Abgrenzung Mittäterschaft und Beihilfe
19. Mai 2025
14 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A erzählt B von Os Reichtum. B will sie daher überfallen. A willigt ein, um mit der Beute seine Schulden tilgen zu können. Sie fahren mit C zu O, A wartet als Fahrer im Auto. B und C bedrohen O mit einem Messer und erbeuten dann Schmuck. O gibt ihnen aus Angst zudem €500 aus ihrem Safe. A erhält €50 für seine Beteiligung.
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Einordnung des Falls
Abgrenzung Mittäterschaft und Beihilfe
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B und C könnten sich durch die Mitnahme des Schmuckes wegen Raubes strafbar gemacht haben (§ 249 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. B und C haben den Raub mittäterschaftlich verwirklicht (§ 25 Abs. 2 StGB)
Ja!
3. Indem B und C O mit einem Messer drohten, haben sie sich wegen schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht.
Genau, so ist das!
4. Hinsichtlich des Geldes haben B und C sich wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung strafbar gemacht (§§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
5. A hat die unmittelbaren Tathandlungen ebenfalls arbeitsteilig mit ausgeführt.
Nein!
6. Mittäterschaft erfordert nach Auffassung des BGH zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst und die Anwesenheit am Tatort.
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Da A lediglich den Tipp zum Reichtum der O gab und bei der Tat nur den Abtransport verantwortete, scheidet er als Mittäter automatisch aus.
Nein, das trifft nicht zu!
8. Da A für sein Mitwirken bloß €50 erhalten hat, scheidet er als Mittäter nach Auffassung des BGH aus.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Simon
23.1.2025, 00:06:14
Ich kann der Einordnung des A als Mittäter anhand der Angaben des Sachverhalts nicht folgen. Zunächst spricht § 25 II StGB davon, dass die Tat gemeinschaftlich "begangen" werden muss. Das impliziert die hervorgehobene Stellung des Merkmals der Tatherrschaft. Diese hatte A hier nicht, da er die Tat durch seine Fahrdienste zwar erleichterte, aber sicherlich das Tatgeschehen nicht planvoll lenkend in den Händen hielt. Wäre er vor Vollendung "ausgestiegen", so wären B und C eben anders zum Tatort gelangt bzw. hätten die Tat ohne A verwirklicht. Auch im Vorfeld der Tat lässt sich eine überragende Stellung des A nicht erkennen. Die Initiative zur Fassung des Tatplans ging von B aus, A willigte in diesen nur ein. Dass eine herausgehobene Stellung bei der Tatvorbereitung eine geringere Beteiligung bei der Tatausführung kompensieren kann, wurde ursprünglich für den "klassischen Bandenchef" entwickelt, der die Tat im Alleingang plant. Nicht hingegen für typische Gehilfen wie A. Auch das Tatinteresse ist angesichts der 50€ im Vergleich zu dem erbeuteten 500€ (zuzüglich des Schmuckes!) als eher gering zu werten. Dies spricht mE summa summarum - auch nach den Kriterien des BGH - gegen eine
Mittäterschaftund eher für eine Beihilfe. Eine extensive Anwendung des § 25 II StGB halte ich angesichts des unterschiedlichen Strafmaßes und
Schuldvorwurfs ("Du hast einen täterschaftlichen schweren Raub begangen!" vs. "Du hast Beihilfe zu einem schweren Raub geleistet!") für gefährlich.
