Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens - Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage?

Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens - Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage?

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B wird per Bescheid verpflichtet, einen rechtswidrigen Anbau zu beseitigen. B unternimmt nichts, der Bescheid wird bestandskräftig. Später fordert B die Behörde auf, den Fall wegen neuer Sachlage zu überprüfen. Die Behörde lehnt dies unter Verweis auf den ursprünglichen Bescheid ab.

Diesen Fall lösen 86,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens - Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da die Erklärung, den Fall nicht erneut zu prüfen, lediglich die Regelungswirkung des ursprünglichen Bescheids wiederholt, fehlt ihr der Regelungscharakter.

Nein!

Eine hoheitliche Maßnahme hat Regelungscharakter, wenn sie darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge unmittelbar herbeizuführen. Die Behörde verweist nicht lediglich ohne erneute Sachentscheidung auf einen unanfechtbaren Verwaltungsakt (wiederholende Verfügung). Sie lehnt konkludent den Antrag des B auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wegen neuer Sachlage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) ab. Die Ablehnung beinhaltet die Feststellung, dass die Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens nicht erfüllt sind. Sie hat verfahrensbezogenen Regelungsgehalt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Ablehnung der Behörde könnte ein Verwaltungsakt sein (§ 35 S. 1 VwVfG). Liegt eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts vor?

Genau, so ist das!

Eine Behörde ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (§ 1 Abs. 4 VwVfG). Laut Sachverhalt hat eine Behörde gehandelt. Eine hoheitliche Maßnahme ist jedes einseitig diktierende Handeln. Keine hoheitliche Maßnahme liegt vor bei privatrechtlichem Handeln der Behörde und bei Verwaltungsverträgen. Die Ablehnung der Behörde, den Fall ungeachtet möglicherweise neuer Sachlage erneut zu prüfen, ist demnach eine hoheitliche Maßnahme. Jede hoheitliche Maßnahme ergeht dabei auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts; dieses Merkmal ist somit im Merkmal der hoheitlichen Maßnahme enthalten.

3. Der Bescheid müsste weiterhin Regelungswirkung entfalten.

Ja, in der Tat!

Eine hoheitliche Maßnahme hat Regelungscharakter, wenn sie darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge unmittelbar herbeizuführen. Wiederholt die Behörde lediglich den Inhalt eines früher erlassenen Verwaltungsakt, ohne eine erneute Sachprüfung vorgenommen zu haben, liegt in aller Regel keine neue Regelung und damit kein neuer Verwaltungsakt vor. Davon abzugrenzen ist der Fall, dass die Behörde zwar keine erneute Sachprüfung vornimmt, aber einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 VwVfG) ablehnt. Hier verweist die Behörde zwar i.d.R. zur Begründung inhaltlich auf den früheren Verwaltungsakt, sie trifft aber zusätzlich die (verfahrensrechtliche) Regelung, dass das Verfahren nicht wiederaufgenommen wird.

4. B will nicht nur gegen die Ablehnung vorgehen, sondern eine neue Sachentscheidung erreichen (vgl. § 88 VwGO). Wäre daher die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft?

Nein, das ist nicht der Fall!

Lehnt die Behörde einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ab, ist die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft, mit dem Ziel, die Behörde zum Wiederaufgreifen, und damit zur erneuten Entscheidung in der Sache, zu verpflichten. Begehrt der Kläger im Ergebnis den Erlass eines gebundenen Verwaltungsakts, so kann er die Klage nach Ansicht des BVerwG sogar unmittelbar auf Erlass dieses materiellen Zweitbescheid richten. B begehrt eine neue sachliche Entscheidung (= Erlass eines Verwaltungsakts). Statthaft ist nicht die Anfechtung der Ablehnung, sondern die Verpflichtungsklage auf Erlass der begehrten Entscheidung (bei gebundenem Verwaltungsakt) oder Verpflichtung der Behörde zur erneuten (ermessensfehlerfreien) Entscheidung in der Sache.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

7.3.2020, 16:30:59

Die Antwort auf die letzte Frage kann ich nicht nachvollziehen.

FAGEB

Falk Gebhardt

14.3.2020, 21:59:18

Anders als im vorherigen Fall ist der Inhalt des Schreibens keine bloße Wiederholung des Erstbescheids sondern legt fest, dass trotzt veränderter Sachlage am VA festgehalten wird.

