Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Subjektiver Tatbestand

Irrtum über den Kausalverlauf (Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei mehraktigem Tatgeschehen – „Scheunenmord“-Fall)

Irrtum über den Kausalverlauf (Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei mehraktigem Tatgeschehen – „Scheunenmord“-Fall)

15. Januar 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A verpasst O heimtückisch mit einer Metallstange Schläge auf den Kopf, die nach einiger Zeit zum Tod geführt hätten. Er hält O für tot und fährt weg. Als A zurückkehrt und merkt, dass O noch lebt, schneidet er ihm die Kehle durch. O kann sich infolge der Schädelverletzung nicht wehren und stirbt infolge des Schnittes.

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Einordnung des Falls

Irrtum über den Kausalverlauf (Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei mehraktigem Tatgeschehen – „Scheunenmord“-Fall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Schläge mit der Metallstange waren kausal für den Tod des O.

Genau, so ist das!

Rspr und hL bestimmen die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio sine qua non Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. BGH: Es sei gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Geschehensabläufe zum Erfolg beigetragen hätten. Der Kausalität stehe es nicht entgegen, dass ein weiteres Verhalten eines Dritten oder des Täters selbst an der Erfolgsherbeiführung mitgewirkt habe.BGH: Hätte A nicht mit der Stange auf O eingeschlagen, wäre O nicht in dem Moment, in dem A ihm die Kehle durchtrennte, wehrlos am Boden gelegen. Die Schläge seien todesursächlich, unabhängig davon, dass O unmittelbar an den Folgen des Schnittes starb.
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2. Dass der konkrete Todeserfolg erst durch das Durchschneiden der Kehle eintrat, ist eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalablauf (Todeseintritt infolge der Schläge).

Nein, das trifft nicht zu!

Eine wesentliche Abweichung im Kausalverlauf liegt dann vor, wenn sie sich nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält.BGH: Der Umstand, dass der Tod des durch die Schläge bereits tödlich verletzten O unmittelbar durch die im Zuge der Bemühungen um eine Tatverschleierung mit gleicher Angriffsrichtung gegen den wider Erwarten noch nicht verstorbenen O geführten Messerschnitt bewirkt wurde, bewege sich nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und rechtfertige keine andere Bewertung der Tat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEAS

Geasoph

10.9.2021, 11:50:25

Wie ist es zu bewerten, dass A zwischenzeitlich weggefahren ist und damit eine zeitliche Zäsur stattfand ?

Harun

Harun

8.12.2021, 13:33:36

Hier überhaupt nicht relevant. Es ging isoliert um die Frage der Kausalität.

QUIG

QuiGonTim

6.5.2024, 08:36:00

In den Fällen des atypischen Kausalverlaufs geht es häufig um eine zeitliche Zäsur. Sie sagt als solche erst einmal wenig über den

Vorsatz

aus. Vielmehr ist darauf abzustellen, welchen Wert der Täter der zeitlichen Zäsur einräumt. Wollte er sich eine Bedenkzeit lassen? Kam es dem Täter auf weitere Geschehnisse zwischen Handlung und Erfolg an (z.B. die Unterschriften im vorherigen Fall)? Beabsichtigte der Täter auch in zeitlicher Hinsicht eine ganz bestimmte Todesart? Letztlich geht es (wie so häufig) um eine sinnvolle Sachverhaltsauswertung.

LI

Lilyphant

30.5.2024, 08:24:02

Hallo, mein Gedanke war hier, dass das Wegfahren der Zeitpunkt für einen beendeten Versuch darstellt und der Täter nach der Rückkehr den ganz neuen

Vorsatz

fasst, mit dem Durchschneiden des Halses zu töten und nicht mehr mit Schlägen auf den Kopf. Wäre das auch ein vertretbares Ergebnis?

GH

Ghofran

4.6.2024, 13:52:16

Das war tatsächlich auch mein Gedanke. Ich weiß nicht ob es vertretbar wäre.

AN

Anne

15.10.2024, 16:06:48

Hey, so hat es das LG in der Vorinstanz geprüft. Die erste Handlung (Einschlagen mit der Metallstange) wäre dann als versuchter Heimtückemord gemäß §§ 211, 212, 22, 23 I StGB einzustufen. Die zweite Handlung (Durchtrennen des Halses) ist eine vorsätzliche Zweithandlung und ist als Totschlag gemäß § 212 I StGB einzustufen. Die beiden Handlungen stünden in Tatmehrheit zueinander. Durch die zeitliche Zäsur entfällt die

objektive Zurechnung

, da angenommen wird, dass in dem Zuschlagen mit der Stange nicht das Risiko liegt, dass das Opfer durch eine zweite Handlung des Täters stirbt (

atypischer Kausalverlauf

). Das Problem an dieser Lösung ist, dass man den Täter nicht wegen Mordes bestrafen kann. Nach der Falllösung des BGH, die die

objektive Zurechnung

nicht entfallen lässt, ist der Heimtückemord durch das Zuschlagen mit der Stange verwirklicht. Es ist nicht unüblich, dass der Täter verkennt, dass er den Erfolg noch nicht herbeigeführt hat (insoweit keine

wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf

). Die Lösung der Vorinstanz, die das Geschehen in zwei Handlungen aufspaltet kann als ersten Anknüpfungspunkt nur einen versuchten Heimtückemord durch das Zuschlagen haben. Hier kann dann die Strafe gemildert werden. Das Durchtrennen des Halses ist "nur" ein Totschlag, da das Mordmerkmal der

Verdeckungsabsicht

voraussetzt, dass der Täter eine andere Tat verdecken will und die von ihm eine Stunde zuvor begangene Tat ist eben keine andere Tat. Vielleicht auch deshalb der "Kunstgriff" des BGH.

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

1.10.2024, 12:02:15

Wenn ich es richtig verstanden habe, muss sich hier also der Obersatz auf die Schläge mit der Metallstange als Tathandlung beziehen, nicht auf das Durchschneiden der Kehle. Ist das korrekt?

HAN

hannacaz

1.10.2024, 15:53:57

Genau! Das Problem, was das Gericht hier hatte war, ob die beiden Handlungen als ein Akt anzusehen war oder zwei. Denn an sich würdest du bei Anknüpfen an das Kehle aufschneiden auch zu einer Vollendung kommen (Totschlag). Es wäre aber schon wild, wenn der Täter am Ende „besser“ gestellt wäre (Verurteilung wegen Totschlags), dadurch dass er dem Opfer noch die Kehle durchschneidet, als wenn er nichts mehr gemacht hätte und das Opfer an den Schlägen gestorben wäre (Verurteilung wegen Mordes, weil Heimtücke). Man knüpft also an den Schlag an, verneint einen atypischen Kausalverlauf und kann hier am Ende den Heimtückemord bejahen. Das ist übrigens der

Scheunenmordfall

, der btw bei YouTube von WDR Lokalzeit MordOrte ganz gut dargestellt wurde, falls es dich interessiert.

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

1.10.2024, 16:06:22

@[hannacaz](220630) Aufschlussreiche Antwort! Danke! :)

Rintaro Okabe

Rintaro Okabe

6.12.2024, 19:00:09

Sowohl die Schläge, als auch das Schneiden führten zum Tod. Der Täter hat bei beiden Handlungen

tatbestand

lich,

rechtswidrig

und schuldhaft. Hat er sich nun (ungeachtet der Konkurrenzen) zweimal wegen der Tötung des Opfers strafbar gemacht, obwohl das Opfer nur einmal gestorben ist?

LELEE

Leo Lee

8.12.2024, 06:22:09

Hallo Rintaro Okabe, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Genauso ist es. Sehr streng genommen gibt es ebendiese zwei Handlunge, die (im Zusammenspiel) zum Tod führen und das, obgleich das Opfer nur einmal gestorben ist. Und weil das Opfer eben nur einmal gestorben ist, wird auf der Ebene der Konkurrenzen auch nur einmal (aufgrund des einen Todes) bestraft; hier läge dann eine Handlung im juristischen Sinne vor in Gestalt der sok. sukzessiven

Tatbestand

sverwirklichung. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, v. Heintschel-Heinegg § 52 Rn. 22 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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