Anfechtungsklage – Entbehrlichkeit des Vorverfahrens
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Eigentümer E erhält von der Gemeinde G einen Abrissbescheid für seinen Balkon und seine Garage. E erhebt gegen diesen Bescheid insgesamt Widerspruch, worauf G den Bescheid zurücknimmt. G erlässt daraufhin einen neuen Abrissbescheid, welcher nur noch Es Garage betrifft.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Anfechtungsklage – Entbehrlichkeit des Vorverfahrens
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Das Klagebegehren des E richtet sich gegen den Abrissbescheid. Die Anfechtungsklage ist statthaft. Als Adressat der Verfügung ist E klagebefugt.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage setzt grundsätzlich voraus, dass E den Abrissbescheid in einem Vorverfahren noch einmal überprüfen lässt.
Genau, so ist das!
3. E muss hier vor Klageerhebung erneut ein Vorverfahren (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) erfolglos durchführen, da es sich bei dem Abrissbescheid für seine Garage um einen neuen Verwaltungsakt handelt.
Nein, das trifft nicht zu!
4. E kann geltend machen, durch den Abrissbescheid in einem seiner subjektiv-öffentlichen Rechte verletzt zu sein. Er ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).
Ja, in der Tat!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Hamburger Michel
11.10.2020, 17:19:30
Im Sachverhalt müsste es wieder Widerspruch erheben statt einlegen heißen. 🙂
Christian Leupold-Wendling
12.10.2020, 11:38:13
Korrekt! Heringe werden eingelegt, aber Widersprüche erhoben. Ergibt sich u.a. aus § 69 VwGO. Haben wir korrigiert.
Hamburger Michel
12.10.2020, 12:34:27
Genauso ist es! 😅🐟
ri
4.8.2021, 01:36:52
Immer diese Déjà-vus.
Veterator
6.8.2021, 16:03:13
Der Spruch mit den Heringen ist witzig. Ist Einlegen denn wirklich falsch? In § 70 I S. 2 VwGO ist doch auch von "Einlegung" die Rede. Im Steuerrecht gesellen sich gem. § 357 AO jedenfalls die Einsprüche zu den Heringen. :)
Christian Leupold-Wendling
17.1.2022, 08:21:21
@[Lukas Mengestu](136780)
Lukas_Mengestu
17.1.2022, 10:25:13
Hallo Veterator, Du wirst sicher durch keine Prüfung fallen, wenn Du statt Widerspruch "erheben", Widerspruch "einlegen" schreibst. Auch hast Du insoweit natürlich recht, dass § 70 I 2 VwGO insoweit durchaus nahelegt, dass man auch einen Widerspruch einlegen kann. Die Terminologie der §§ 69, 70 Abs. 1 S. 1,
74 VwGOist indes eine andere, weswegen es genügend Korrektoren gibt, denen es sauer aufstößt, wenn man dies verwechselt (vgl. https://www.klartext-jura.de/2015/11/16/legt-man-widersprueche-wie-heringe-ein/). Um hier also keine unnötige Angriffsfläche zu bieten und sich an der gesetzlichen Terminologie zu orientieren. Deshalb empfehlen wir Dir bei §§ 69 ff. VwGO von "erheben" zu sprechen.
Lukas_Mengestu
17.1.2022, 10:28:12
In anderen Kontexten (z.B. Steuerrecht (§ 357 AO), bzw. bei der Berufung im Zivilprozess (§ 519 Abs. 1 BGB)) spricht das Gesetz dagegen explizit von "einlegen". Auch hier sollte man sich dann an dieser Terminologie orientieren und hier dann nicht von "erheben" sprechen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
s.t.
26.8.2021, 10:29:26
Hallo könntet ihr das evtl. Nochmal erklären wie es in Ländern wie Bayern geprüft wird? Da entfällt der Widetspruch ja nach Art. 15 AgVwGO. Wäre es dort ratsam den Widerspruch anzusprechen?
Wendelin Neubert
26.8.2021, 12:21:51
Hallo s.t., danke für deine Frage! Dieser Fall würde so nicht drankommen in den Bundesländern, in denen das Widerspruchsverfahren für viele Bereiche abgeschafft ist - wie in Bayern (Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO) und NRW (110 Abs. 1 Justizgesetz NRW). Dort den Widerspruch zu prüfen, wäre falsch! Sinnvoll erscheint es, zu schreiben (jetzt für Bayern): „Das Vorverfahren nach
68 VwGOentfällt (Art. 15 Abs. 2 AGVwGO).“ Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
Sniter
14.8.2023, 18:51:12
Hi liebes Jurafuchs-Team, warum wird für die
Klagebefugnissowohl auf die Adressaten- als auch auf die
Möglichkeitstheorierekurriert? Ich dachte die
Adressatentheoriesei vorrangig, sodass man auf die -in ihrem Anwendungsbereich weitere-
Möglichkeitstheoriesowie auf eine
Klagebefugnisaufgrund der Grundrechte nicht mehr Bezug nimmt.
BeepBoop
14.9.2023, 14:01:18
Die
Adressatentheorieist nicht vorrangig gegenüber der
Möglichkeitstheorie, sondern eine Art Ausprägung derselben. Im Grundsatz genügt die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung (=
Möglichkeitstheorie). Die
Adressatentheorieist nichts anderes als die Erkenntnis, dass beim Adressat eines belastenden VA stets die Möglichkeit besteht, dass dieser in seiner allg. Handlungsfreiheit verletzt ist. Die
Adressatentheoriegeht ja ihrerseits als Maßstab von der
Möglichkeitstheorieaus. Es ist also eine Kombination aus beidem. Abgesehen davon ist es auch zulässig, wenn auch nicht zwingend erforderlich, neben der Anwendung der
Adressatentheorienoch auf möglicherweise verletzte Grundrechte einzugehen.