Abgrenzung „Nichtakte“ zu nichtigen VAs

24. Januar 2025

13 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Behörde B „genehmigt“ dem privaten Umzugsunternehmer U dauerhaft, im Rahmen seiner Tätigkeit Halteverbotszonen einrichten zu können. Schlaumeierin S ist der Ansicht, dass dies wegen des Widerspruchs zu § 45 Abs. 6 StVO nichtig ist, und parkt weiterhin in den von U errichteten Zonen.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung „Nichtakte“ zu nichtigen VAs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Parkverbotsschilder sind grundsätzlich Verwaltungsakte.

Ja!

Was ein Verwaltungsakt ist, ergibt sich aus § 35 VwVfG. In § 35 S. 1 VwVfG finden sich die allgemeinen Merkmale eines Verwaltungsakts. § 35 S. 2 VwVfG regelt, dass ein Verwaltungsakt auch dann vorliegt, wenn dieser sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft (Allgemeinverfügung).Verkehrsschilder werden durch eine Behörde zur Regelung spezifischer Belange des Verkehrs aufgestellt. Sie richten sich allgemein an Personen, die am Verkehr teilnehmen. Verkehrsschilder sind damit Verwaltungsakte im Sinne einer Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 VwVfG).
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2. Die „Genehmigung“ der Behörde, dass U Verwaltungsakte erlassen kann, ist rechtswidrig.

Genau, so ist das!

Grundsätzlich können nur Hoheitsträger Verwaltungsakte erlassen. Private können dies nur, wenn sie durch einen Träger öffentlich-rechtlicher Gewalt dazu beliehen worden sind. Diese mittelbare Staatsverwaltung kann sinnvoll sein, wenn die Ausübung der Hoheitsrechte besondere Sachkunde erfordert. Eine Beleihung ist ein Verwaltungsakt und nur rechtmäßig, wenn es eine Ermächtigungsgrundlage für die Beleihung gibt. Die „Genehmigung“ der B ist eine Beleihung, weil U dadurch Verwaltungsakte erlassen können soll. Es ist keine Ermächtigungsgrundlage ersichtlich, die eine Beleihung privater zur dauerhaften eigenständigen Einrichtung von Halteverbotszonen vorsieht. Vielmehr erfolgt dies ausschließlich durch die Behörde (§ 45 Abs. 1 StVO). Die Beleihung ist rechtswidrig.

3. Die Beleihung ist wegen des unübersehbaren Widerspruchs zu § 45 Abs. 6 StVO auch nichtig und damit unwirksam.

Ja, in der Tat!

Gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Nach § 45 Abs. 6 StVO müssen Unternehmer vor dem Beginn von Arbeiten in einer Straße Anordnungen der zuständigen Behörde einholen, wie die Arbeitsstellen (mit Verkehrszeichen) abzusichern sind. Eine „Genehmigung“, dass ein Privater dauerhaft eigenständig über die Einrichtung von Parkverbotszonen bestimmen kann, widerspricht dem in § 45 Abs. 6 StVO enthaltenen Verhältnis von Privaten zu Behörde. Die Behörde soll auf diesem Gebiet grundsätzlich die Kontrolle über die Lenkung des Verkehrs im Rahmen ihrer „Selbstorganschaft“ behalten. Dies ist auch im Hinblick auf das Interesse von einheitlichen, übersichtlichen Regelungen des Verkehrs zu Gunsten subjektiver Rechte der Bürgerinnen. Die „Genehmigung“ der Behörde widerspricht diesen Grundsätzen in einer für einen verständigen Bürger sofort erkennbarer Weise.

4. Die von U aufgestellten Verbotsschilder sind nichtige Verwaltungsakte.

Nein!