simonr
6.2.2025, 18:33:49
Nach objektiver Ansicht (Tatherrschaftslehre) ist Täter, wer als Zentralgestalt Tatherrschaft über das Geschehen hat, die Verwirklichung der Tat hemmen oder fördern kann. Ich würde sagen, dadurch, dass A derjenige gewesen ist, wer B (und C) auf die Idee zum Raub gegen O gebracht hat, ließe sich vertreten, A hätte zumindest die Tatausführung in dieser Weise gefördert. Ebenfalls spricht das Fluchtwagen-Fahren des A dafür= dadurch, dass er die Flucht vom Tatort ermöglicht, setzt ihn das in eine zentrale Position bei Ausführung der Tat, auch ohne das Messer gegen O zu führen. Wenn A jedoch vor Vollendung ausgestiegen wäre, ist für mich nicht ersichtlich inwiefern B und C in vergleichbarer Weise die Tat hätten beenden können. Ein Fluchtplan ist meines Erachtens für eine "ordentliche" Tatausführung unerlässlich, wie der Tatplan gegen das Opfer selber. Nach subjektiver Sicht ist auch nicht erkenntlich, dass A die Tat als rein
fremde Tat möchte. Gerade die Vorstellung des A, durch den späteren Erlös (Beuteteilung) seine
Schulden begleichen könnte, spricht doch dafür, dass A persönliches Interesse an der Tat hat. Dass B und C sich dann dafür entschieden haben, dem A nur einen geringen Anteil zu geben, schließt das bereits vorhandene Interesse an der Tat ja nicht mehr aus, lediglich As Vorstellungen über die Beuteteilung wurden nicht erfüllt. Sofern eine Beuteteilung im Spiel ist, ist diese regelmäßig Indiz für das persönliche Interesse der Tat. Und das führt dann mMn im Rahmen der Gesamtbetrachtung dazu, dass aufgrund des Tatinteresses des A und dem Umfang seiner Beteiligung an der Tat (liefert die Idee; lässt Flucht gelingen) zumindest die
Mittäterschaftnicht so fernliegend wäre, wie du es darstellst. Zwar lässt sich die Gesamtbetrachtung durchaus kritisieren dahingehend, dass die Gewichtung der einzelnen Aspekte willkürlich erscheinen mag, aber in diesem Fall liegen sowohl objektive als auch subjektive Aspekte bei A bzgl. dessen Täterschaft vor, sodass davon eher keine Rede sein kann. Die von dir angesprochene Bandenchef-Thematik ist ja für die Fälle entwickelt worden, bei denen der "Bandenchef" aufgrund eines von ihm erstellten Tatplans das Fehlen am Tatort ausgleichen kann (Minus der Entscheidungsherrschaft bei Ausführung wird ausgeglichen durch Plus an Gestaltungsherrschaft bei Planung). Dabei ist aber zu beachten, dass der "Bandenchef" gar nicht erst mit am Tatort ist. A ist aber doch mit B und C am Tatort, sitzt aber eben einige Meter entfernt im Auto. Er hat somit ja genügend Entscheidungsherrschaft (könnte einfach wegfahren etc.), sodass er gar kein Minus ausgleichen müsste. Hier wäre viel eher die enge Tatherrschaftslehre zu beachten, die in solchen Fällen, zumindest die Zuschaltung des Mittäters über Funk oder Handy für Anweisungen oder ähnliches fordert. Hier ließe sich durchaus argumentieren, dass A möglicherweise während der Tatausführung durch B und C nicht im engeren Sinne "mitwirkt". Aber diese Ansicht sieht sich eigener Kritik ausgesetzt, dahingehend zu eng zu sein und solche Täter wie den "Bandenchef" ungebührend zu privilegieren. Nichts desto trotz ließe sich in der Klausur wohl beides vertreten, sofern der SV nicht in eine der beiden Richtungen noch mehr ausgestaltet wäre. Hier in der Aufgabe wird auch noch auf den Originalfall verwiesen, bei dem wohl noch andere Umstände dazukamen, welche den BGH dann im Endeffekt veranlasst haben dürften,
Mittäterschaftüber Teilnahme anzunehmen.
Erik_1995
12.5.2025, 14:42:59
Moin ihr beiden, @[simonr](197213) @[Simon](131793) habt ihr vielleicht eine Antwort auf meine Frage? ich verstehe nicht ganz, weshalb der Streitentscheid entbehrlich ist. Die Rechtsprechung sieht doch vorliegend auch § 249 tatbestandlich verwirklicht an, die Literatur hingegen bereits tatbestandlich nicht. Erst auf Konkurrenzebene kommen beide abschließend zur selben Strafbarkeit. Muss ich dann den Streit nicht immer entscheiden? Denn wenn ich an der Stelle die Prüfung des Raubes abbreche, weil beide Ansichten §
§ 253, 255 vorziehen, verkenne ich doch, dass die Rechtsprechung §
§ 253, 255 zu § 249 tatbestandlich identisch betrachtet und erst auf Konkurrenzebene abgrenzt?
