Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Anfechtungsklage – Entbehrlichkeit des Vorverfahrens

Anfechtungsklage – Entbehrlichkeit des Vorverfahrens

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Eigentümer E erhält von der Gemeinde G einen Abrissbescheid für seinen Balkon und seine Garage. E erhebt gegen diesen Bescheid insgesamt Widerspruch, worauf G den Bescheid zurücknimmt. G erlässt daraufhin einen neuen Abrissbescheid, welcher nur noch Es Garage betrifft.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Anfechtungsklage – Entbehrlichkeit des Vorverfahrens

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Klagebegehren des E richtet sich gegen den Abrissbescheid. Die Anfechtungsklage ist statthaft. Als Adressat der Verfügung ist E klagebefugt.

Ja!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO). E begehrt die Aufhebung des Abrissbescheids, der ein Verwaltungsakt ist. Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist statthaft.
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2. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage setzt grundsätzlich voraus, dass E den Abrissbescheid in einem Vorverfahren noch einmal überprüfen lässt.

Genau, so ist das!

Vor Erhebung der Anfechtungsklage muss ein Vorverfahren erfolglos durchgeführt werden (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO), soweit nicht eine Ausnahme vorliegt (§ 68 Abs. 1 S. 2 VwGO). Das Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) ist Zulässigkeitsvoraussetzung. Es beginnt mit Erhebung des Widerspruchs (§ 69 VwGO). Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts eingelegt werden (Widerspruchsfrist) (§ 70 Abs. 1 VwGO). Andernfalls ist die Klage unzulässig.

3. E muss hier vor Klageerhebung erneut ein Vorverfahren (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) erfolglos durchführen, da es sich bei dem Abrissbescheid für seine Garage um einen neuen Verwaltungsakt handelt.

Nein, das trifft nicht zu!

Wird einem Widerspruch in der Weise abgeholfen, dass der mit dem Widerspruch angegriffene Bescheid zunächst insgesamt aufgehoben und sodann teilweise neu erlassen wird, so liegt jedenfalls dann kein eigenständiger Verwaltungsakt (Zweitbescheid) vor, wenn die Sach- und Rechtslage gegenüber dem Erlass des Ursprungsbescheides unverändert war. Ein solcher Änderungsbescheid wird automatisch Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens. Eines erneuten Widerspruchs bedarf es nicht. Andernfalls hätte die Behörde es durch die vollständige Aufhebung der ursprünglichen Verfügung und ihren teilweisen Neuerlass in der Hand, das Erfordernis des Widerspruchsverfahrens endlos aufrechtzuerhalten.

4. E kann geltend machen, durch den Abrissbescheid in einem seiner subjektiv-öffentlichen Rechte verletzt zu sein. Er ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).

Ja, in der Tat!

Die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) beurteilt sich danach, ob der Kläger durch den angegriffenen Verwaltungsakt möglicherweise in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (sog. Möglichkeitstheorie). Ist der Kläger Adressat eines belastenden Verwaltungsakts, ergibt sich die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) auch ohne Sachvortrag aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) (sog. Adressatentheorie). Als Adressat des an ihn gerichteten Abrissbescheids ist E klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Hamburger Michel

Hamburger Michel

11.10.2020, 17:19:30

Im Sachverhalt müsste es wieder Widerspruch erheben statt einlegen heißen. 🙂

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

12.10.2020, 11:38:13

Korrekt! Heringe werden eingelegt, aber Widersprüche erhoben. Ergibt sich u.a. aus § 69 VwGO. Haben wir korrigiert.

Hamburger Michel

Hamburger Michel

12.10.2020, 12:34:27

Genauso ist es! 😅🐟

ri

ri

4.8.2021, 01:36:52

Immer diese Déjà-vus.

