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Klassisches Klausurproblem

A schwimmt im Rhein, als er sieht, wie B sich in Selbstmordabsicht von einer Brücke in den Fluss stürzt. A gelingt es, den B, der noch bei Bewusstsein ist, zu retten. Anschließend fährt A den B mit dem Taxi ins Krankenhaus.

Einordnung des Falls

Verhinderter Selbstmord

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann von B Ersatz für die Taxikosten verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat.

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Genau, so ist das!

Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB ist, dass A (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen, (3) ohne Auftrag oder einer sonstigen Berechtigung geführt hat und die (4) Geschäftsführung berechtigt war.

2. Indem A den B gerettet hat, hat er "ein Geschäft besorgt" (§ 677 BGB)

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Ja, in der Tat!

Eine Geschäftsbesorgung ist wie im Auftragsrecht (§ 662 BGB) weit zu verstehen und umfasst jede fremdnützige tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit, auch von kurzer Dauer.Die Rettungsaktion ist eine tatsächliche (Rettung selbst) und rechtliche (Taxi-Bestellung) Tätigkeit.

3. Die Rettungshandlung des A ist ein "fremdes Geschäft".

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Ja!

Der Geschäftsführer besorgt das Geschäft "für einen anderen" (§ 677 BGB), wenn er das Geschäft jedenfalls nicht nur als eigenes, sondern auch als fremdes Geschäft führt. Ein Geschäft ist objektiv fremd, wenn es äußerlich in den Pflichten-, Rechts-, oder Interessenkreis des anderen fällt. Nach der Rspr. ist der Suizid ein Unglücksfall im Sinne von § 323c StGB. Da § 323c StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt keinen konkreten Normenadressaten nennt und keine spezielle Pflicht auferlegt (sog. abstrakt öffentlich rechtliche Pflicht), liegt ausschließlich ein fremdes Geschäft für den B vor. Nach anderer Ansicht handelt A nicht nur im Interessenkreis des B, sondern wird auch seiner Hilfeleistungspflicht aus § 323c StGB gerecht. Danach soll ein auch-fremdes Geschäft vorliegen.

4. Vorliegend wird der Fremdgeschäftsführungswille des A vermutet.

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Genau, so ist das!

Bei einem objektiv-fremden Geschäft (wie hier) wird der Fremdgeschäftsführungswille (widerleglich) vermutet. Folgt man der Ansicht, die in solchen Fällen ein auch-fremdes Geschäft bejaht, so wird der Fremdgeschäftsführungswille auch hier (widerleglich) vermutet.

5. A hat das Geschäft für B besorgt "ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein" (§ 677 BGB).

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Ja, in der Tat!

Eine Berechtigung zur Rettungsaktion ergibt sich nicht aus § 323c StGB. Die Berechtigung muss nämlich gerade gegenüber dem Geschäftsherrn, also hier dem B bestehen. Die Pflicht aus § 323c StGB besteht aber nur gegenüber der Allgemeinheit. A handelte ohne Auftrag oder sonstiger Berechtigung.

6. Die Geschäftsführung des A war "berechtigt" (§ 683 S. 1 BGB).

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Nein!

Die Geschäftsführung ist berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der wirkliche Wille kann entweder ausdrücklich oder konkludent geäußert werden.Aus dem konkludent geäußertem Willen des B ergibt sich, dass sich B das Leben nehmen will und gerade nicht gerettet werden möchte. Die Geschäftsführung des A war somit nicht berechtigt.

7. Vorliegend ist der wirkliche Wille des B unbeachtlich (analog § 679 BGB):

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Genau, so ist das!

Der wirkliche Wille des Geschäftsherrn kann ausnahmsweise nach §§ 683 S. 2, 679 BGB unbeachtlich sein, wenn: (1) ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, oder (2) eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Geschäftsherrn nicht rechtzeitig erfüllt würde. Auf den Suizid-Fall ist keine der in § 679 BGB genannten Konstellationen direkt anwendbar. Nach hM wird § 679 BGB analog beim Suizidwillen angewendet. § 679 BGB solle entsprechend angewendet werden, wenn der wirkliche Wille gegen ein Gesetz verstößt (§ 134 BGB) oder sittenwidrig (§ 138 BGB) ist. Der Wille des Selbstmörders ist sittenwidrig und verstößt gegen § 138 Abs. 1 BGB.Der Suizidwille des B ist vorliegend analog § 679 BGB unbeachtlich.

8. A kann von B Ersatz für die Taxikosten verlangen (§§ 677, 670, 683 S. 2, 679 BGB).

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Ja, in der Tat!

Nach § 683 S. 2 BGB steht dem Geschäftsführer der Aufwendungsersatzanspruch auch dann zu, wenn in den Fällen des § 679 die Übernahme der Geschäftsführung mit dem Willen des Geschäftsherrn in Widerspruch steht. Aufwendungen sind freiwillige Vermögensopfer, die der Geschäftsführer aus Anlass der Geschäftsführung erbringt.A hat hier den B freiwillig mit dem Taxi ins Krankenhaus gefahren. Er kann von B Ersatz der Taxikosten verlangen (§§ 677, 670, 683 S. 2, 679 BGB).

