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Kriminalpolitisch fragwürdige Abgrenzung: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr oder doch nur Sachbeschädigung – Jurafuchs

Kriminalpolitisch fragwürdige Abgrenzung: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr oder doch nur Sachbeschädigung – Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration: T wirft einen kleinen Stein von einer Brücke auf ein fahrendes Auto.

T wirft von einer Autobahnbrücke Steinchen auf das fahrende Auto des O. Er hält es aufgrund der Steingröße nicht für möglich, dass die Frontscheibe zersplittern oder O die Kontrolle über das Auto verlieren könnte. T trifft, wie gewollt, nur das Autodach und verursacht einen erheblichen Sachschaden. O fährt uneingeschränkt weiter.

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Einordnung des Falls

Kriminalpolitisch fragwürdige Abgrenzung: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr oder doch nur Sachbeschädigung – Jurafuchs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte T sich wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht haben, indem er die Schottersteine von der Autobahnbrücke auf das Auto des O warf (§ 315b Abs. 1 Nr. 1, 3 StGB)?

Ja, in der Tat!

§ 315b StGB ist ein konkretes Gefährdungsdelikt , das sowohl die Sicherheit des Straßenverkehrs, als auch die Individualrechtsgüter Leib und Leben, sowie fremde Sachen von bedeutendem Wert schützen soll. Voraussetzung ist ein (1) Eingriff (Nr. 1-3), der (2) für die Sicherheit des Straßenverkehrs abstrakt gefährlich ist und zu einer (3) konkreten Gefährdung eines der geschützten Rechtsgüter führt. In der Systematik der Straßenverkehrsdelikte soll §315b StGB zuvorderst verkehrsfremde Eingriffe kriminalisieren. Inneineingriffe werden nach h.M. nur bei sog. Pervertierung des Straßenverkehrs für verkehrsfremde Zwecke umfasst.
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2. Hat er ein Fahrzeug beschädigt, indem T die Schottersteine auf das Auto warf (§ 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB)?

Ja!

Beschädigung ist jede Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre stoffliche Unversehrtheit nicht unerheblich verletzt wird (Substanzverletzung) oder ihre Brauchbarkeit nicht unerheblich beeinträchtigt wird (Brauchbarkeitsminderung). Durch das Auftreffen der Steine auf das Autodach hat T einen erheblichen Sachschaden hervorgerufen (Substanzverletzung). Für die Beschädigung ist es irrelevant, dass dies auf die Fahrtauglichkeit des Autos keinen Einfluss hat.

3. Hat T durch das Werfen der Steine auf das Autodach einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr vorgenommen (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB)?

Genau, so ist das!

Der ähnliche, ebenso gefährliche Eingriff umfasst alle Eingriffe in den Straßenverkehr, die unmittelbar auf einen Verkehrsvorgang einwirken und ihrer Intensität und Gefährlichkeit den Tatmodalitäten in Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 1 Nr. 2 gleichwertig sind.. Das Werfen der Schottersteine auf das fahrende Auto ist eine unmittelbare Einwirkung auf den Verkehrsvorgang, die eine den übrigen Tatmodalitäten ähnliche Gefahr inne hat.

4. T hat durch das Werfen der Steine die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt (§ 315b Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Alle Tatmodalitäten des § 315b Abs. 1 Nr. 1-3 StGB müssen zunächst abstrakt dazu geeignet sein, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu beeinträchtigen. Dies ist der Fall, wenn der Eingriff sich störend auf Verkehrsvorgänge auswirken kann und so zu einer Steigerung der allgemeinen Verkehrsgefahr führt. Auch kleine Steine sind zumindest abstrakt dazu geeignet, erhebliche Schäden an dem Auto hervorzurufen und den Fahrer abzulenken, sodass T durch das Werfen der Steine die normale Verkehrsgefahr erhöht hat.

5. Genügt für den Taterfolg des § 315b Abs. 1 StGB jeglicher Schadens- oder Gefahreneintritt?

Nein!

Die Tathandlung muss nicht nur irgendeine, sondern den Eintritt einer verkehrsspezifischen Gefahr bewirken. Das heißt, dass die eingetretene Gefahr zumindest auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen sein muss.

6. Kam es infolge des Steinwurfs zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben des O (§ 315b Abs. 1 Hs. 2 StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die verkehrsspezifische Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen liegt vor, wenn es durch die Tathandlung zu einem Beinahe-Unfall kommt. Rückblickend betrachtet, hing die Gefahrverwirklichung nur noch vom Zufall ab, ein unbeteiligter Beobachter würde sagen, dass „das gerade noch einmal gut gegangen ist“. Der O konnte trotz des Aufpralls der Steine unbeeinträchtigt weiterfahren, sodass es in der Folgendes Steinwurfs nicht zu einer kritischen Verkehrssituation kam.

7. Hat T infolge des Steinwurfs eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet (§ 315b Abs. 1 Hs. 2 StGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Führt die Tathandlung unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung, liegt eine verkehrsspezifische Gefahr nur vor, wenn die Gefahrverwirklichung auf die besondere Dynamik eines fahrenden Fahrzeuges zurückzuführen ist. Der Schaden ist hier nicht auf die Fortbewegungskraft des Autos zurückzuführen. Die Steine kommen von oben, sodass es keinen Unterscheid zu einer Sachbeschädigung an einem abgestellten Auto gibt. Der BGH hat in anderen Fällen, in denen der Täter Gegenstände von einer Autobahnbrücke wirft, eine verkehrsspezifische Gefahr bejaht. Der Unterschied liegt hier darin, dass T nicht die Frontscheibe sondern, wie von ihm gewollt, nur das Dach trifft. Dadurch spielt die Eigendynamik des Fahrzeuges keine Rolle für den Schadenseintritt.

8. Hat T den Qualifikationstatbestand der absichtlichen Herbeiführung eines Unglücksfalles verwirklicht (§ 315b Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB)?

Nein!

Der BGH hat sich zum Qualifikationstatbestand geäußert, obwohl das Grunddelikt schon nicht vorlag. In einer Klausur müsstest Du die Qualifikation nur bei Verwirklichung des Grunddelikts prüfen. Der Qualifikationstatbestand liegt vor, wenn der Täter mit zielgerichtetem Willen handelt, durch die von ihm bewirkte Gefahrverwirklichung einen Unglücksfall herbeizuführen. Notwendig ist, dass sich nach der Vorstellung des Täters eine verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht (RdNr. 18 f.). Der vorgestellte Schaden am Dach sollte nicht auf die für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen sein, sondern auf den Steinwurf. Er unterscheidet sich insofern nicht von einer Sachbeschädigung eines abgestellten Fahrzeugs. Auch wenn T absichtlich hinsichtlich der Sachbeschädigung handelte, so fehlt es an der verkehrsspezifischen Gefahr.

9. Hat T sich zumindest wegen Sachbeschädigung strafbar gemacht, indem er die Schottersteine auf das Autodach fallen ließ (§ 303 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Der objektive Tatbestand der Sachbeschädigung ist erfüllt, wenn der Täter eine fremde Sache beschädigt oder zerstört. Eine Beschädigung ist jede Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre stoffliche Unversehrtheit nicht unerheblich verletzt wird (Substanzverletzung) oder ihre Brauchbarkeit nicht unerheblich beeinträchtigt wird (Brauchbarkeitsminderung). T hat einen erheblichen Sachschaden an dem Autodach hervorgerufen (Substanzverletzung). Für die Beschädigung ist es irrelevant, dass dies auf die Fahrtauglichkeit des Autos keinen Einfluss hat. Dies geschah auch vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
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