Isabell

Isabell

24.3.2020, 20:13:33

Ich werde beim Wiederholen nochmal genau auf die Unterschiede achten. Danke 🤗

PAT

Patrick4219

3.7.2024, 10:13:55

Auch wenn der Beitrag etwas älter ist möchte ich ihn kochmal aufgreifen, da auch ich zunächst die Abgrebzung nicht verstanden habe. Wenn die Behörde einen Verwaltungsakt erlassen hat und daraufhin eine Eingabe des Bürgers mit Bitte um nochmalige Prüfung erfolgt, muss die Behörde diesen i.d.R. auslegen. Hierzu gibt es drei Möglichkeiten: 1. Widerspruch §§ 68 ff. VwGO: Dieser ist immer dann anzunehmen, wenn ein Widerspruch (noch) zulässig ist. Grund hierfür ost der Grundsatz effektiven Rechtschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. 2. Wiederaufgreifen des Verfahrens § 51 VwVfG: Die Eingabe ist immer dann als Antrag nach § 51 VwVfG auszulegen, wenn dieser zulässig wäre. Bringt der Bürger bspw. eine Änderung der Sach-/Rechtslage oder neue Beweise vor, so ist von einem Antrag auf Wiederaufgreifen auszugehen. Auch dies folgt aus dem Grundsatz des effektiven Rechtschutzes. Eine Ablehnung des Antrags nach § 51 VwVfG stellt einen VA dar, sodass der Bürger hiergegen wieder Rechtsmittel einlegen kann. 3. Gegenvorstellung (abgeleitet aus dem Petitionsrecht): Die Gegenvorstellung ist die schwächste Form der Eingabe des Bürgers, da es sich hierbei um einen formlosen Rechtsbehelf handelt. Sie liegt immer dann vor, wenn weder Widerspruch noch Antrag nach § 51 VwVfG zulässig sind, also wenn lediglich eine allgemeine Unzufriedenheit mit der behördlichen Entscheidung kundgetan wird ohne neuen Sachverhalt oder neue Beweismittel anzubieten. Die Entscheidung über die Gegenvorstellung ist regelmäßig nicht als VA zu qualifizieren, da dieser die Außenwirkung fehlt. Die Gegenvorstellung führt nur zu einer internen Überprüfung. Sie kann daher nicht mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Ich hoffe, dass die Ausführungen vielleicht etwas mehr Licht ins Dunkel bringen :)

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

13.11.2022, 21:56:46

Ich stehe gerade auf dem Schlauch: Wenn der B will, dass die Behörde erneut prüft, dann würde ich sein kläg. Begehren eher auf

ermessensfehler

freie Bescheidung über erneute Sachprüfung sehen. Die bloße Beseitigung der Ablehnung hilft ihm da freilich wenig, also würde ich ehrr die Versagungsgegenklage statthaft sehen

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.8.2024, 10:41:37

Hallo @[Rick-energie🦦](174760), danke für die Nachfrage. Du hast Recht: Lehnt die Behörde einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG ab, so ist eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel, die Behörde zum Wiederaufgreifen als solchem zu verpflichten, zu erheben. Bei gebundenen Entscheidungen ist nach Ansicht des BVerwG die Klage sogar unmittelbar auf den Erlass des materiellen

Zweitbescheid

s zu richten. Siehe hierzu und zu weiteren Rechtsschutzkonstellationen in diesem Zusammenhang: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage 2023, RdNr. 68ff. Die Aufgabe ist entsprechend überarbeitet. Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

B333

b333

2.1.2024, 08:03:45

Muss die Behörde die Ablehnung nicht in irgendeiner Form begründen? Ich finde es etwas merkwürdig, dass die Ablehnung, konkludent die Feststellung enthält, die Voraussetzungen des Wiederaufgreifens des Verfahrens seien nicht erfüllt. Immerhin hat die Behörde (mangels Sachverhaltsangaben) die Sachlage nicht konkret überprüft, sondern lediglich den Antrag abgelehnt und auf den ursprünglichen VA verwiesen.

MI

Mindhunter

13.8.2024, 09:51:44

Hallo, ist es nicht genauer hier zu sagen, dass eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage vorliegt?


© Jurafuchs 2024