Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Subjektiver Tatbestand

Irrtum über den Kausalverlauf (Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei mehraktigem Tatgeschehen – „Scheunenmord“-Fall)

Irrtum über den Kausalverlauf (Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei mehraktigem Tatgeschehen – „Scheunenmord“-Fall)

30. Juni 2025

18 Kommentare

4,7(18.358 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A verpasst O heimtückisch mit einer Metallstange Schläge auf den Kopf, die nach einiger Zeit zum Tod geführt hätten. Er hält O für tot und fährt weg. Als A zurückkehrt und merkt, dass O noch lebt, schneidet er ihm die Kehle durch. O kann sich infolge der Schädelverletzung nicht wehren und stirbt infolge des Schnittes.

Diesen Fall lösen 74,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Irrtum über den Kausalverlauf (Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei mehraktigem Tatgeschehen – „Scheunenmord“-Fall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Schläge mit der Metallstange waren kausal für den Tod des O.

Genau, so ist das!

Rspr und hL bestimmen die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio sine qua non Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. BGH: Es sei gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Geschehensabläufe zum Erfolg beigetragen hätten. Der Kausalität stehe es nicht entgegen, dass ein weiteres Verhalten eines Dritten oder des Täters selbst an der Erfolgsherbeiführung mitgewirkt habe.BGH: Hätte A nicht mit der Stange auf O eingeschlagen, wäre O nicht in dem Moment, in dem A ihm die Kehle durchtrennte, wehrlos am Boden gelegen. Die Schläge seien todesursächlich, unabhängig davon, dass O unmittelbar an den Folgen des Schnittes starb.
Strafrecht-Wissen in 5min testen
Teste mit Jurafuchs kostenlos dein Strafrecht-Wissen in nur 5 Minuten.

2. Dass der konkrete Todeserfolg erst durch das Durchschneiden der Kehle eintrat, ist eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalablauf (Todeseintritt infolge der Schläge).

Nein, das trifft nicht zu!

Eine wesentliche Abweichung im Kausalverlauf liegt dann vor, wenn sie sich nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält.BGH: Der Umstand, dass der Tod des durch die Schläge bereits tödlich verletzten O unmittelbar durch die im Zuge der Bemühungen um eine Tatverschleierung mit gleicher Angriffsrichtung gegen den wider Erwarten noch nicht verstorbenen O geführten Messerschnitt bewirkt wurde, bewege sich nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und rechtfertige keine andere Bewertung der Tat.
Dein digitaler Tutor für Jura
Strafrecht-Wissen testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEAS

Geasoph

10.9.2021, 11:50:25

Wie ist es zu bewerten, dass A zwischenzeitlich weggefahren ist und damit eine zeitliche

Zäsur

stattfand ?

Harun

Harun

8.12.2021, 13:33:36

Hier überhaupt nicht relevant. Es ging isoliert um die Frage der Kausalität.

QUIG

QuiGonTim

6.5.2024, 08:36:00

In den Fällen des atypischen Kausalverlaufs geht es häufig um eine zeitliche

Zäsur

. Sie sagt als solche erst einmal wenig über den Vorsatz aus. Vielmehr ist darauf abzustellen, welchen Wert der Täter der zeitlichen

Zäsur

einräumt. Wollte er sich eine Bedenkzeit lassen? Kam es dem Täter auf weitere Geschehnisse zwischen Handlung und Erfolg an (z.B. die Unterschriften im vorherigen Fall)? Beabsichtigte der Täter auch in zeitlicher Hinsicht eine ganz bestimmte Todesart? Letztlich geht es (wie so häufig) um eine sinnvolle Sachverhaltsauswertung.

LI

Lilyphant

30.5.2024, 08:24:02

Hallo, mein Gedanke war hier, dass das Wegfahren der Zeitpunkt für einen beendeten Versuch darstellt und der Täter nach der Rückkehr den ganz neuen Vorsatz fasst, mit dem Durchschneiden des Halses zu töten und nicht mehr mit Schlägen auf den Kopf. Wäre das auch ein vertretbares Ergebnis?

GH

Ghofran

4.6.2024, 13:52:16

Das war tatsächlich auch mein Gedanke. Ich weiß nicht ob es vertretbar wäre.

AN

Anne

15.10.2024, 16:06:48

Hey, so hat es das LG in der Vorinstanz geprüft. Die erste Handlung (Einschlagen mit der Metallstange) wäre dann als versuchter

Heimtückemord

gemäß §§ 211, 212, 22, 23 I StGB einzustufen. Die zweite Handlung (Durchtrennen des Halses) ist eine vorsätzliche Zweithandlung und ist als Totschlag gemäß § 212 I StGB einzustufen. Die beiden Handlungen stünden in Tatmehrheit zueinander. Durch die zeitliche

