Zivilrecht

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Entscheidungen von 2024

Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrages bei Schwarzgeldabrede (BGH, Urt. v. 15.03.2024 – V ZR 115/22)

Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrages bei Schwarzgeldabrede (BGH, Urt. v. 15.03.2024 – V ZR 115/22)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V verkauft K eine Wohnung. Sie vereinbaren einen Kaufpreis von €150.000. Beim Notar lassen sie aber nur einen Preis von €120.000 beurkunden, um Steuern zu sparen. V und K erklären direkt die Auflassung und K wird ins Grundbuch eingetragen.

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Einordnung des Falls

Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrages bei Schwarzgeldabrede (BGH, Urt. v. 15.03.2024 – V ZR 115/22)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen V und K könnte ein Kaufvertrag (§ 433 BGB) gerichtet auf die Übereignung von Vs Wohnung zum Preis von €120.000 zustande gekommen sein. Müssten V und K zunächst entsprechende übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben haben?

Ja!

Hier kommen zwei mögliche Kaufverträge in Betracht. Diese unterscheiden sich bezüglich der Höhe des vereinbarten Kaufpreises und ihrer Form. Mache immer deutlich, welchen Vertragsschluss Du gerade prüfst. Der Abschluss eines Kaufvertrag setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen – Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB) – gerichtet auf die Übereignung einer Sache gegen Zahlung eines Kaufpreises (vgl. § 433 BGB) voraus. Diese Basic zum Vertragsschluss kannst Du hier wiederholen. Die Bestandteile einer Willenserklärung findest Du hier . I.d.R. solltest Du die beiden Willenserklärungen (Angebot und Annahme) getrennt voneinander prüfen. Es gibt aber Konstellationen, wo es nicht darauf ankommt, zwischen diesen Willenserklärungen zu unterscheiden bzw. wo der Sachverhalt auch nicht genügend Anhaltspunkte für eine Unterscheidung gibt. So liegt es hier!
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2. V und K müssten die Willenserklärungen, gerichtet auf den Abschluss des Vertrags zum Kaufpreis i.H.v. €120.000 mit Rechtsbindungswillen abgegeben haben. Könnte man daran zweifeln, weil sie eigentlich einen Preis von €150.000 vereinbaren wollten?

Genau, so ist das!

Der Tatbestand einer Willenserklärung setzt unter anderem voraus, dass objektiv ein Rechtsbindungswille des Erklärenden erkennbar ist. Dies ist der Fall, wenn der Erklärende sich aus Sicht eines objektiven Dritten als Empfänger in irgendeiner Weise rechtlich erheblich erklären will. (§§ 133, 157 BGB). Nach einer Ansicht führt die Vereinbarung eines „falschen“ Kaufpreises bereits dazu, dass tatbestandlich keine Willenserklärung vorliegt. Wenn beide Vertragspartner vorher vereinbart haben, die Erklärungen nur zum „Schein“ abgeben zu wollen, so müsse die Auslegung der Willenserklärungen zu dem Ergebnis kommen, dass die Erklärenden ohne Rechtsbindungswillen gehandelt haben. Nach dieser Ansicht lägen in den Erklärungen von V und K bezüglich des Kaufpreises i.H.v. €120.000 bereits tatbestandlich keine Willenserklärungen. Diese Ansicht ist wegen des § 117 Abs. 1 BGB praktisch ohne Bedeutung. Du kannst sie in der Klausur also ganz weglassen bzw. sie allenfalls kurz erwähnen.

3. Selbst, wenn V und K ihre Willenserklärungen bezüglich des Kaufpreises in Höhe von €120.000 mit Rechtsbindungswillen abgegeben hätten, wären diese dennoch unwirksam (§ 117 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Liegt tatbestandlich eine Willenserklärung vor, solltest Du Dich (zumindest gedanklich) fragen, ob diese auch wirksam ist. Nach § 117 Abs. 1 BGB ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung dann nichtig, wenn sie mit dem Einverständnis des Empfängers nur zum Schein abgegeben wird. Das Scheingeschäft wird auch als das simuliertes Geschäft bezeichnet. V und K haben ihre Willenserklärungen bezüglich des Kaufpreises von €120.000 im notariellen Vertrag nur angegeben, um Steuern zu sparen. Tatsächlich wollten sie aber einen Preis von €150.000 vereinbaren. Der wahre Wille der Parteien geht bei Verträgen dem Wortlaut vor. Damit handelt es sich bei dem notariell beurkundeten Vertrag nur um ein Scheingeschäft. Dieses ist nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig. Es liegen also weder nach der Ansicht, die bereits den Rechtsbindungswillen verneint, noch nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut (§ 117 Abs. 1 BGB) wirksame Willenserklärungen vor. Daher kannst Du auch direkt auf § 117 Abs. 1 BGB springen. Dass bereits kein Rechtsbindungswille vorliegen könnte, kannst Du aber auch kurz erwähnen. Eine weitere Fallkonstellation des § 117 Abs. 1 BGB findest Du hier in unserem systematischen Kurs.