Von der Beurteilung der Beleihung durch die Behörde ist die Frage zu unterscheiden, ob die aufgrund der Beleihung erlassenen Verwaltungsakte wirksam sind. Ist eine Beleihung von Anfang an unwirksam (nichtig), so konnte auf ihrer Grundlage auch niemals ein Verwaltungsakt ergehen. Der Private hat ohne wirksame Beleihung nicht die Fähigkeit, einen Verwaltungsakt zu erlassen. Erlassene „Verwaltungsakte“ sind sog. Schein-Verwaltungsakte, die gerade keine Verwaltungsakte im Sinne von § 35 VwVfG sind. Schein-Verwaltungsakte entfalten schon deswegen keinerlei Wirkung, weil sie keine Verwaltungsakte sind. U hat ohne eine wirksame Beleihung Verkehrszeichen aufgestellt. Dabei handelt es sich um keine Verwaltungsakte. Es geht keinerlei Rechtswirkung von den Schildern aus. S muss diese nicht beachten. Hier ist es ganz wichtig, nicht auf den § 44 VwVfG abzustellen. Es wurde von U schon kein Verwaltungsakt erlassen, der nichtig sein könnte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

antoniasophie

antoniasophie

26.11.2023, 19:23:24

Im Rahmen einer prozessualen Einkleidung würde man die wirksame Beleihung in der statthaften Klageart prüfen, um zu gucken, ob überhaupt ein Verwaltungsakt vorliegt? greift bei ScheinVAen auch die Anfechtungsklage? wie vermeide ich, dass die Prüfung zu kopflastig wird?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

21.11.2024, 17:11:31

Hey @[antoniasophie](62488), danke für deine Frage. Wie du schon richtig sagst, ist im Verwaltungsprozess die Frage der wirksamen Beleihung eines Privaten relevant, weil sie die Grundlage dafür bildet, ob dessen Handeln als

hoheitlich

und damit als Verwaltungsakt (VA) qualifiziert werden kann. Der Prüfungsort ergibt sich folgendermaßen: -

Statthafte Klageart

: Die Frage, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, wird

typischerweise

im Rahmen der statthaften Klageart geprüft, da die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) einen VA voraussetzt. Hier kann eine wirksame Beleihung als zentrale Voraussetzung thematisiert werden: Liegt eine Beleihung vor, handelt der Private als Behörde und erlässt damit einen Verwaltungsakt. Zu deiner Frage bzgl. eines ScheinVA: Grundsätzlich ist die Anfechtungsklage nicht statthaft, wenn kein wirksamer Verwaltunsakt vorliegt. Vielmehr wäre dann die Feststellungsklage nach

§ 43 VwGO

statthaft. Es gibt jedoch Konstellationen, in denen die Rechtsprechung die Anfechtungsklage ausnahmsweise zulässt: Wenn sich ein Schein-VA für den Betroffenen wie ein echter Verwaltungsakt auswirkt und der Rechtsschutz über

§ 43 VwGO

nicht ausreicht, kann eine analoge Anwendung der Anfechtungsklage erfolgen. Beispiel: Wenn ein Bürger gezwungen ist, einem solchen Schein-VA Folge zu leisten, weil ein Abwarten unzumutbare Nachteile bringt (weil z.B. die Behörde bereits mit der Vollstreckung des vermeintlichen Verwaltungsakts droht). Zu deinen Bedenken bzgl. der Kopflastigkeit: Wenn es fraglich ist, ob ein (wirksamer) Verwaltungsakt vorliegt, bleibt dir nichts anderes übrig, als das i.R.d. statthaften Klageart zu prüfen. Hier helfen saubere Überleitungssätze bei der Struktur, denn am wichtigsten ist, dass die Person, die Deine Klausur liest, nachvollziehen kann, was Du gerade aus welchem Grund prüfst. Also z.B.: „Die

statthafte Klageart

richtet sich nach dem Klagebeg

ehre

n (vgl. § 88 VwGO). K möchte hier gegen das aufgestellte Schild vorgehen. Statthaft wäre die Anfechtungsklage, wenn es sich bei dem Schild um einen Verwaltungsakt iSv § 35 VwVfG handelt (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Ein Verwaltungsakt ist (...). Problematisch könnte hier das Merkmal der „

hoheitlich

en Maßnahme“ sein. P könnte hier i.R.d. Beleihung das Verkehrsschild als Verwaltungsakt erlassen haben. Fraglich ist, ob die Ps Beleihung durch die Behörde wirksam war.....“ (Absätze und die richtigen Keywords bewirken Wunder ;)) Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

ISAB

Isabelle.Sophie

22.12.2023, 11:13:28

Woraus ergibt sich, dass ein Privater ein Halteverbotsschild zB für einen Umzug aufstellen darf? (Also nicht wie im vorliegenden Fall eine generelle Genehmigung, sondern nur eine einmalige) Ergibt sich dies auch aus § 45 StVO? Und ist der Private dann

