+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die wohlhabende Tante T liegt nach einem Unfall im Krankenhaus. Ihre Nichte N besucht sie als Einzige regelmäßig. Aus Dankbarkeit schenkt T der N ihr gesamtes gegenwärtiges und künftiges Vermögen. Nach Entlassung aus dem Krankenhaus übertragt T der N ihre Villa.

Einordnung des Falls

Formfreiheit, § 311b Abs. 2, 3

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Versprechen der T, der N ihr künftiges Vermögen zu übertragen, ist nichtig (§ 311b Abs. 2 BGB).

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Ja, in der Tat!

Schuldrechtliche Verpflichtungen zur Übertragung des künftigen Vermögens sind nichtig (§ 311b Abs. 2 Alt. 1 BGB). Diese Nichtigkeit dient dem Schutz des Schuldners vor sich selbst. Es soll verhindert werden, dass er sich gewissermaßen seiner Erwerbsfähigkeit begibt und damit zugleich allen Antrieb zum Erwerb verliert. Es handelt sich um eine Beschränkung der von der Vertragsfreiheit umfassten inhaltlichen Gestaltungsfreiheit der Parteien.

2. Der Vollzug der Schenkung durch Übertragung der Villa heilt den Formfehler des Verpflichtungsgeschäfts.

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Nein!

Eine Heilung des schuldrechtlichen Vertrages durch Erfüllung ist nicht möglich. § 311b Abs. 3 BGB enthält keine Regelung zur Heilung durch Vollzug. Eine analoge Anwendung des § 311b Abs. 1 S. 2 BGB scheidet aus. Es fehlt eine planwidrige Regelungslücke. Gleiches gilt für den tatsächlichen Vollzug einer Schenkung nach § 518 Abs. 2 BGB. § 518 Abs. 2 BGB bezieht sich nur auf die Heilung des Formmangels der Schenkung und nicht auf die strengere Formvorschrift des § 311b Abs. 3 BGB. T kann daher Rückübergabe und -übereignung des Grundstücks verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

3. Auch das Versprechen bezüglich der Übertragung des gegenwärtigen Vermögens ist nichtig (§§ 311b Abs. 3, 125 S. 1 BGB).

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Genau, so ist das!

Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen zu übertragen, bedarf der notariellen Beurkundung (§ 311b Abs. 3 BGB). Der Formzwang dient: (1) der Rechtssicherheit, (2) dem Übereilungsschutz der Parteien vor inhaltsschweren Geschäften und (3) der Verhütung von Umgehungen der für die Verfügungen von Todes wegen geltenden Formvorschriften. Da T der N das Versprechen nur mündlich erklärt hat, ist dieses nichtig (§§ 311b Abs. 3, 125 S. 1 BGB). Im Übrigen handelt es sich auch um ein Schenkungsversprechen, welches ebenfalls mangels notarieller Beurkundung nichtig ist (§§ 518 Abs. 1 S.1, 125 S. 1 BGB).

Jurafuchs kostenlos testen


LI

lillschi

7.1.2021, 22:13:27

Bei der ersten Frage steht in der Erklärung: “Es soll verhindert werden, dass er sich gewissermaßen seiner Erwerbsfähigkeit begibt ...” Was ist damit gemeint?

BI

Bienenschwarmverfolger

23.4.2021, 09:05:41

„Sich etwas begeben“ kann so viel heißen wie „sich etwas entledigen“ oder „etwas aufgeben“. Wenn man sich zur Übertragung seines künftigen Vermögens verpflichtet, gibt man gewissermaßen seine Erwerbsfähigkeit auf, weil man - zumindest für sich selbst - faktisch nichts mehr erwerben kann.

LI

lillschi

23.4.2021, 11:23:29

Ah ok, Danke, kannte die Begrifflichkeit “sich etwas begeben” nicht.

EI

Eike-Christian

13.5.2023, 09:46:57

Wie habe ich mir denn praktisch den Vollzug der Schenkung durch Übertragung der Villa vorzustellen? T und N gehen zum Grundbuchamt, erklären die Auflassung und beantragen und bewilligen die Eintragung? Das dürfte aber dann nicht ohne notariellen Schenkungsvertrag geschehen?

Carl Wagner

Carl Wagner

13.5.2023, 14:41:05

Vielen Dank für deine Frage Eike-Christian! In der Tat ist es in der Praxis so, dass die Grundbuchämter auf eine notarielle Beurkundung bestehen. Der Fall der Heilung in § 311b I 2 BGB ist eher theoretischer Natur. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

SI

silasowicz

17.8.2023, 12:39:08

Woraus im Fall ergibt sich denn, dass die Villa das gegenwärtige oder künftige Vermögen der T darstellt? Irgendwie stehe ich da gerade auf dem Schlauch. Wäre sie das nämlich nicht, müsste doch schon 311b I 2 zum Zuge kommen, oder?

PA

Paulah

29.9.2023, 14:29:52

Kleine Anekdote am Rande: In einem Mentoriat fragte mal jemand "wann ist denn der Hund tot". Der Dozent: "Wenn es im Sachverhalt steht." Vorliegend würde ich aus der Kombination der Informationen "sie schenkt der Nichte das gegenwärtige und künftige Vermögen" und "sie überträgt die Villa" schließen, dass die Villa das gegenwärtige und künftige Vermögen ist.


© Jurafuchs 2023