4. Zwischen V und K könnte aber ein Kaufvertrag gerichtet auf die Übereignung der Wohnung zum Preis von €150.000 zustande gekommen sein. Besteht hinsichtlich dieses Kaufvertrags Formfreiheit (siehe § 311b Abs. 1 BGB)?

Nein!

Kaufverträge über Wohneigentumsanteile müssen notariell beurkundet werden (§ 311b Abs. 1 BGB). Im vorliegenden Fall wollten V und K in Wirklichkeit einen Kaufpreis von €150.000 vereinbaren. Für dieses sog. dissimulierte Geschäft finden die Formvorschriften der §§ 311b Abs. 1, 128 BGB Anwendung. Notariell beurkundet wurde allerdings nur das simulierte Geschäft über €120.000. Damit ist das dissimulierte Geschäft formnichtig (§§ 311b Abs. 1, 128, 125 BGB).

5. Wurde der Formfehler durch die Auflassung geheilt (§ 311b Abs. 1 S. 2 BGB)?

Genau, so ist das!

Das BGB sieht in Ausnahmefällen die Heilung von Formfehlern vor. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Funktion der Formvorschrift nicht mehr erreicht werden kann. Bei der notariellen Beurkundung ist dies (1) die Warnfunktion, (2) die Beweisfunktion sowie (3) die Beratungsfunktion. Ist der Kaufvertrag vollzogen – also das Eigentum übertragen worden –, so sind die Parteien weniger schutzbedürftig. Daher sieht § 311b Abs. 1 S. 2 BGB vor, dass ein formnichtiger Vertrag bei Auflassung und Eintragung ins Grundbuch seinem ganzen Inhalt nach gültig wird. K und V haben beim Notar die Auflassung erklärt. Somit wurde der Formmangel des dissimulierten Geschäfts geheilt.

6. Der Formfehler wurde geheilt. Könnte sich die Nichtigkeit des Kaufvertrags aber daraus ergeben, dass V und K gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen haben (§ 134 BGB)?

Ja, in der Tat!

Als Nichtigkeitsgründe für einen Kaufvertrag kommen (1) eine mangelnde Form, (2) der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz (§ 134 BGB), (3) der Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) und (4) die Gesamtnichtigkeit gem. § 139 BGB in Betracht. Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist grundsätzlich nichtig, § 134 BGBpersonio. Ein Verbotsgesetz liegt vor, wenn die Norm bestimmte Rechtsgeschäfte wegen ihres Inhalts oder wegen besonderer Umstände ihrer Vornahme untersagt, weil sie sie für schädlich hält oder aus einem anderen Grunde missbilligt. § 311b Abs. 1 S. 2 BGB sieht nur die Heilung von Formmängeln vor, bezieht sich aber nicht auf andere Nichtigkeitsgründe.

7. Es gibt eine gesetzliche Regelung, welche V und Ks vorgehen ausdrücklich verbietet.

Nein!

Ein Vertrag ist nichtig, wenn er gegen ein Verbotsgesetz verstößt (§ 134 BGB). Es gibt kein Gesetz, welches ausdrücklich verbietet, einen notariellen Kaufvertrag nur zum Schein zu schließen.

8. Für „Ohne-Rechnung“-Abreden im Werkrecht hat der VII. BGH-Senat regelmäßig aus dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SchwarzArbG) eine Nichtigkeit der Verträge abgeleitet.

Genau, so ist das!

Gibt es kein ausdrückliches Verbotsgesetz, musst Du diskutieren, ob Du Rechtsgedanken von anderen Vorschriften fruchtbar machen kannst. Die Rspr. zur „Schwarzarbeit“ solltest Du kennen. Der VII. BGH-Senat leitet im Dienst- und Werkvertragsrecht< aus § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SchwarzArbG eine Nichtigkeit nach § 134 BGB ab. Diese Regelung verbietet unmittelbar den Abschluss von Verträgen, die auf die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten gerichtet sind. Ein unter den Anwendungsbereich des SchwarzArbG fallender Vertrag ist daher ohne weiteres in seiner Gesamtheit nichtig, wenn er Regelungen enthält, die dazu dienen, dass eine steuerpflichtige Vertragspartei ihre sich auf Grund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt. Die Gesamtnichtigkeit tritt unabhängig vom verfolgten Hauptzweck des Vertrags ein (RdNr. 18f.). Übungsfälle zur Schwarzgeldabrede findest Du hier .