Zäsur

entfällt die objektive Zurechnung, da angenommen wird, dass in dem Zuschlagen mit der Stange nicht das Risiko liegt, dass das Opfer durch eine zweite Handlung des Täters stirbt (

atypischer Kausalverlauf

). Das Problem an dieser Lösung ist, dass man den Täter nicht wegen Mordes bestrafen kann. Nach der Falllösung des BGH, die die objektive Zurechnung nicht entfallen lässt, ist der

Heimtückemord

durch das Zuschlagen mit der Stange verwirklicht. Es ist nicht unüblich, dass der Täter verkennt, dass er den Erfolg noch nicht herbeigeführt hat (insoweit keine

wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf

). Die Lösung der Vorinstanz, die das Geschehen in zwei Handlungen aufspaltet kann als ersten Anknüpfungspunkt nur einen versuchten

Heimtückemord

durch das Zuschlagen haben. Hier kann dann die Strafe gemildert werden. Das Durchtrennen des Halses ist "nur" ein Totschlag, da das Mordmerkmal der

Verdeckungsabsicht

voraussetzt, dass der Täter eine andere Tat verdecken will und die von ihm eine Stunde zuvor begangene Tat ist eben keine andere Tat. Vielleicht auch deshalb der "Kunstgriff" des BGH.

OKA

okalinkk

30.4.2025, 17:44:55

Weshalb kann nach der Lösung der Vorinstanz bzgl der zweiten Handlung nicht wegen eines

Heimtückemord

s bestraft werden?

AN

Anne

1.5.2025, 23:46:12

Da war das Opfer nicht mehr

arglos

, dh es hat sich ja gerade eines erneuten Angriffs versehen bzw. konnte damit rechnen, dass der Täter evtl zurückkommt @[okalinkk](253888)

MO

Moo

24.5.2025, 18:39:37

Ist es denkbar, die

Arglosigkeit

vorzuverlagern und daraus dann doch einen

Heimtückemord

zu konstruieren - ähnlich wie bei den Fällen, bei denen die Opfer in irgendwelche Autos steigen oder macht die zeitliche

Zäsur

einem da einen Strich durch die Rechnung? Danke!

AN

Anne

24.5.2025, 20:29:08

Das macht der BGH ja in seiner Prüfung. Anknüpfungshandlung ist das Zuschlagen mit der Stange. Hier war das Opfer

arglos

. Deshalb ist auch ein

Heimtückemord

gegeben. Der BGH spaltet das Geschehen ja gerade nicht in zwei Tathandlungen auf @[Moo](215902)

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

1.10.2024, 12:02:15

Wenn ich es richtig verstanden habe, muss sich hier also der Obersatz auf die Schläge mit der Metallstange als Tathandlung beziehen, nicht auf das Durchschneiden der Kehle. Ist das korrekt?

HAN

hannacaz

1.10.2024, 15:53:57

Genau! Das Problem, was das Gericht hier hatte war, ob die beiden Handlungen als ein Akt anzusehen war oder zwei. Denn an sich würdest du bei Anknüpfen an das Kehle aufschneiden auch zu einer Vollendung kommen (Totschlag). Es wäre aber schon wild, wenn der Täter am Ende „besser“ gestellt wäre (Verurteilung wegen Totschlags), dadurch dass er dem Opfer noch die Kehle durchschneidet, als wenn er nichts mehr gemacht hätte und das Opfer an den Schlägen gestorben wäre (Verurteilung wegen Mordes, weil

Heimtücke

). Man knüpft also an den Schlag an, verneint einen atypischen Kausalverlauf und kann hier am Ende den

Heimtückemord

bejahen. Das ist übrigens der

Scheunenmordfall

, der btw bei YouTube von WDR Lokalzeit MordOrte ganz gut dargestellt wurde, falls es dich interessiert.

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

1.10.2024, 16:06:22

@[hannacaz](220630) Aufschlussreiche Antwort! Danke! :)

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

6.12.2024, 19:00:09

Sowohl die Schläge, als auch das Schneiden führten zum Tod. Der Täter hat bei beiden Handlungen tatbestandlich,

rechtswidrig

und

schuld

haft. Hat er sich nun (ungeachtet der Konkurrenzen) zweimal wegen der Tötung des Opfers strafbar gemacht, obwohl das Opfer nur einmal gestorben ist?

LELEE

Leo Lee

8.12.2024, 06:22:09

Hallo Rintaro Okabe, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Genauso ist es. Sehr streng genommen gibt es ebendiese zwei Handlunge, die (im Zusammenspiel) zum Tod führen und das, obgleich das Opfer nur einmal gestorben ist. Und weil das Opfer eben nur einmal gestorben ist, wird auf der Ebene der Konkurrenzen auch nur einmal (aufgrund des einen Todes) bestraft; hier läge dann eine Handlung im juristischen Sinne vor in Gestalt der sok. sukzessiven Tatbestandsverwirklichung. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, v. Heintschel-Heinegg § 52 Rn. 22 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

OKA

okalinkk

30.4.2025, 17:40:23

Der Täter hat sich hier dann gem 223, 227 StGB strafbar gemacht?


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Strafrecht-Wissen testen