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Verjährung des Schadensersatzanspruches noch vor der Abnahme (BGH, Urt. v. 19.5.2022 – VII ZR 149/21)

Verjährung des Schadensersatzanspruches noch vor der Abnahme (BGH, Urt. v. 19.5.2022 – VII ZR 149/21)

3. Juni 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B beauftragt U 2018 mit dem Bau eines Einfamilienhauses. Dieses soll U bis zum 30.09.2018 fertigstellen. Als B nach Baubeginn erhebliche Mängel am Rohbau entdeckt, begleicht B berechtigt die fällige Abschlagsrechnung nicht. U stellt daraufhin seinerseits die Arbeit ein. Erst 2023 tritt B vom Vertrag zurück und begehrt Schadensersatz.

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Einordnung des Falls

Verjährung des Schadensersatzanspruches noch vor der Abnahme (BGH, Urt. v. 19.5.2022 – VII ZR 149/21)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da U zum vereinbarten Zeitpunkt die Arbeit nicht fertiggestellt hat, entstehen B zusätzliche Kosten (fortgesetzte Miete, Darlehensbereitstellungszinsen). Steht B hierfür gegen U ein Anspruch nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB zu?

Nein, das trifft nicht zu!

Bei §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB handelt es sich um einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung. Dazu gehören nach vorherrschender Auffassung alle Schadensposten, die durch eine Nacherfüllung im letztmöglichen Zeitpunkt entfallen würden. Dieser Zeitpunkt sei erreicht, wenn der Erfüllungsanspruch endgültig untergehe, also wenn der Schuldner die Leistung nicht mehr erbringen kann (z.B. Unmöglichkeit, § 275 BGB) bzw. darf (z.B. berechtigtes Schadensersatzverlangen, § 281 Abs. 4 BGB).B begehrt von U die Erstattung der zusätzlich aufgewendeten Mietzahlungen und Bereitstellungszinsen. Diese Kosten sind aber zum Teil bereits dadurch entstanden, dass U zum vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt nicht geleistet hat. Auch durch eine spätere Nacherfüllung entfallen die bis dahin angefallenen Zusatzkosten nicht mehr. Somit begehrt B insoweit Schadensersatz neben der Leistung.
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2. B könnte aber ein Anspruch auf Schadensersatz gegen U nach §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 BGB zustehen.

Ja!

Ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 BGB kommt immer dann in Betracht, wenn es um den Ersatz eines Verzugsschadens geht. Verzugsschäden sind solche Schäden, die durch die nicht rechtzeitige Leistungserbringung entstehen. Ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Schuldverhältnis, (2) Schuldnerverzug, (3) Schaden. Zu 2: Der Schuldner gerät in Verzug, wenn er zu einem Zeitpunkt nicht erfüllt, in dem die Forderung wirksam, durchsetzbar und fällig, und insbesondere noch möglich ist, angemahnt wurde (sofern eine Mahnung nicht entbehrlich ist, § 286 Abs. 2 BGB) und er die Verzögerung zu vertreten hat (§ 286 Abs. 4 BGB). B und U haben einen Bauvertrag, also ein Schuldverhältnis, geschlossen. Fraglich ist aber, ob U sich mit seiner Leistung auch im Verzug befand.

3. Durfte U die weitere Herstellung verweigern, weil B die ausstehenden Abschlagsrechnungen nicht mehr beglichen hat (§ 320 Abs. 1 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Schuldner gerät nur in Verzug, wenn er zu einem Zeitpunkt nicht erfüllt, in dem die Forderung wirksam, fällig und durchsetzbar ist. Bei Nichtzahlung einer fälligen Abschlagsforderung (§ 632a Abs. 1 S. 1 BGB) kann der Unternehmer die Erbringung weiterer Leistungen grundsätzlich nach § 320 Abs. 1 S. 1 verweigern. Das Leistungsverweigerungsrecht besteht allerdings nicht, wenn der Besteller seinerseits die Zahlung ganz oder teilweise zu Recht verweigert. Ausweislich des Sachverhalts hat B die Abschlagszahlung aufgrund der bestehenden Mängel berechtigt verweigert. Damit steht U kein Leistungsverweigerungsrecht zu und Bs Herstellungsanspruch war somit auch durchsetzbar. Achtung: Seit 1.1.2018 gilt, dass der Besteller nur noch einen angemessenen Teil der Abschlagszahlung, i.d.R. das Doppelte der Mängelbeseitigungskosten, zurückhalten darf (§ 632a Abs. 1 S. 4 BGB i.V.m. § 641 Abs. 3 BGB).