9. Diese Argumentation des VII. Zivilsenats aus dem Werkrecht zu § 1 Abs. 2 SchwarArbG ist ohne Weiteres auf Grundstückskaufverträge übertragbar.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Eine dem § 1 Abs. 2 SchwarArbG entsprechende Regelung existiert für Schwarzgeldabreden beim Abschluss eines Grundstückskaufvertrags nicht. Zwar könne eine solche Abrede, die mit der Absicht getroffen wird, Steuern zu hinterziehen, gegen § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verstoßen. Dieser verfolgt jedoch eine andere Zielrichtung als das Verbot der Schwarzarbeit. Sein Schutzzweck ist allein in der Sicherung des staatlichen Steueraufkommens zu sehen. Ein Grundstücksgeschäft, bei dem Steuern hinterzogen werden sollen, ist also nicht aufgrund eines Verstoßes gegen § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nach § 134 BGB unwirksam. Der Vertrag zwischen V und K ist mithin nicht wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig. Vorliegend konnte dahinstehen, ob sich aus dem Barzahlungsverbot des § 16a Abs. 1 Satz 1 GwG etwas anderes ergeben könnte. Diese Regelung findet auf einen vor dem 01.04.2023 geschlossenen Vertrag keine Anwendung (§ 59 Abs. 11 GwG).

10. Der Kaufvertrag könnte schließlich wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein (§ 138 Abs. 1 BGB). Verstößt die Vereinbarung des falschen Kaufpreises eindeutig gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“?

Nein!

Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB). Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn „gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstoßen wird. BGH: Die Vereinbarung der Falschangabe des Kaufpreises zum Zwecke einer Steuerhinterziehung hat rechtlich etwas Anstößiges. Sie schlägt aber nur auf den gesamten Vertrag durch und lässt den Vertrag selbst nur dann als rechtlich anstößig erscheinen, wenn die verbotene Steuerhinterziehung den von den Parteien beabsichtigten Hauptzweck des Vertrags bildet. Nur dann widerspricht das gesamte Rechtsgeschäft den der Rechtsordnung innewohnenden rechtsethischen Werten und Prinzipien und ist wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig (RdNr. 23). Die beabsichtige Steuerhinterziehung bildet nicht den Hauptzweck des Vertrags zwischen V und K. Es liegt keine Sittenwidrigkeit vor.

11. Zwischen V und K ist ein wirksamer Kaufvertrag mit einem Kaufpreis in Höhe von €150.000 zustande gekommen.

Genau, so ist das!

Der Formmangel des Vertrags über €150.000 wurde durch Auflassung und Eintragung ins Grundbuch geheilt, § 311b Abs. 1 S. 2 BGB. Es führt auch kein anderer Grund zur Nichtigkeit dieses Vertrags. Mit dieser Entscheidung hält der V. Senat weiter an seiner Rspr. fest und zeigt die Unterschiede zur Rechtsprechung des VII. Senats auf. Der Originalfall war sachenrechtlichen eigebettet: K klagte auf Zustimmung zur Löschung eines Widerspruchs im Grundbuch (§ 894 BGB analog). Es ging also um Ks Eigentumserwerb und in der Folge auch um die Frage, ob eine eventuelle Nichtigkeit des Kaufvertrags Auswirkungen auf das dingliche Geschäft hätte (Fehleridentität). Vertiefend dazu im obiter dictum (s. RdNr. 32).Weil es im Originalfall nicht um die konkrete Höhe von Vs Kaufpreisanspruchs, sondern um die generelle Wirksamkeit des Kaufvertrages ging, führte der BGH führt noch aus, dass auch eine hypothetische Teilnichtigkeit des Vertrags bzgl. der €30.000, die nicht beurkundet wurden, jedenfalls nicht dazu geführt hätten, dass der gesamte Kaufvertrag nach § 139 BGB nichtig geworden wäre. Denn es sei davon auszugehen, dass V und K den Vertrag auch ohne die Schwarzgeldabrede geschlossen hätten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Ala

Ala

21.10.2024, 09:09:23

„Zwar könne eine solche Abrede, die mit der Absicht getroffen wird, Steuern zu hinterziehen, gegen § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verstoßen. Dieser verfolgt jedoch eine andere Zielrichtung als das Verbot der Schwarzarbeit. Sein Schutzzweck ist allein in der Sicherung des staatlichen Steueraufkommens zu sehen. Ein Grundstücksgeschäft, bei dem Steuern hinterzogen werden sollen, ist also nicht aufgrund eines Verstoßes gegen § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nach § 134 BGB unwirksam.“ Ich verstehe die Begründung (und den Vergleich zum Verbot der Schwarzarbeit) nicht). Ein Grundstücksgeschäft, bei dem Steuern hinterzogen werden sollen, geht doch direkt gegen den Schutzzweck von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, das staatliche Steueraufkommen zu sichern ?!


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