Öffentliches Recht
Verwaltungsrecht AT
Nichtigkeit von Verwaltungsakten
Abgrenzung „Nichtakte“ zu nichtigen VAs
Abgrenzung „Nichtakte“ zu nichtigen VAs
24. Januar 2025
13 Kommentare
4,7 ★ (19.840 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Behörde B „genehmigt“ dem privaten Umzugsunternehmer U dauerhaft, im Rahmen seiner Tätigkeit Halteverbotszonen einrichten zu können. Schlaumeierin S ist der Ansicht, dass dies wegen des Widerspruchs zu § 45 Abs. 6 StVO nichtig ist, und parkt weiterhin in den von U errichteten Zonen.
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Einordnung des Falls
Abgrenzung „Nichtakte“ zu nichtigen VAs
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Parkverbotsschilder sind grundsätzlich Verwaltungsakte.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die „Genehmigung“ der Behörde, dass U Verwaltungsakte erlassen kann, ist rechtswidrig.
Genau, so ist das!
3. Die Beleihung ist wegen des unübersehbaren Widerspruchs zu § 45 Abs. 6 StVO auch nichtig und damit unwirksam.
Ja, in der Tat!
4. Die von U aufgestellten Verbotsschilder sind nichtige Verwaltungsakte.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
antoniasophie
26.11.2023, 19:23:24
Im Rahmen einer prozessualen Einkleidung würde man die wirksame Beleihung in der statthaften Klageart prüfen, um zu gucken, ob überhaupt ein Verwaltungsakt vorliegt? greift bei ScheinVAen auch die Anfechtungsklage? wie vermeide ich, dass die Prüfung zu kopflastig wird?
Linne_Karlotta_
21.11.2024, 17:11:31
Hey @[antoniasophie](62488), danke für deine Frage. Wie du schon richtig sagst, ist im Verwaltungsprozess die Frage der wirksamen Beleihung eines Privaten relevant, weil sie die Grundlage dafür bildet, ob dessen Handeln als
hoheitlichund damit als Verwaltungsakt (VA) qualifiziert werden kann. Der Prüfungsort ergibt sich folgendermaßen: -
Statthafte Klageart: Die Frage, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, wird
typischerweiseim Rahmen der statthaften Klageart geprüft, da die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) einen VA voraussetzt. Hier kann eine wirksame Beleihung als zentrale Voraussetzung thematisiert werden: Liegt eine Beleihung vor, handelt der Private als Behörde und erlässt damit einen Verwaltungsakt. Zu deiner Frage bzgl. eines ScheinVA: Grundsätzlich ist die Anfechtungsklage nicht statthaft, wenn kein wirksamer Verwaltunsakt vorliegt. Vielmehr wäre dann die Feststellungsklage nach
§ 43 VwGOstatthaft. Es gibt jedoch Konstellationen, in denen die Rechtsprechung die Anfechtungsklage ausnahmsweise zulässt: Wenn sich ein Schein-VA für den Betroffenen wie ein echter Verwaltungsakt auswirkt und der Rechtsschutz über
§ 43 VwGOnicht ausreicht, kann eine analoge Anwendung der Anfechtungsklage erfolgen. Beispiel: Wenn ein Bürger gezwungen ist, einem solchen Schein-VA Folge zu leisten, weil ein Abwarten unzumutbare Nachteile bringt (weil z.B. die Behörde bereits mit der Vollstreckung des vermeintlichen Verwaltungsakts droht). Zu deinen Bedenken bzgl. der Kopflastigkeit: Wenn es fraglich ist, ob ein (wirksamer) Verwaltungsakt vorliegt, bleibt dir nichts anderes übrig, als das i.R.d. statthaften Klageart zu prüfen. Hier helfen saubere Überleitungssätze bei der Struktur, denn am wichtigsten ist, dass die Person, die Deine Klausur liest, nachvollziehen kann, was Du gerade aus welchem Grund prüfst. Also z.B.: „Die
statthafte Klageartrichtet sich nach dem Klagebeg
ehren (vgl. § 88 VwGO). K möchte hier gegen das aufgestellte Schild vorgehen. Statthaft wäre die Anfechtungsklage, wenn es sich bei dem Schild um einen Verwaltungsakt iSv § 35 VwVfG handelt (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Ein Verwaltungsakt ist (...). Problematisch könnte hier das Merkmal der „
hoheitlichen Maßnahme“ sein. P könnte hier i.R.d. Beleihung das Verkehrsschild als Verwaltungsakt erlassen haben. Fraglich ist, ob die Ps Beleihung durch die Behörde wirksam war.....“ (Absätze und die richtigen Keywords bewirken Wunder ;)) Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Isabelle.Sophie
22.12.2023, 11:13:28
Woraus ergibt sich, dass ein Privater ein Halteverbotsschild zB für einen Umzug aufstellen darf? (Also nicht wie im vorliegenden Fall eine generelle Genehmigung, sondern nur eine einmalige) Ergibt sich dies auch aus § 45 StVO? Und ist der Private dann
Beliehener?