simonr
12.5.2025, 19:52:16
@[Erik_1995](177911) Ich habe mir den Fall nochmal kurz angeschaut. Die Abgrenzungsproblematik wird bei der Frage nach der Strafbarkeit bzgl. des
Geldes thematisiert, welches O in ihrem Safe aufbewahrte. Solche 'Code-' oder 'Schlüsselprobleme', bei denen der Täter nur durch aktives Mitwirken des Opfers an die Beute gelangen kann, sollten ja grundsätzlich schon im obj. Tatbestand angesprochen werden. Entweder entscheidet man sich dabei (wie die Rspr.) für
§ 249 StGBund fängt mit der Prüfung an um dort im Rahmen der
Wegnahmehandlung das Problem zu erörtern. Andernfalls, wenn man die Lit. vertreten möchte, kann man direkt mit der Prüfung der §
§ 253, 255 StGB anfangen und dann dort den ungeschriebenen Tatbestand der
Vermögensverfügungthematisieren. Die Abgrenzung von §§ 249 und 253, 255 StGB auf Ebene der Konkurrenzen zu erledigen ist mir so noch nicht untergekommen. Meines Erachtens nach ist es weitaus besser die problematischen objektiven Tatbestände dort zu erörtern, wo es im Tatbestand sonst auch geprüft wird. Klausurtaktisch ist es auch besser nicht einen komplette Strafbarkeitsprüfung durchzuführen um aber bei den Konkurrenzen zu sagen, es ist doch eine andere Norm vorzugswürdig und die vorangegangene Prüfung somit überflüssig. In dem vorliegenden Fall ist meines Erachtens bereits klar, dass auf §
§ 253, 255 StGB abgestellt wird. Es wird also der Literatur gefolgt, die eine Mitwirkung des Opfers anhand der inneren Willensrichtung (Verfügung) annimmt. Die Tat kann auch, wie hier geschehen, in verschiedene Abschnitte eingeteilt werden:
Wegnahmedes Schmucks -> Raub; Weggabe des
Geldes durch O aus ihrem Safe -> räuberische Erpressung. Vielleicht ist es einfacher es nachzuvollziehen, wenn man die Tat in dieser Art aufteilt. Dieser Fall soll mMn wohl weniger auf die Abgrenzungsthematik eingehen, als
Mittäterschaftzu behandeln. Möglicherweise findest du im Strafrecht BT Abschnitt hier bei Jurafuchs bessere Aufgaben für die Abgrenzungsthematik.
Erik_1995
12.5.2025, 14:14:43
ich verstehe nicht ganz, weshalb der Streitentscheid entbehrlich ist. Die Rechtsprechung sieht doch vorliegend auch § 249 tatbestandlich verwirklicht an, die Literatur hingegen bereits tatbestandlich nicht. Erst auf Konkurrenzebene kommen beide abschließend zur selben Strafbarkeit. Muss ich dann den Streit eigentlich nicht immer entscheiden? Denn wenn ich an der Stelle die Prüfung des Raubes abbreche, weil beide Ansichten §
§ 253, 255 vorziehen, verkenne ich doch, dass die Rechtsprechung §
§ 253, 255 zu § 249 tatbestandlich identisch betrachtet und erst im Wege der
Gesetzeskonkurrenzabgrenzt.
Erik_1995
12.5.2025, 14:20:32
gerade im ersten Examen schießt man sich doch ins Knie wenn man § 249 tatbestandlich ausscheiden lässt, obwohl nach Rechtsprechung sowohl beim Geben als auch Nehmen § 249 tatbestandlich immer erfüllt ist?