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Nebenbesitzer einer Fräsmaschine

Nebenbesitzer einer Fräsmaschine

12.8.2020, 15:04:39

Auch nach Recherche im Netz bin ich nicht fündig geworden: wieso verstößt ein Suizid gegen § 138 BGB?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

14.8.2020, 17:59:51

Hallo Nebenbesitzer ;) danke für die gute Frage. Schau dir dazu mal Palandt-Sprau, § 679 Rn. 6 m.w.N. an!

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

14.8.2020, 18:34:43

Die herrschende Ansicht wird aber wohl mit dem ganz neuen Urteil des BVerfG - 2 BvR 2347/15 zur Sterbehilfe, das ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben festsetzt, einigen Gegenwind erfahren. Nach der Gegenansicht, soll eine Berechtigung nur dann in Frage kommen, wenn sich der Selbstmörder nach 104, 105 BGB in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand befindet, bzw. der entgegenstehende Wille nicht ernsthaft ist (Apellselbstmord).

DA

Dankra01

12.2.2022, 02:19:32

Alternativ kann man die Sittenwidrigkeit des Suizids auch sicherlich über den Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden begründen, oder?

JO

jomolino

29.3.2022, 17:07:50

Und ggfs kann man es darauf stützen, dass es für einen nur zufällig vorbeikommenden dritten kaum einschätzbar sein dürfte ob die suizidale Person in freiem Willen oder einem solchen ausschließenden Zustand handelt.

Simon

Simon

17.6.2022, 23:43:22

Mit Blick auf den letzten Beitrag: Ich würde -auch wenn obj. nicht erkennbar ist, ob sich der Suizident in einem Zustand nach §§ 104 Nr. 2, 105 I respektive in einem solchen nach § 105 II befand/befindet- nicht zu einer berechtigten GoA kommen. § 683 S. 1 stellt primär auf den wirklichen (und geäußerten) Willen des GH ab. Begeht jmd. einen Suizidversuch, so bringt er seinen wirklichen Willen entgegen seiner Rettung zum Ausdruck. Dass sich ein obj. Beobachter nicht sicher sein kann, ob dieser Wille wirksam war, ändert nichts daran, dass -iFd tatsächlichen Wirksamkeit- ein entgegenstehender Wille des GH vorlag. Hier geht es mE nicht um eine Auslegung (analog) § 133, vielmehr setzt eine Auslegung eine wirksame rechtsgeschäftsähnliche Handlung (hier: den geäußeren Willen des GH) voraus. Die Auslegung kann eine Wirksamkeit jedoch nicht in eine Unwirksamkeit verwandeln. Freilich bleibt die GoA eine "echte" und stellt damit eine RF des GF dar. Dieser dürfte (wegen § 680) idR auch nicht nach § 678 zum SE verpflichtet sein. Einen Aufwendungsersatz kann er hingegen nicht verlangen. Das Risiko, entgegen dem wirklichen Willen des GH zu handeln weist § 683 mit Blick auf den Aufwendungsersatz dem GF zu.

N0

n00b

28.8.2022, 11:56:22

Ihr solltet sen Begriff "Selbstmord" durch Suizid ersetzen. Kein Mensch suizidiert sich selbst Heimtückisch usw. finde das eher umgangssprachlich. Selbstmörder = Suizident

CA

Carl

11.12.2020, 19:05:43

Ist das auch nach der BVerfG Entscheidung zu § 217 StGB noch so?

w.laura.l

w.laura.l

14.12.2021, 20:41:14

Würde mich auch interessieren. M.E. ist heute schwer vertretbar, dass der ernsthafte Wille zum Bilanzsuizid sittenwidrig sein soll. Zumal für § 679 BGB keine sittlichen Pflichten ausreichen sollen und über die Analogie diese Überlegung einfach ausgehebelt wird. Wenn ich mich recht erinnere, ist das Problem im Wandt recht gut erklärt.

Edward Hopper

Edward Hopper

27.7.2022, 21:52:28

Erinnert so ein bisschen an den animationsfilm The Incredibles. Da hat auch das Opfer den Retter verklagt. Spaß bei Seite, finde das sehr kritisch. Hier wird die Menschenwürde tangiert, wenn man sagt dass suizif sittenwidrig sei.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.7.2022, 20:03:20

Hallo Edward, die Themen Suizid und Sterbehilfe sind in der Tat recht kontrovers, weswegen die pauschalierende Lösung der hM hier in der Tat etwas verwundern kann. Aus diesem Grund gibt es auch Ansätze, die hier einen differenzierteren Blick wählen und zB zwischen dem Appellsuizid und dem Bilanzsuizid unterscheiden. Während es im ersteren Fall dem Suizident gerade um seine Rettung geht (Stichwort: Aufmerksamkeit), so ist der Suizident im letzteren Fall voll Geschäftsfähig und der Wunsch zu sterben entspricht seiner autonomen Entscheidung. Nach diesem differenzierteren Ansatz wäre ein Aufwendungsersatzanspruch aus berechtigter GoA deshalb zu versagen, da der entgegenstehende Wille nicht ohne weiteres als unbeachtlich deklariert werden kann (mehr dazu: MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 683 Rn. 22). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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