Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2019
Ausschluss des Angeklagten von einer Urkundenverlesung
Ausschluss des Angeklagten von einer Urkundenverlesung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A ist wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt. Für die Vernehmung des Opfers O wird A von der Hauptverhandlung ausgeschlossen und verfolgt die Vernehmung mittels Übertragung in einem Nebenraum. Während der Vernehmung wird ein Brief der O an ihre Mutter verlesen und ihr vorgelegt. Nach Abschluss der Vernehmung kehrt A in den Sitzungssaal zurück und erklärt, keine Fragen an O zu haben. A wird verurteilt. Er legt Revision ein.
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Einordnung des Falls
Gem. § 230 Abs. 1 StPO ist der Angeklagte zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt und verpflichtet. Für dieses Recht ist aber auch eine Ausnahme für Zeugenvernehmungen vorgesehen. Diese Ausnahme ist allerdings eng auszulegen. Für jeden einzelnen Schritt der Zeugenvernehmung (Vereidigung, Aussage, Befragung, Entlassung) ist die Notwendigkeit des Ausschlusses zu prüfen. Dasselbe gilt, wenn mehrere Beweismethoden miteinander verbunden werden. So ist im vorliegenden Fall der Ausschluss des Angeklagten fehlerhaft, da im Rahmen einer Zeugenvernehmung auch ein Brief der Zeugin vorgelesen wurde. Auf diese Urkundenverlesung erstrecke sich der Ausschluss des Angeklagten nicht.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wird das Urteil aufgehoben, wenn die Revision des A zulässig und begründet ist?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist die Revision unzulässig, weil A nach Rückkehr in den Saal erklärt hat, keine Fragen an O zu haben?
Nein!
3. Ist die Revision des A begründet, wenn das Urteil eine Gesetzesverletzung enthält und auf diesem Fehler beruht?
Genau, so ist das!
4. Ist die Verlesung des Briefes in Abwesenheit des A ein Verfahrensfehler?
Ja, in der Tat!
5. Beruht das Urteil auf diesem Verfahrensfehler?
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
AliDaei24
12.4.2021, 20:39:16
Die Frage der Rüge des konkreten
Verfahrensfehlers durch den Angeklagten ist doch keine Frage der Zulässigkeit der Revision!
Sue
12.6.2021, 23:15:25
Ich kann mir vorstellen, dass das evtl. missverständlich wirken kann. Da hier aber der Frage nachgegangen wird, OB diese Rüge einen Rechtsmittelverzicht darstellt, ist man damit in der Zulässigkeit schon richtig. Im Ergebnis wird dies aber ja zu Recht verneint, was schlussendlich auch aus dem Antworttext hervorgeht. In der Klausur ist das wohl ein typisches Beispiel für ‘Ansprechen und ablehnen, um zu zeigen, dass man das Problem kennt’
Sue
12.6.2021, 23:20:16
Oben müsste es heißen ...ob diese ‘Nicht-Rüge’... sorry, das macht es jetzt wahrscheinlich nur noch unübersichtlicher