Referendariat
Die StA-Klausur im Assessorexamen
Das materielle Gutachten
Systematik: Beweisverwertungsverbot bei Fehlern im Ermittlungsverfahren (Abwägungslehre)
Systematik: Beweisverwertungsverbot bei Fehlern im Ermittlungsverfahren (Abwägungslehre)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V wird vorgeworfen, ihren Schwiegervater angefahren zu haben. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung wird sie ohne Belehrung befragt und lässt sich dabei geständig ein. Als sie in der Hauptverhandlung ordnungsgemäß belehrt wird, macht sie von ihrem Schweigerecht Gebrauch.
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Einordnung des Falls
Systematik: Beweisverwertungsverbot bei Fehlern im Ermittlungsverfahren (Abwägungslehre)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Grundsätzlich können Angaben eines Beschuldigten im Ermittlungsverfahren auch dann im Prozess verwendet werden, wenn er sich dort auf sein Schweigerecht beruft (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO)?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Erfolgte die Beweisgewinnung im Ermittlungsverfahren gegen V rechtmäßig (§§ 163a Abs. 4 S. 1, 2, 136 Abs. 1 S. 2-6 StPO)?
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Führt eine rechtswidrige Beweiserhebung stets dazu, dass die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung unverwertbar sind (=Beweisverwertungsverbot)?
Nein, das trifft nicht zu!
4. Dient die Belehrung über das Schweigerecht dem Schutz des Beschuldigten (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO)?
Ja!
5. Führt der Verstoß im Ermittlungsverfahren in der Abwägung auch zu einem Beweisverwertungsverbot (§§ 163a Abs. 4 S. 1, 136 Abs. 1 S. 2 StPO)?
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Faby
24.3.2024, 18:59:09
In der Lerneinheit davor (Aussage des Beschuldigten erlangt durch Folter) wurde geschrieben, dass die Aussage eines Beschuldigten gegenüber der Polizei nicht verwendet werden darf, wenn der Beschuldigte seine Aussage widerruft oder in der Hauptverhandlung schweigt. In der Aufgabe hier dagegen wird gesagt, dass die Angaben verwertbar bleiben, selbst wenn der Beschuldigte seine Meinung ändert. Übersehe ich etwas oder werden in den beiden Lerneinheiten jeweils gegensätzliche Aussagen gemacht? :)
UmarHadel
10.4.2024, 23:54:33
Gemeint ist in der vorherigen Aufgabe, dass die geständige Einlassung über den Umweg der Vernehmung der Verhörsperson (als
Zeugen vom Hörensagen) eingeführt werden kann. Dies hat eine beschränkte Beweiskraft, kann jedoch verwertet werden. Die geständige Einlassung selbst (also das Protokoll davon) kann nur in sehr engen Grenzen eingeführt werden (z.B § 254 I StPO bei einer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter). Dies hat dann eine hohe Beweiskraft. Hier in der Aufgabe ging es darum ob ein umfassendes Verwertungsverbot besteht. In dem Fall könnte man auch nicht die Verhörsperson hören. Ich glaube die Aufgaben wurden so aufgespalten um die Unterschiede zu der Verwertbarkeit von Zeugenaussagen (insb. §
252 StPO) aufzuzeigen. > dort ist es ja so wenn vorprozessual Aussage und im Prozess Verweigerung z.B. § 52 StPO, dann keinerlei Verwertung. > Ausnahmen dort nur : wenn
richterliche Vernehmung, dann Richter als Vernehmungsperson (nicht Protokoll) > & wenn mit Einführen der Aussage einverstanden obwohl selbst nichts sagen will
Con
10.10.2024, 12:04:25
Da ich denselben Fehler gemacht habe, habe ich mir beide Aufgaben noch einmal genauer angesehen: Frage im ersten Fall: Wenn die Beschuldigte im Prozess schweigt, darf die zuvor in einer polizeilichen Vernehmung abgegebene geständige Einlassung verlesen werden (§ 254 StPO)? Antwort: Nein, das ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des § 254 Abs. 1 StPO. In der weiteren Erörterung wird dann auf die Möglichkeit eingegangen, einen Zeugen von
Hörensagenzu hören. Frage im aktuellen Fall: Können grundsätzlich Angaben eines Beschuldigten im Ermittlungsverfahren auch dann im Prozess verwendet werden, wenn er sich dort auf sein Schweigerecht beruft (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO)? Antwort: Ja. „Zum Kern eines fairen Verfahrens gehört das Recht des Beschuldigten zu schweigen (Art. 6 EMRK, nemo-tenetur-Grundsatz). Daraus folgt jedoch lediglich, dass der Beschuldigte nicht gezwungen werden kann, Angaben zu machen. Hat er jedoch freiwillig Angaben gemacht, bleiben diese grundsätzlich selbst dann verwertbar, wenn er später seine Aussage verweigert (vgl. § 254 StPO).“ Unterschied zwischen beiden Fällen: Im ersten Fall wird explizit gefragt, ob die geständige Einlassung, die der Beschuldigte zuvor in einer polizeilichen Vernehmung abgegeben hat, im Prozess verlesen werden darf (Antwort: Nein, Argument: Wortlaut von § 254 StPO). Im aktuellen Fall hingegen wird allgemeiner gefragt, ob die im Ermittlungsverfahren gemachten Angaben des Beschuldigten im Prozess verwertet werden können, wenn er sich dort auf sein Schweigerecht beruft. Hier lautet die Antwort Ja, mit der Begründung, dass freiwillige Angaben weiterhin verwertbar bleiben (eben z.B. durch den Zeugen von
Hörensagen).
dario.b
10.11.2024, 21:04:09
Der Unterschied ist ganz einfach der, dass in der ersten Aufgabe der belehrte Beschuldigte zunächst aussagte und später schweigt/widerruft. In der zweiten Aufgabe fehlte die Belehrung, sodass die Angaben rechtswidrig erlangt wurden. 😌