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Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Klassiker im Zivilrecht

Der Salatblattfall (BGHZ 66, 51)


Diese Rechtsfrage lösen 85,7 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Kind rutscht im Supermarkt auf Salatblatt aus und stürzt. Putzkraft des Supermarkts hat das Blatt nicht weggeräumt.
© Jurafuchs | Künstler: Johannes Töws

Die minderjährige K begleitet ihre Mutter M in den Supermarkt der B. Noch bevor M bezahlt, rutscht K auf einem Salatblatt aus und verletzt sich erheblich. K verlangt von B Schadensersatz in Höhe der Behandlungskosten.

Einordnung des Falls

Der Salatblattfall ist ein absoluter Klassiker im BGB / Schuldrecht, den alle Student:innen und Praktiker:innen kennen sollten. Der BGH hat ihn bereits 1976 entschieden. Dennoch ist der Fall heute noch richtungsweisend. Der BGH musste sich u.a. mit der Frage auseinandersetzen, ob sich zwei zentrale zivilrechtliche Rechtsfiguren – die „culpa in contrahendo“ (Verschulden bei Vertragsverhandlungen) und der „Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“ (VSD) – kombinieren lassen.

Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die Du in einem Gutachten adressieren solltest:

1. Bestand zwischen K und B im Unfallzeitpunkt ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB)?

Diese Rechtsfrage lösen 50,8 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Haftung für Verschulden bei Vertragsanbahnung (culpa in contrahendo, kurz c.i.c.) ergibt sich aus § 311 Abs. 2 BGB. Durch Vertragsanbahnung oder einen diesem gleichgestellten geschäftlichen Kontakt entsteht ein vertragsähnliches (gesetzliches) Schuldverhältnis. Daraus ergeben sich insbesondere Rücksichtnahmepflichten auf die Rechtsgüter des anderen Teils. BGH: K sei nicht als Kunde, sondern nur als unterstützende Begleitperson ihrer Mutter ohne Kaufabsicht aufgetreten. Es fehle der geschäftliche Kontakt (RdNr. 14).

2. Bestand zwischen M und B im Unfallzeitpunkt ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB)?

Diese Rechtsfrage lösen 96,7 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Ja, in der Tat!

Ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB) entsteht durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1), die Anbahnung eines Vertrags, bei der eine Partei der anderen die Möglichkeit der Einwirkung auf ihre Rechtsgüter und Interessen gewährt (Nr. 2) oder ähnliche geschäftliche Kontakte (Nr. 3). BGH: Zur Zeit des Unfalls habe M bereits die Ware ausgesucht und beabsichtigt, einen Vertrag zu schließen. Sie habe sich dabei der erhöhten Gefährdung ausgesetzt, die durch den Kundenverkehr im Supermarkt entstehe (RdNr. 14, 17). Zwischen M und B ist ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) entstanden.

3. Sind die Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter („VSD“) auch auf vorvertragliche Schuldverhältnisses (§ 311 Abs. 2 BGB) anwendbar?

Diese Rechtsfrage lösen 96,7 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Ja!

Verträge mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter können sich aus schuldrechtlichen Verpflichtungen jeder Art ergeben. BGH: Dass der Kaufvertrag im Zeitpunkt des Unfalls noch nicht abgeschlossen war, sei ohne entscheidende rechtliche Bedeutung. Ansonsten wäre die Haftung gegenüber dem Dritten dem bloßen Zufall überlassen. Der VSD unterliege zudem strengen Anforderungen, sodass die Kumulation beider Rechtsinstitute auch keine unkalkulierbare Ausdehnung der Haftung zur Folge habe (RdNr. 20).

4. Was ist der Bezugspunkt der Leistungsnähe beim vorvertraglichen Schuldverhältnis mit Schutzwirkung für Dritte?

Diese Rechtsfrage lösen 91,2 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Ja!

Der VSD setzt voraus (1) Leistungsnähe des Dritten, (2) Einbeziehungsinteresse des Gläubigers, (3) Erkennbarkeit für den Schuldner und (4) Schutzbedürftigkeit des Dritten. Leistungsnähe bedeutet, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger. Zu fragen ist, ob der Dritte mit der Verletzung der Nebenpflicht (§ 241 Abs. 1 BGB), die Rechtsgüter des anderen zu schützen, typischerweise ebenso in Berührung kam wie der Gläubiger selbst. Die Gefahr, auf dem Salatblatt auszurutschen, bestand für M (Gläubigerin) und K (Dritte) gleichermaßen (RdNr. 17). Merkwort: LeGES
Leistungsnähe Gläubigernähe Erkennbarkeit Schutzbedürftigkeit

5. Hatte M ein Interesse daran, die K in das vorvertragliche Schuldverhältnis mit B einzubeziehen?

Diese Rechtsfrage lösen 95,4 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Ja, in der Tat!

Einbeziehungsinteresse bedeutet: Der Gläubiger ist entweder für das „Wohl und Wehe“ des Dritten verantwortlich oder hat ein sonstiges besonderes Interesse an dessen Einbeziehung, das bei Vertragsauslegung eine Ausdehnung des Vertrags rechtfertigt. M hat die elterliche Fürsorgepflicht für K (§ 1626 Abs. 1 BGB). Erkennbarkeit für B und Schutzbedürftigkeit der K liegen vor. Die Schutzpflichtverletzung hat B zu vertreten (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). B haftet gegenüber K auf Schadensersatz (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 2, 249 Abs. 1 BGB i.V.m. VSD).

Prüfungsschema

Wie prüfst Du einen Anspruch auf Schadensersatz aus Culpa in Contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB)?

  1. Anwendbarkeit (keine vorrangigen Regeln einschlägig)
  2. Vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB)
  3. Pflichtverletzung (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB)
  4. Vertretenmüssen (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB)
  5. Kausaler Schaden

Wir prüfst Du den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ("VSD")?

  1. Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner
  2. Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags

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