4. Musste B gegenüber U eine Mahnung aussprechen, um diesen in Verzug zu setzen (§ 286 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Schuldnerverzug setzt zwar grundsätzlich den Ausspruch einer Mahnung voraus (§ 286 Abs. 1 BGB). Eine Mahnung ist aber bei Vorliegen bestimmter Tatbestände ausnahmsweise entbehrlich (§ 286 Abs. 2 BGB). Einer Mahnung bedarf es nicht, wenn für die Leistung vertraglich eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Das Einfamilienhaus sollte spätestens zum 30.9.2018 fertig werden. Eine Mahnung ist somit wegen der Bestimmung des Leistungszeitpunktes durch den Kalender entbehrlich (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). U hat die Verzögerung der Leistung durch die unberechtigte Baueinstellung auch zu vertreten. Im Hinblick auf die zusätzlich entstandenen Kosten (fortlaufende Miete, Bereitstellungszinsen…) liegt auch ein kausaler Schaden vor.

5. Da es um die Herstellung eines Bauwerks geht, verjährt Bs Anspruch auf Verzugsschadensersatz innerhalb von fünf Jahren (§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Nein!

Vorsicht Falle! Die Verjährungsregelung des § 634a BGB bezieht sich nur auf werkvertragliche Mängelansprüche. Ansprüche, die dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht unterliegen, richten sich dagegen nach der Regelverjährung von drei Jahren (§ 195 BGB). Hierzu gehört auch der Schadensersatzanspruch wegen Verzögerung der geschuldeten Leistung (RdNr. 24).

6. Der Lauf der Verjährungsfrist von Bs Verzugsschadensersatz hat hier aber schon deshalb nicht begonnen, weil B das Werk bislang nicht abgenommen hat (§ 634a Abs. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Verjährung beginnt bei Ansprüchen, die der Regelverjährung unterliegen, mit dem Schluss des Jahres, in dem (1) der Anspruch entstanden ist und (2) der Gläubiger von (a) den anspruchsbegründenden Umständen und (b) der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 BGB). § 634a Abs. 2 BGB gilt nur für die werkvertraglichen Mängelgewährleistungsrechte, nicht dagegen für Schadensersatzansprüche, die dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht unterfallen. Die nicht erfolgte Abnahme des Werkes ist mit Blick auf den Beginn der Verjährungsfrist des Verzugsschadensersatzes somit unerheblich.

7. Die Verjährungsfrist beginnt allerdings erst zu laufen, wenn sämtliche Schäden auch tatsächlich eingetreten sind (§ 199 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Der Beginn der allgemeinen Verjährungsfrist setzt voraus, dass der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Bei mehreren Schadensfolgen gilt der Grundsatz der Schadenseinheit. Ein Schadensersatzanspruch entsteht grundsätzlich einheitlich auch für die erst in Zukunft entstehenden, adäquat verursachten, zurechenbaren und voraussehbaren Nachteile, sobald irgendein Teilschaden entstanden ist und gerichtlich geltend gemacht werden kann (RdNr. 28).Ist - wie regelmäßig - zum Zeitpunkt des ersten Schadenseintritts die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, so ist es dem Geschädigten nach der Rechtsprechung des BGH zumutbar, zumindest eine Feststellungsklage zu erheben, um eine Hemmung der Verjährung zu erreichen (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

8. Die Verjährungsfrist beginnt deshalb mit dem Schluss des Jahres 2018 zu laufen.

Ja!

Die Verjährungsfrist beginnt bei Ansprüchen, die der Regelverjährung unterliegen, mit dem Schluss des Jahres, in dem (1) der Anspruch entstanden ist und (2) der Gläubiger von (a) den anspruchsbegründenden Umständen und (b) der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 BGB).Mit Überschreiten der vereinbarten Bauzeit ist B bereits ein Teil des geltend gemachten Schadens entstanden. Damit ist einheitlich der gesamte Schadensersatzanspruch entstanden. B hatte hier zudem sowohl Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen (insbesondere Verzug des U und drohende Kosten infolge des Verzugs), als auch von U als Schuldner.

9. Im Jahr 2023 ist die Verjährungsfrist abgelaufen (§ 188 BGB), sodass U die Verjährungseinrede erheben kann (§ 214 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Nach § 188 Abs. 2 BGB endet eine nach Jahren bemessene Frist bei Ereignisfristen (§ 187 Abs. 1 BGB) mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher durch seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis fällt. Das die regelmäßige Verjährungsfrist auslösende Ereignis war der Schluss des Jahres 2018, der auf den 31.12.2018 fällt. Die Frist endet somit drei Jahre später, mit Ablauf des 31.12.2021. Umstände, die eine Hemmung begründen können, liegen nicht vor. U kann sich 2023 somit auf die Verjährung berufen.Der vorliegende Fall eignet sich nicht nur gut, um die Kenntnisse des Verjährungsrechts aufzufrischen. Vielmehr lässt er sich in einer Klausur auch gut durch rechtsberatende Fragestellungen (wie hätte die Verjährung verhindert werden können?) anreichern oder inzident in eine Klausur zur anwaltlichen Haftung einbauen. Weiterhin offengelassen hat der BGH hier die umstrittene Frage, ob der Herstellungsanspruch ebenfalls der dreijährigen Regelverjährung unterliegt oder hier ein Gleichlauf mit dem Nacherfüllungsanspruch besteht (hierzu ausführlich Koos, NZBau 2022, 67).
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