Besteller macht nach Reparatur seines Fahrzeugs mit dem Werkunternehmer auf dem Beifahrersitz eine Probefahrt


mittel

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B gibt seinen Audi A6 zur Reparatur bei Werkunternehmer W ab. Nach der Reparatur macht B zur Vorbereitung der Abnahme eine Probefahrt. W sitzt dabei auf dem Beifahrersitz.

Einordnung des Falls

Besteller macht nach Reparatur seines Fahrzeugs mit dem Werkunternehmer auf dem Beifahrersitz eine Probefahrt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem B den Pkw dem W zur Reparatur überlässt, erwirbt W unmittelbaren Besitz daran (§ 854 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) ist die (1) von einem Besitzwillen getragene (2) tatsächliche Sachherrschaft einer Person über eine Sache. In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung ab. Für die Besitzverhältnisse an einem Kraftfahrzeug kommt es in der Regel darauf an, wer die tatsächliche Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüssel ausübt.Vorliegend musste B dem W die Fahrzeugschlüssel zum Zwecke der Reparatur übergeben, sodass dieser die tatsächliche Gewalt hatte und zum unmittelbaren Besitzer des Pkw wurde.

2. Indem W dem B den Schlüssel zur Probefahrt übergibt, erwirbt B wieder unmittelbaren Besitz an dem Pkw.

Nein!

BGH: Eine Probefahrt sei in der Regel nur auf eine kurze Dauer angelegt. Jedenfalls wenn der Werkunternehmer an der Probefahrt teilnimmt, werde er seiner Einwirkungsmöglichkeit auf das Fahrzeug nicht in dem Maße verlustig, dass von einer Besitzaufgabe ausgegangen werden könnte. Vielmehr trete eine bloße Besitzlockerung ein. Der ununterbrochen anwesende Werkunternehmer verbleibe in enger räumlicher Beziehung zum Kfz und gebe seine Kontrolle nicht vollständig auf. Bei lebensnaher Betrachtung könne angenommen werden, dass der Werkunternehmer an einer Probefahrt des Bestellers (auch) deshalb teilnimmt, um eine Entfernung des Fahrzeugs ohne vorhergehende Entrichtung des Werklohns zu verhindern (RdNr. 19ff.).

3. Indem B den Pkw dem W zur Reparatur überlässt, verliert B jeglichen Besitz daran.

Nein, das ist nicht der Fall!

B hat seinen unmittelbaren Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) verloren, als er den Wagen zur Reparatur abgegeben hat. Er ist jedoch MITTELBARER Besitzer (§ 868 BGB) geblieben. Mittelbarer Besitz setzt voraus: (1) ein tatsächliches/vermeintliches Besitzmittlungsverhältnis, (2) Fremdbesitzwillen des unmittelbaren Besitzers und (3) einen Herausgabeanspruch des mittelbaren gegen den unmittelbaren Besitzer. Als Besitzmittlungsverhältnis kommt jedes Rechtsverhältnis in Betracht, das dem Besitzmittler Herausgabe- oder Sorgfaltspflichten bzgl. der Sache auferlegt.B und W haben einen Werkvertrag (§ 631 BGB) geschlossen. W erkennt als Unterbesitzer den B als Oberbesitzer mit stärkerer Rechtsstellung an. Und B hat einen Herausgabeanspruch gegen W.

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FUL

Fulvius

24.4.2020, 03:05:30

Die Linie der Rechtssprechung folgt stets den fleißigen Werkunternehmern.

TJU

Tr(u)mpeltier junior

30.12.2020, 23:55:39

Dagegen scheint er Autoverkäufer weniger zu mögen, vgl BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19. In diesem Fall hat der BGH jüngst entschieden, dass bei der Übergabe eines Wagens an einen Kaufinteressenten, dieser unmittelbaren Besitz erlange. In der Folge konnte ein Dritter gutgläubig Eigentum hieran erwerben und es lag kein abhandenkommen nach 935 bgb vor.

Ira

Ira

7.1.2021, 23:57:50

Ist das nicht zu unterscheiden? Im vorliegenden Fall ging es um den Werkunternehmer, der dem Besteller den Autoschlüssel für eine Probefahrt überlässt. Im jüngst entschiedenen Fall des BGH um den Verkauf eines Neuwagens..

TJU

Tr(u)mpeltier junior

8.1.2021, 00:14:14

Ich gebe dir absolut recht, dass es da Unterschiede gibt :) Der Kommentar war auch eher als scherzhafte Antwort gemeint. Allerdings würde ich die Fälle nicht deshalb unterscheiden, dass einmal ein werkunternehmer und ein anderes Mal ein Verkäufer die Autoschlüssel übergibt. Im Unterschied zu dem hier besprochenen Fall hat der Verkäufer den Interessenten nicht begleitet, sondern ihn einfach alleine wegfahren lassen. Darin besteht nach mE der zentrale Unterschied, da darin die völlige Aufgabe des unmittelbaren Besitzes liegt.

Ira

Ira

8.1.2021, 02:50:14

Ich gebe Dir Recht.. beim zweiten Mal Lesen, verstehe ich Dein Kommentar auch so :-) Vielen Dank für die weitere Anmerkung, sehr hilfreich..

Jan_T 🎓

Jan_T 🎓

10.2.2021, 00:59:21

In der vorherigen Frage war noch die Rede davon, dass die Herrschaft über den Fahrzeugschlüssel der entscheidende Punkt ist. Bun hat B ja den Schlüssel in der Hand. Wieso ist das trotzdem nur eine Besitzlockerung bei W?

Vulpes

Vulpes

16.2.2021, 09:18:13

Ich würde sagen wegen der Verkehrsanschauung: Wenn der B als Kunde dem W die Schlüssel gibt würde man nacg der Verkehrsanschauung erkennen, dass er sich mit W über den Übergang des Besitzes einigt, damit dieser das Auto reparieren kann. Umgekehrt hat W aber ein Werkunternehmerpfandrecht, das erlischt, wenn der B schon bei der Probefahrt den Besitz zurückerhält. Während dieser Fahrt kann der W noch unmittelbar auf die Sache einwirken und Sachherrschaft ausüben (vgl. etwa auch Paralellen mit der Gewahrsamslockerung des Autohändlers bei einer Probefahrt im Strafrecht). Die Verkehrsanschauung müsste erkennen, dass der W sein Pfandrecht zur Sicherung seiner Forderung nicht erlöschen lassen , sondern erst vergewissern will, dass B zufrieden mit seiner Leistung ist und ihm anschliessend den...

Vulpes

Vulpes

16.2.2021, 09:22:51

Preis zahlt. Erst danach würde der Besitz nach der Verkehrsanschauung von W an B übergehen, was nach aussen durch die Übergabe des Schlüssels deutlich wird. Schliesslich hat W nach Leistung der Forderung keinen Grund mehr den Besitz am Auto zu halten und somit keinen natürlichen Besitzwillen mehr.

HEUZ

Heuzi

14.2.2024, 11:53:17

m.E. wird der Fall erst dadurch lehrreich, wenn man die pfandrechtlichen Rechtsfolgen betrachtet. Denn sofern der Besteller den unmittelbaren Besitz erlangt hätte, würde das Unternehmerpfandrecht (§ 647 BGB) gem. § 1257 i.V.m. § 1253 Abs. 1 Satz 1 BGB erlöschen. Das stellt der BGH auch im Urteil deutlich heraus.


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