbstschädigungsdelikten herstellt. Um dem Selbstschädigungselement gerecht zu werden, müsste §§ 253, 255 dann demzufolge einen

Vermögensverlust

durch eine freiwillige Willensbetätigung des Opfers voraussetzen. Doch auch diese Erklärung finde ich nur bedingt befriedigend. Schließlich wird beim § 263 idR auch keine Freiwilligkeit geprüft. Vielleicht kann jemand meinen gedanklichen Knoten auflösen :)


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen