Zivilrecht
Sachenrecht
Rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen
Übereignung nach § 929 S. 1 BGB: Widerruflichkeit der Einigung
Übereignung nach § 929 S. 1 BGB: Widerruflichkeit der Einigung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V und K schließen einen Kaufvertrag über ein Auto und einigen sich dinglich. Die Übergabe soll in einer Woche erfolgen. V möchte vier Tage später aber nicht mehr, dass K Eigentümer des Autos wird. V teilt dies K nicht mit, übergibt ihm aber das Auto.
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Einordnung des Falls
Übereignung nach § 929 S. 1 BGB: Widerruflichkeit der Einigung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Veräußerer kann die Einigungserklärung nach Zustandekommen der Einigung einseitig widerrufen.
Ja!
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2. Da V bei Übergabe mit K nicht mehr "einig ist" (§ 929 S. 1 BGB) über den Eigentumsübergang, ist V Eigentümer geblieben.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tigerwitsch
22.4.2021, 10:20:10
Angenommen V hätte das dem K kundgetan. Welche Ansprüche hätte dann K gegen V (ausgenommen die Ansprüche bzgl des Verpflichtungsgeschäfts)?
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 18:11:21
Hallo Tigerwitsch, abgesehen von den vertraglichen Ansprüchen bestehen keine weiteren. Neben dem Primäranspruch auf Verschaffung des Autos (§ 433 Abs. 1 BGB), bestehen aber natürlich auch sekundäre Schadensersatzansprüche. D.h., wenn V hier dauerhaft die Leistung verweigert, dann kann sich K im Wege des
Deckungskaufes einen anderen Wagen besorgen und nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB im Falle von höheren Kosten die Differenz als Schadensersatz verlangen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Ira
11.8.2021, 17:00:38
das Nichtmitteilen des Widerrufs, ist das kein geheimer Vorbehalt nach § 116?
Blotgrim
11.7.2024, 10:47:56
Kommt zwar zu spät die Antwort, aber nein. Ein geheimer Vorbehalt wäre es, wenn sich der Verkäufer bei der dinglichen Einigung schon insgeheim denkt, dass er gar nicht will, dass Eigentum übergehen soll. Das ist hier ja nicht der Fall, hier entwickelt sich der Wille ja erst vier Tage nach der Einigung. Das der Verkäufer es sich bei der Übergabe denkt ist egal, da die Einigung ja schon vorher geschlossen wurde, als er sich noch an die Einigung halten wollte. Außerdem hätte ein geheimer Vorbehalt hier wohl keine Auswirkung, da er der Käuferin nicht bekannt war (§ 116 I 1)
Cornelius
11.5.2021, 17:38:47
Wenn die Übergabe eine Woche nach Einigung sein soll, V aber vier Tage später - also drei Tage vor Übergabe an K nicht mehr möchte das V Eigentümer wird….. Bitte den Sachverhalt genauer darstellen, gemeint ist hier wahrscheinlich das V vier Tage nach
Übereignungseine Meinung ändert. Das ist leider missverständlich formuliert.
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 17:56:20
Hallo Cornelius, die
Übereignungnach § 929 S. 1 BGB ist ein mehraktiger Vorgang. Zunächst bedarf es der dinglichen Einigung (1) und anschließend der Übergabe (2), wobei zum Zeitpunkt der Übergabe das einig sein noch vorliegen muss (3). Einigung und Übergabe finden häufig zeitgleich statt, das ist aber nicht zwingend. Aus dem Sachverhalt geht nach unserer Auffassung hinreichend hervor, dass sie hier auseinanderfallen und der Gesinnungswandel des V zwischen der Einigung (1) und der Übergabe (2) erfolgt. Vielleicht wird es mit Wochentagen noch deutlicher: Am Montag schließen V und K den schuldrechtlichen Kaufvertrag. Gleichzeitig einigen sie sich dinglich über den Eigentumswechsel. Am Freitag (4 Tage später) überlegt es sich V anders, sagt K aber nichts.
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 17:58:15
Am nächsten Montag (1 Woche später) gibt V dem K den Schlüssenl und übergibt ihm damit das Auto (2), ohne ihm jedoch von seinem geänderten Entschluss etwas zu sagen. Wird es so etwas deutlicher? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Cornelius
11.5.2021, 18:08:50
Danke für die ausführliche Antwort. Weshalb übergibt V denn den Wagen an K? Er will doch schon vor Übergabe nicht mehr das er Eigentümer wird. Ist einfach unlogisch.