Major Tom(as)
12.5.2025, 17:31:08
So, wie ich es verstanden habe, wird hier im Fall zunächst
§ 249 StGBbejaht und "nur" im Rahmen des §
§ 253, 255 StGB der Streit aufgemacht, was dafür notwendig ist. Im §
§ 253, 255 StGB kann der Streit hier tatsächlich dahinstehen (beides erfüllt). Aber, dass das keinen Sinn ergibt, dass man vorher den Raub bejaht (weil die Lit. den ja nicht bejahen würde - da stimme ich zu). Insbesondere kann man, wie du auch sagst, mE nicht einfach bei
§ 249 StGBüber das Problem "hinwegsehen" - hier wird es aber einfach "wegignoriert". Dass man sich "ins Knie schießt", wenn man § 249 ausscheiden lässt, würde ich so aber nicht sagen. Du prüfst den § 249 ja sowieso bis dahin, stellst dann den Streit dar und auf die Qualifikationen kommt man auch über den Verweis in §
§ 253, 255 StGB zu sprechen. Zudem kann man innerhalb derer Rw. und
Schuldansprechen, also schneidet man sich eigentlich nichts ab...
Erik_1995
12.5.2025, 17:40:23
@[Major Tom(as)](258980) ja safe, bin da ganz bei dir. Mit "ins Knie schießen" meinte ich eher, dass man beim Prüfen des § 249 bei der
Wegnahmenicht den Streit darstellen kann, dabei sagt, es komme bei der
Wegnahmenicht auf den Streit an (weil beide Ansichten §
§ 253, 255 einschlägig sehen) dann mit der Prüfung aufhört und zu
§ 253übergeht. Denn damit zeigt man, dass man die Ansicht der Rechtsprechung nicht verstanden hat. Die Rechtsprechung sieht ja gerade auch bei der Weggabe durch das Opfer § 249 vollständig tatbestandlich verwirklicht. Erst auf Konkurrenzebene tritt eines zurück. Also fange ich mit § 249 an muss ich ja zwingend nahezu immer den Streit entscheiden weil ich je nach Ansicht entweder weiterprüfe ( Rechtsprechung) oder aufhöre und mit
§ 253weitermache (Lit). Bei §
§ 253, 255 kann der Streit dahinstehen. Es ist insofern schwierig, als dass der Streit irgendwie halb im Tatbestand relevant ist (Literaturmeinung) halb aber erst auf Konkurrenzebene (Rspr). Frage mich wie man das am besten dogmatisch sauber im Examen hinbekommt. Wie würdest du exakt vorgehen wenn du mit § 249 anfängst und bei der
Wegnahmeden Streit darstellst im hiesigen Fall?

Major Tom(as)
12.5.2025, 17:59:50
Ah ok, i get your point, das stimmt schon! Ich persönlich finde es am saubersten, wenn man sich bei § 249 schon fest entscheidet, welcher Meinung man folgt. Und, da ich die Literaturmeinung für überzeugender halte (warum sollte es sonst denn den § 249 I überhaupt geben, wenn man sowieso §
§ 253, 255 in jedem dieser Fälle bejaht (?) Die Verweisung in den Raub wäre dann ja sinnfrei und den Gesetzgeber hier für so dämlich zu halten, erscheint mir dann doch als etwas "anmaßend" - dem BGH aber ja anscheinend nicht ;)). Dementsprechend würde ich § 249 I StGB mangels
Wegnahmeverneinen und dann zu §
§ 253, 255 kommen. Das dann mit der
Vermögensverfügungeben bejahen. (Hier kann man ergänzend anbringen, dass die Norm nach Ansicht der Rspr. auch ohne
Vermögensverfügungzu bejahen wäre und hat alles in allem eine saubere Prüfung.) Kann man sicher auch anders machen, aber ist meine "go-to-Lösung")

Major Tom(as)
12.5.2025, 18:02:01
(mE muss man, wenn man die BGH-Meinung bejahen möchte, mit §
§ 253, 255 anfangen - sonst ergibt das Ganze, wie du auch sagst, wenig Sinn)
Erik_1995
12.5.2025, 19:00:07
Verstehe, einfache Antworten auf komplexe Fragen sind mal eine schöne Abwechslung :D Dann mache ich es wie du sagst, stets Literatur folgen spart Zeit, Aufbauprobleme und ist logisch. Danke!
Roxxin
15.5.2025, 09:32:49
es wäre schön, wenn ihr die Details des Falls in der letzten Aufgabe schon in der Frage genannt hättet. dann könnten wir uns selbst die Abwägung überlegen. so stochern wir im Dunkeln und sehen in der Lösung zur Frage völlig neue Aspekte, die die Bewertung des Sachverhalts vollständig ändern.
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