Abgrenzung „Nichtakte“ zu nichtigen VAs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Behörde B „genehmigt“ dem privaten Umzugsunternehmer U dauerhaft, im Rahmen seiner Tätigkeit Halteverbotszonen einrichten zu können. Schlaumeierin S ist der Ansicht, dass dies wegen des Widerspruchs zu § 45 Abs. 6 StVO nichtig ist, und parkt weiterhin in den von U errichteten Zonen.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung „Nichtakte“ zu nichtigen VAs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Parkverbotsschilder sind grundsätzlich Verwaltungsakte.

Ja!

Was ein Verwaltungsakt ist, ergibt sich aus § 35 VwVfG. In § 35 S. 1 VwVfG finden sich die allgemeinen Merkmale eines Verwaltungsakts. § 35 S. 2 VwVfG regelt, dass ein Verwaltungsakt auch dann vorliegt, wenn dieser sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft (Allgemeinverfügung).Verkehrsschilder werden durch eine Behörde zur Regelung spezifischer Belange des Verkehrs aufgestellt. Sie richten sich allgemein an Personen, die am Verkehr teilnehmen. Verkehrsschilder sind damit Verwaltungsakte im Sinne einer Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 VwVfG).
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2. Die „Genehmigung“ der Behörde, dass U Verwaltungsakte erlassen kann, ist rechtswidrig.

Genau, so ist das!

Grundsätzlich können nur Hoheitsträger Verwaltungsakte erlassen. Private können dies nur, wenn sie durch einen Träger öffentlich-rechtlicher Gewalt dazu beliehen worden sind. Diese mittelbare Staatsverwaltung kann sinnvoll sein, wenn die Ausübung der Hoheitsrechte besondere Sachkunde erfordert. Eine Beleihung ist ein Verwaltungsakt und nur rechtmäßig, wenn es eine Ermächtigungsgrundlage für die Beleihung gibt. Die „Genehmigung“ der B ist eine Beleihung, weil U dadurch Verwaltungsakte erlassen können soll. Es ist keine Ermächtigungsgrundlage ersichtlich, die eine Beleihung privater zur dauerhaften eigenständigen Einrichtung von Halteverbotszonen vorsieht. Vielmehr erfolgt dies ausschließlich durch die Behörde (§ 45 Abs. 1 StVO). Die Beleihung ist rechtswidrig.

3. Die Beleihung ist wegen des unübersehbaren Widerspruchs zu § 45 Abs. 6 StVO auch nichtig und damit unwirksam.

Ja, in der Tat!

Gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Nach § 45 Abs. 6 StVO müssen Unternehmer vor dem Beginn von Arbeiten in einer Straße Anordnungen der zuständigen Behörde einholen, wie die Arbeitsstellen (mit Verkehrszeichen) abzusichern sind. Eine „Genehmigung“, dass ein Privater dauerhaft eigenständig über die Einrichtung von Parkverbotszonen bestimmen kann, widerspricht dem in § 45 Abs. 6 StVO enthaltenen Verhältnis von Privaten zu Behörde. Die Behörde soll auf diesem Gebiet grundsätzlich die Kontrolle über die Lenkung des Verkehrs im Rahmen ihrer „Selbstorganschaft“ behalten. Dies ist auch im Hinblick auf das Interesse von einheitlichen, übersichtlichen Regelungen des Verkehrs zu Gunsten subjektiver Rechte der Bürgerinnen. Die „Genehmigung“ der Behörde widerspricht diesen Grundsätzen in einer für einen verständigen Bürger sofort erkennbarer Weise.

4. Die von U aufgestellten Verbotsschilder sind nichtige Verwaltungsakte.

Nein!

Von der Beurteilung der Beleihung durch die Behörde ist die Frage zu unterscheiden, ob die aufgrund der Beleihung erlassenen Verwaltungsakte wirksam sind. Ist eine Beleihung von Anfang an unwirksam (nichtig), so konnte auf ihrer Grundlage auch niemals ein Verwaltungsakt ergehen. Der Private hat ohne wirksame Beleihung nicht die Fähigkeit, einen Verwaltungsakt zu erlassen. Erlassene „Verwaltungsakte“ sind sog. Schein-Verwaltungsakte, die gerade keine Verwaltungsakte im Sinne von § 35 VwVfG sind. Schein-Verwaltungsakte entfalten schon deswegen keinerlei Wirkung, weil sie keine Verwaltungsakte sind. U hat ohne eine wirksame Beleihung Verkehrszeichen aufgestellt. Dabei handelt es sich um keine Verwaltungsakte. Es geht keinerlei Rechtswirkung von den Schildern aus. S muss diese nicht beachten. Hier ist es ganz wichtig, nicht auf den § 44 VwVfG abzustellen. Es wurde von U schon kein Verwaltungsakt erlassen, der nichtig sein könnte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

antoniasophie

antoniasophie

26.11.2023, 19:23:24

Im Rahmen einer prozessualen Einkleidung würde man die wirksame Beleihung in der statthaften Klageart prüfen, um zu gucken, ob überhaupt ein

Verwaltungsakt

vorliegt? greift bei ScheinVAen auch die Anfechtungsklage? wie vermeide ich, dass die Prüfung zu kopflastig wird?

ISAB

Isabelle.Sophie

22.12.2023, 11:13:28

Woraus ergibt sich, dass ein Privater ein Halteverbotsschild zB für einen Umzug aufstellen darf? (Also nicht wie im vorliegenden Fall eine generelle Genehmigung, sondern nur eine einmalige) Ergibt sich dies auch aus § 45 StVO? Und ist der Private dann Beliehener?

FRA

Franz

31.1.2024, 09:30:50

Bei einer Antwort wurde

§ 44 VwVfG

angesprochen und allgemein erklärt, dass

Verwaltungsakt

e nichtig seien, wenn diese an einem schwerwiegenden Fehler leiden. Dann wurde gesagt, dass im vorliegenden Fall die Beleihung schon nach § 45 StVO nichtig ist, und in der nächsten Antwort, dass in einem solchen Fall

§ 44 VwVfG

gerade nicht herangezogen wird, da noch gar kein

Verwaltungsakt

vorliegt. Wird

§ 44 VwVfG

dann überhaupt erwähnt, wie hier geschehen in einer Antwort?


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