Veterator

Veterator

6.8.2021, 16:03:13

Der Spruch mit den Heringen ist witzig. Ist Einlegen denn wirklich falsch? In § 70 I S. 2 VwGO ist doch auch von "Einlegung" die Rede. Im Steuerrecht gesellen sich gem. § 357 AO jedenfalls die Einsprüche zu den Heringen. :)

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

17.1.2022, 08:21:21

@[Lukas Mengestu](136780)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.1.2022, 10:25:13

Hallo Veterator, Du wirst sicher durch keine Prüfung fallen, wenn Du statt Widerspruch "erheben", Widerspruch "einlegen" schreibst. Auch hast Du insoweit natürlich recht, dass § 70 I 2 VwGO insoweit durchaus nahelegt, dass man auch einen Widerspruch einlegen kann. Die Terminologie der §§ 69, 70 Abs. 1 S. 1,

74 VwGO

ist indes eine andere, weswegen es genügend Korrektoren gibt, denen es sauer aufstößt, wenn man dies verwechselt (vgl. https://www.klartext-jura.de/2015/11/16/legt-man-widersprueche-wie-heringe-ein/). Um hier also keine unnötige Angriffsfläche zu bieten und sich an der gesetzlichen Terminologie zu orientieren. Deshalb empfehlen wir Dir bei §§ 69 ff. VwGO von "erheben" zu sprechen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.1.2022, 10:28:12

In anderen Kontexten (z.B. Steuerrecht (§ 357 AO), bzw. bei der Berufung im Zivilprozess (§ 519 Abs. 1 BGB)) spricht das Gesetz dagegen explizit von "einlegen". Auch hier sollte man sich dann an dieser Terminologie orientieren und hier dann nicht von "erheben" sprechen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

S.

s.t.

26.8.2021, 10:29:26

Hallo könntet ihr das evtl. Nochmal erklären wie es in Ländern wie Bayern geprüft wird? Da entfällt der Widetspruch ja nach Art. 15 AgVwGO. Wäre es dort ratsam den Widerspruch anzusprechen?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

26.8.2021, 12:21:51

Hallo s.t., danke für deine Frage! Dieser Fall würde so nicht drankommen in den Bundesländern, in denen das Widerspruchsverfahren für viele Bereiche abgeschafft ist - wie in Bayern (Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO) und NRW (110 Abs. 1 Justizgesetz NRW). Dort den Widerspruch zu prüfen, wäre falsch! Sinnvoll erscheint es, zu schreiben (jetzt für Bayern): „Das Vorverfahren nach

68 VwGO

entfällt (Art. 15 Abs. 2 AGVwGO).“ Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

SN

Sniter

14.8.2023, 18:51:12

Hi liebes Jurafuchs-Team, warum wird für die

Klagebefugnis

sowohl auf die Adressaten- als auch auf die

Möglichkeitstheorie

rekurriert? Ich dachte die

Adressatentheorie

sei vorrangig, sodass man auf die -in ihrem Anwendungsbereich weitere-

Möglichkeitstheorie

sowie auf eine

Klagebefugnis

aufgrund der Grundrechte nicht mehr Bezug nimmt.

BEEPB

BeepBoop

14.9.2023, 14:01:18

Die

Adressatentheorie

ist nicht vorrangig gegenüber der

Möglichkeitstheorie

, sondern eine Art Ausprägung derselben. Im Grundsatz genügt die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung (=

Möglichkeitstheorie

). Die

Adressatentheorie

ist nichts anderes als die Erkenntnis, dass beim Adressat eines belastenden VA stets die Möglichkeit besteht, dass dieser in seiner allg. Handlungsfreiheit verletzt ist. Die

Adressatentheorie

geht ja ihrerseits als Maßstab von der

Möglichkeitstheorie

aus. Es ist also eine Kombination aus beidem. Abgesehen davon ist es auch zulässig, wenn auch nicht zwingend erforderlich, neben der Anwendung der

Adressatentheorie

noch auf möglicherweise verletzte Grundrechte einzugehen.


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