Linne_Karlotta_
3.12.2024, 17:55:44
Hallo @[Isabelle.Sophie](221527), spannende Frage – danke dafür! Eine einmalige Genehmigung zur Aufstellung eines Halteverbotsschildes durch eine Privatperson, z. B. für einen Umzug, ergibt sich nicht direkt aus § 45 StVO, sondern aus der
Ermessensausübung der zuständigen Behörde im Rahmen dieser Vorschrift. § 45 StVO ermächtigt die zuständigen
Behörden, Verkehrszeichen aufzustellen, wenn dies zur Regelung des Verkehrs erforderlich ist. Dies umfasst auch temporäre Maßnahmen wie Halteverbote für Umzüge. Eine Genehmigung zur Aufstellung eines Halteverbotsschildes durch einen Privaten wird durch die Behörde im Rahmen ihrer Organisationsverantwortung erlaubt. Es handelt sich hierbei um die Delegation einer konkretisierten Vollzugsmaßnahme, nicht jedoch um eine Beleihung. Denn dem Privaten werden keine
hoheitlichen Entscheidungsbefugnisse übertragen, sondern lediglich eine Erlaubnis zur faktischen Umsetzung der Maßnahme erteilt wird. Zur praktischen Umsetzung: Der Private beantragt bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde (oft auch bei einer beauftragten Ordnungsbehörde) eine Sondernutzungserlaubnis oder direkt eine temporäre Verkehrsregelung (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StVO). Wird diese Genehmigung erteilt, darf der Private die Schilder gemäß behördlicher Vorgaben (inklusive Einhaltung der Richtlinien für Verkehrsschilder) aufstellen. Für die
Rechtmäßigkeitdes Verkehrszeichens bleibt die Behörde verantwortlich. Generell zur Beleihung: Eine Beleihung begründet eigenen Entscheidungs- und Handlungsspielraum der Privatperson. Sie bekommt Hoheitsrechte übertragen. Diese wird also nicht „einfach so“ (und schon gar nicht an jede*n) erfolgen. Du solltest also in Klausuren ganz genau prüfen, ob eine Beleihung vorliegt und diese nicht zu schnell annehmen. In dem Kontext mit Genehmigungen für den Umzug könnte übrigens auch § 46 Abs. 1 StVO relevant werden. Wenn Du z.B. den Umzugswagen in einem Halteverbot abstellen willst, kann die Behörde nach dieser Norm von den eigentlich geltenden Vorschriften – ausnahmsweise – abweichen. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Franz
31.1.2024, 09:30:50
Bei einer Antwort wurde
§ 44 VwVfGangesprochen und allgemein erklärt, dass Verwaltungsakte nichtig seien, wenn diese an einem schwerwiegenden Fehler leiden. Dann wurde gesagt, dass im vorliegenden Fall die Beleihung schon nach § 45 StVO nichtig ist, und in der nächsten Antwort, dass in einem solchen Fall
§ 44 VwVfGgerade nicht herangezogen wird, da noch gar kein Verwaltungsakt vorliegt. Wird
§ 44 VwVfGdann überhaupt erwähnt, wie hier geschehen in einer Antwort?
Linne_Karlotta_
3.12.2024, 17:48:12
Hallo Franz, danke für die Frage. In dieser Aufgabe gibt es zwei Anknüpfungspunkte: 1. Die Beleihung des Privaten, der die Schilder eigenständig aufstellen soll --> Diese Beleihung (= Verwaltungsakt) ist wegen eines Verstoßes gegen § 45 Abs. 6 StVO nichtig nach
§ 44 VwVfG. 2. Dann stellt sich im zweiten Schritt die Frage, ob die Verkehrsschilder, die der Private (nicht
beliehene) aufgestellt hat, nichtige Verwaltungsakte nach
§ 44 VwVfGsind. Hier kommt aber aber auf die Nichtigkeit schon gar nicht an, weil ein Privater von vornherein keinen Verwaltungsakt erlassen kann. Deswegen wäre es in diesem Kontext falsch, auf
§ 44 VwVfGabzustellen. Schau dir gerne die Antworten noch einmal in Ruhe an. Ich hoffe, die verschiedenen Anknüpfungspunkte sind jetzt deutlicher geworden. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team