Beliehene

r?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

3.12.2024, 17:55:44

Hallo @[Isabelle.Sophie](221527), spannende Frage – danke dafür! Eine einmalige Genehmigung zur Aufstellung eines Halteverbotsschildes durch eine Privatperson, z. B. für einen Umzug, ergibt sich nicht direkt aus § 45 StVO, sondern aus der

Ermessen

sausübung der zuständigen Behörde im Rahmen dieser Vorschrift. § 45 StVO ermächtigt die zuständigen

Behörden

, Verkehrszeichen aufzustellen, wenn dies zur Regelung des Verkehrs erforderlich ist. Dies umfasst auch temporäre Maßnahmen wie Halteverbote für Umzüge. Eine Genehmigung zur Aufstellung eines Halteverbotsschildes durch einen Privaten wird durch die Behörde im Rahmen ihrer Organisationsverantwortung erlaubt. Es handelt sich hierbei um die Delegation einer konkretisierten Vollzugsmaßnahme, nicht jedoch um eine Beleihung. Denn dem Privaten werden keine

hoheitlich

en Entscheidungsbefugnisse übertragen, sondern lediglich eine Erlaubnis zur faktischen Umsetzung der Maßnahme erteilt wird. Zur praktischen Umsetzung: Der Private beantragt bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde (oft auch bei einer beauftragten Ordnungsbehörde) eine Sondernutzungserlaubnis oder direkt eine temporäre Verkehrsregelung (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StVO). Wird diese Genehmigung erteilt, darf der Private die Schilder gemäß behördlicher Vorgaben (inklusive Einhaltung der Richtlinien für Verkehrsschilder) aufstellen. Für die

Rechtmäßigkeit

des Verkehrszeichens bleibt die Behörde verantwortlich. Generell zur Beleihung: Eine Beleihung begründet eigenen Entscheidungs- und Handlungsspielraum der Privatperson. Sie bekommt Hoheitsrechte übertragen. Diese wird also nicht „einfach so“ (und schon gar nicht an jede*n) erfolgen. Du solltest also in Klausuren ganz genau prüfen, ob eine Beleihung vorliegt und diese nicht zu schnell annehmen. In dem Kontext mit Genehmigungen für den Umzug könnte übrigens auch § 46 Abs. 1 StVO relevant werden. Wenn Du z.B. den Umzugswagen in einem Halteverbot abstellen willst, kann die Behörde nach dieser Norm von den eigentlich geltenden Vorschriften – ausnahmsweise – abweichen. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

FRA

Franz

31.1.2024, 09:30:50

Bei einer Antwort wurde

§ 44 VwVfG

angesprochen und allgemein erklärt, dass Verwaltungsakte nichtig seien, wenn diese an einem schwerwiegenden Fehler leiden. Dann wurde gesagt, dass im vorliegenden Fall die Beleihung schon nach § 45 StVO nichtig ist, und in der nächsten Antwort, dass in einem solchen Fall

§ 44 VwVfG

gerade nicht herangezogen wird, da noch gar kein Verwaltungsakt vorliegt. Wird

§ 44 VwVfG

dann überhaupt erwähnt, wie hier geschehen in einer Antwort?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

3.12.2024, 17:48:12

Hallo Franz, danke für die Frage. In dieser Aufgabe gibt es zwei Anknüpfungspunkte: 1. Die Beleihung des Privaten, der die Schilder eigenständig aufstellen soll --> Diese Beleihung (= Verwaltungsakt) ist wegen eines Verstoßes gegen § 45 Abs. 6 StVO nichtig nach

§ 44 VwVfG

. 2. Dann stellt sich im zweiten Schritt die Frage, ob die Verkehrsschilder, die der Private (nicht

beliehene

) aufgestellt hat, nichtige Verwaltungsakte nach

§ 44 VwVfG

sind. Hier kommt aber aber auf die Nichtigkeit schon gar nicht an, weil ein Privater von vornherein keinen Verwaltungsakt erlassen kann. Deswegen wäre es in diesem Kontext falsch, auf

§ 44 VwVfG

abzustellen. Schau dir gerne die Antworten noch einmal in Ruhe an. Ich hoffe, die verschiedenen Anknüpfungspunkte sind jetzt deutlicher geworden. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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