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 21:39:54
Hallo Cornelius, der Fall erscheint auf den ersten Blick sicher etwas unlogisch. Dies liegt maßgeblich daran, dass wir die teilweise recht komplexen Sachverhalte aus der Praxis gerade in den systematischen Kursen auf ihren wesentlichen Kern reduzieren müssen, um die zugrunde liegenden Prinzipien. Dies unterstützt zwar die Verständlichkeit, man kann sich dann allerdings manchmal nicht mehr vorstellen, wie so eine Konstellation in der Praxis aussieht. Hier hilft es, sich ab und an die angegebenen Fälle einmal im Original anzuschauen. Im vorliegenden Fall waren 4 Akteure beteiligt, es ging um den Verkauf einer Winterhalle und letztlich um die Frage, ob ein gutgläubiger Erwerb von V auf K nach §§ 929 S. 1, 930,
933 BGBstattgefunden hat.
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 21:48:49
Während die Einigung im September 1972 erfolgte, erfolgte die Übergabe der Halle erst im November 1973. Für die Beantwortung der Frage, ob ein gutgläubiger Erwerb stattgefunden hatte, kam es insoweit tatsächlich darauf an, ob im Jahr 1973 zum Zeitpunkt der Übergabe noch ein "einig sein" vorlag. Da die Vorinstanz dies nicht aufgeklärt hatte, verwies der BGH insoweit zurück. Und so wird aus dem scheinbar konstruierten Fall, der dazu dient das Problem zu klären, ob eine
dingliche Einigungwiderrufen werden kann, wieder ein tatsächlicher Lebenssachverhalt :) Ich hoffe, Du siehst es uns vor diesem Hintergrund nach, wenn wir auch an anderer Stelle die Realität zunächst etwas vereinfachen und auf das Wesentliche komprimieren. Beste Grüße, Lukas
Johaennzen
4.8.2021, 11:26:41
In der Lösung wird angeführt, dass der Widerruf „erkennbar“ sein muss. Ist damit gemeint, dass es sich bei dem Widerruf um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, die erst mit Zugang wirksam wird (§130 I 1) oder handelt es sich bei der „Erkennbarkeit“ um eine eigenständige dogmatische Konstruktion? Ersterenfalls würde ich ggf. klarstellen, dass es sich bei dem Widerruf um eine empfangsbedürftige WE handelt, die vorliegend mangels Zugang bei K nicht wirksam wurde🤔
Lukas_Mengestu
11.1.2022, 18:11:43
Hallo Johaennzen, in der Tat muss der Widerruf der Einigungserklärung dem anderen Teil zugehen, um wirksam zu sein (Kindl, in: BeckOK-BGB, 1.11.2021, § 929 RdNr. 18; BGH NJW 1978, 696). Es handelt sich hierbei allerdings NICHT um einen Widerruf nach § 130 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Widerruf dort regelt den Fall, dass eine Willenserklärung im Zeitfenster zwischen ihrer Abgabe und ihrem Zugang widerrufen wird. Vorliegend haben wir bereits eine vollständige dingliche Eingiung, bei der die jeweiligen Willenserklärungen auch jeweils zugegangen sind. Im Schuldrecht wäre somit bereits ein verbindlicher Vertrag zustande gekommen, von dem man sich grundsätzlich nicht mehr einseitig lösen kann. Anders dagegen im Sachenrecht. Hier wird unter Rückgriff auf den Wortlaut des § 929 S. BGB
Lukas_Mengestu
11.1.2022, 18:12:00
von der h.M. die freie Widerruflichkeit angenommen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
LexSuperior
23.12.2022, 02:44:25
Kurze Frage
LexSuperior
23.12.2022, 02:48:43
Also mir war klar das das fehlende „Einigsein“ nicht zur Unwirksamkeit führt weil er das Fehlen der anderen Partei nicht kundgetan hat. Ich war und bin mir aber unsicher aus welchen Gründen das so ist. Meinem Gefühl nach habe ich zwischen geheimen Vorbehalt und schutzwürdigkeit der anderen Partei geschwankt. Könnt ihr mir das vielleicht herleiten ?🙈😁
Nora Mommsen
23.5.2023, 17:19:07
Hallo LexSuperior, danke für deine Frage. Dein Instinkt hat dich richtig geleitet - im Grunde ist beides richtig. Die Unbeachtlichkeit des geheimen Vorbehalts ist der gesetzliche Ausdruck, der Schutzwürdigkeit der anderen Partei. Es wird auf den
objektiven Empfängerhorizontabgestellt und wenn ein objektiver Empfänger abweichendes nicht erkennen konnte, ist die Erklärung entsprechend zu verstehen. Dies gilt natürlich auch für das Vorliegen (oder in diesem Fall Fehlen) des Widerrufs einer Erklärung. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
evanici
14.9.2023, 15:07:28
Würde der Widerruf bis zur Übergabe dann die Anfechtung ausschließen? Und wäre in diesem Zeitraum ggf. trotzdem ein SEA aus cic denkbar, die Einigung wäre ja ein dinglicher Vertrag...
Dogu
9.11.2023, 16:12:27
Könnte das auch aus dem Rechtsgedanken des § 116 S. 1 BGB hergeleitet werden? Zwar ist der ursprüngliche Wille schon geäußert, zumindest in analoger Anwendung könnte er jedoch herhalten oder?